Mitfühlend und wegweisend: Trans Drama «Joyland» im Kino!
Ein Meilenstein des queeren Kinos
Als erster pakistanischer Film überhaupt feierte «Joyland», in dem Saim Sadiq von Transfeindlichkeit in seinem Land erzählt, Weltpremiere beim Filmfestival in Cannes. Zudem schaffte es auf die Oscar-Shortlist für die Kategorie Bester Internationaler Film.
Es dauert nur wenige Minuten, dann ist man mittendrin in der Welt von «Joyland». Oder besser: mittendrin in den familiären Strukturen, um die es in diesem Film des pakistanischen Regisseurs Saim Sadiq nicht nur, aber doch wesentlich geht.
Nur eine Nebenfigur im Film, aber Zentrum der Familie ist der im Rollstuhl sitzende Witwer Rana Amanullah (Salmaan Peerzada), genannt Abba. Das nicht gerade geräumige Apartment nahe einem Vergnügungspark namens Joyland in Lahore teilt er sich mit seinen beiden erwachsenen Söhnen und deren Familien. Saleem (Sohail Sameer) und Ehefrau Nucchi (Sarwat Gilani) werden gerade zum vierten Mal Eltern eine Tochter, obwohl doch nicht nur der Patriarch auf einen Enkel Jungen gehofft hat. Noch gar keinen Nachwuchs haben derweil Haider (fantastisch: Ali Junejo) und Mumtaz (Rasti Farooq). Während sie ihren Alltag als berufstätige Frau genießt, geht er angesichts seiner Arbeitslosigkeit – und zu Abbas Missfallen – voll auf im Erfüllen seiner Onkel- und Hausmann-Pflichten.
Als Haider durch Vermittlung eines Freundes doch endlich einen Job findet, ändert sich an der Familiendynamik einiges. Er heuert bei einem erotischen Tanztheater an, allerdings nicht wie er seinem Vater gegenüber behauptet, als Manager, sondern als Background-Tänzer für Performerin Biba (Alina Khan), die als trans Frau zwar nicht im Hauptprogramm, aber immerhin in den Pausen auftreten darf.
Weil er plötzlich Geld mit nach Hause bringt und sich nicht mehr um den Haushalt kümmern kann, drängt die Familie im Gegenzug Mumtaz dazu, ihren Job als Kosmetikerin aufzugeben. Als sie dann auch noch schwanger wird und einen Sohn erwartet, rutscht sie immer tiefer in eine Depression ab. Da ist Haider längst in seine Chefin verliebt und damit beschäftigt, herauszufinden wer er wirklich ist.
Als erster pakistanischer Film überhaupt feierte «Joyland» nicht nur seine Weltpremiere beim Filmfestival in Cannes, sondern schaffte es schliesslich sogar auf die Oscar-Shortlist für die Kategorie Bester Internationaler Film. In seiner Heimat wurde er trotzdem kurz vorm Kinostart im November 2022 verboten: dass eine trans Frau zu den Protagonist*innen des Filme gehört und sogar beim Kuss mit einem cis Mann zu sehen ist, war zu viel für einige religiöse Regierungsbeamte, die auf der Leinwand «anstössiges Material» und «anti-pakistanische Werte» zu sehen glaubten. Die Entscheidung wurde wenig später revidiert, doch in der Provinz Punjab, deren Hauptstadt Lahore ist, darf der Film weiterhin nicht gezeigt werden.
Tatsächlich ist Sadiq ein erstaunlicher Film gelungen, dessen revolutionäre Kraft auf sehr leisen Sohlen daherkommt. Es ist nicht so, dass «Joyland» sich auf die Fahnen schreibt, offensiv anti-religiös oder islamkritisch zu sein. Doch natürlich wird hier Hand in Hand mit Haider, Mumtaz und natürlich Biba die bestehende Ordnung hinterfragt. Familiäre Erwartungen, die klassische Rollenverteilung der Geschlechter, gängige Männlichkeitsbilder – die Figuren ringen hier auf der Suche nach sich selbst und einem Verständnis für die eigenen, komplizierten Gefühlen mit allem, was die Gesellschaft von aussen an sie heranträgt. Auch Biba, die sich der eigenen Identität zwar gewisser ist als die anderen, sich aber als trans Frau natürlich in einer fragileren Position befindet.
Bilder, die man so schnell nicht vergisst Dass «Joyland» nicht nur viel zu erzählen hat, sondern dies auch ungemein besonnen und souverän tut, ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass dies Sadiqs Regiedebüt ist. Der in Lahore aufgewachsene Absolvent der Columbia University hat dafür nicht nur ein wirklich fantastisches, bis in die kleinsten Details überzeugendes Ensemble zusammengestellt.
Er findet auch zahlreiche Bilder, die man so schnell nicht vergisst, sei es Haiders Transport eines überlebensgrossen Aufstellers von Bibas Konterfei oder eine erste Annäherung der beiden inmitten hunderter kleiner grüner Neonlichter. So nuanciert, mitfühlend und auf stille Weise wegweisend war in diesem Jahr kaum ein anderer Film.
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