Mit Facetuning auf dem Weg zur Frau
Wenn eine App trans Frauen eine neue Art von Selbstvertrauen ermöglicht
Unsere Autorin überlegt sich vor dem Verlassen des Hauses manchmal genau, ob und wie stark sie geschminkt sein muss, um bloss nicht aufzufallen. Im Internet hat sie es als trans Frau leichter: Mit Hilfe diverser Apps kann sie ihre Ängste für einen Moment lang ablegen und Bilder von sich hochladen. Ein Erfahrungsbericht über das Facetuning.
Text: Stephenie Vee
Ursprünglich wurden viele neue Photo-Apps dazu geschaffen, Portraits so zu retouchieren, dass das Motiv ästhetischer wirkt. Von trans Frauen kann heute eine ganze Reihe verschiedener Smartphone-Apps dazu verwendet werden, das eigene wahre Selbst zu entdecken. Quasi, die innere Weiblichkeit erforschen. Sie heissen Facetune, Looksery, Photo Makeover, Beautymirror oder auch Facebook Kamera. Facetuning mit diesen Programmen ist für eine trans Frau wie mich, deren Antlitz von Natur aus leider sehr maskulin wirkt, mehr als nur ein entspannender Zeitvertreib.
Seit ich als Transgender damit begonnen habe, mich mit meiner ureigenste femininen Seite zu beschäftigen, habe ich viel Positives an mir entdeckt. Doch trotz allem bin ich während dieser Transition, gleichsam fast täglich Wellen von dysphorischen* Gefühlen ausgesetzt, die über dem zarten Pflänzchen meines neu wachsenden Selbstbewusstseins zusammenklatschen, wie die gigantischen Wellen des Ozeans über einem Ruderboot.
Die Befürchtung, erkannt zu werden Noch immer fühle ich mich, rein körperlich gesehen, insgesamt nicht weiblich genug. Und das liegt aber hauptsächlich an meinem Gesicht. Täglich begegne ich Menschen. Ich reise viel und bin sehr neugierig. Ich spreche eigentlich gerne mit Fremden. Doch seit kurzem ist da diese Angst. Meine Befürchtung, dass eine Person erkennt, dass ich einmal ein Mann war. Und dass sie so etwas sagt wie: «Was ist denn mit deinem Gesicht los! Wen willst du verarschen, du Schwuchtel?» Setzt man sich lange genug solchen Gefühlen aus, beginnen diese sich ins Denken einzuschleifen und hinterlassen Spuren, die manchmal für immer bleiben. (Diese trans Kommunalpolitikerin aus NRW wird beleidigt und beschimpft – MANNSCHAFT berichtete).
Intuitiv begann ich damit, unnötige Begegnungen zu vermeiden. Mehrfach überlege ich mir genau, bevor ich das Haus verlasse, ob und wie stark geschminkt ich sein muss, um bloss nicht aufzufallen. Um ein gutes Passing zu haben! Passing ist englisch für «durchgehen» oder «akzeptiert werden». Mit einem guten Passing werde ich als Frau problemlos akzeptiert. Mit einem schlechten erkennt eine Person leicht, dass ich früher als Mann gelebt habe. Vor allem trans Frauen, die ihre Transition erst später im Leben durchlaufen, haben zu Beginn ein sehr schlechtes Passing.
Umso wichtiger wäre es, dass die Gesellschaft freundlich, sensibel und wohlwollend reagiert, und nicht mit Ablehnung, Häme und Spott. Die gesichtsfeminisierende Operation kurz FFS (Englisch für Facial Feminisation Surgery) leistet einen der wichtigsten Beiträge überhaupt, um diese Form der Geschlechtsdysphorie in Bezug auf das Passing zu heilen. Um über die Zuzahlung zur FFS zu bescheiden, bat mich meine Krankenkasse kürzlich, ihr Fotos von mir zu senden, auf denen ich geschminkt bin. Das ist auf so vielen Ebenen zutiefst demütigend, denn eine Frau sollte doch als Frau wahrgenommen werden, auch wenn sie nicht geschminkt ist. Die Anfrage der Krankenkasse impliziert, dass sie darüber befinden ob eine FFS notwendig ist, oder ob es auch mit Schminken reicht.
Wie eine überspannte Gitarrensaite vor dem Zerreissen An diesem Beispiel wird deutlich, wie steinig und langwierig der Weg ist den eine trans Frau, egal in welchem Alter, zurückzulegen hat. Zunächst psychiatrische Gutachten, scheinbar endlose Gespräche, Antrag, Warten, Ablehnung, erneuter Antrag, Warten, Kostengutsprache bzw. Kostenübernahme und wieder monatelanges Warten. Dieser ganze Prozess bringt die geplagte Seele in den Zustand einer überspannten Gitarrensaite, kurz bevor sie reisst. (In Deutschland feierte jetzt das Transsexuellengesetz sein 40-jähriges Bestehen. Und noch immer verursacht das Gesetz unnötiges Leid und beeinträchtigt das Selbstbestimmungsrecht – MANNSCHAFT berichtete)
Für die technikaffine trans Frau gibt es Abhilfe in Form dieser famosen Apps, die es ermöglichen, das Gesicht feminisierend zu verändern. Facetune beispielsweise (laut Chip für die Bearbeitung von Gesichtern in Fotos Smartphone die Nummer 1) ist eine Bildbearbeitungsapplikation, die offensichtlich dazu gedacht war, Selfies effektiv und maximal zu retouchieren. Für trans Frauen bietet diese Software die einmalige Möglichkeit, nicht nur die Haut zu glätten und Flecken zu entfernen, sondern auch das Gesicht und den Körper neu zu formen und jede Spur der Reste jener Männlichkeit zu eliminieren, die für uns so deprimierend sind.
Ein weiteres geniales Tool sind diverse Filter, die in der Facebook Camera App integriert sind. Diese sind praktisch so vorkonfiguriert, dass jedes Gesicht so verändert wird, dass es automatisch femininer wirkt. So ist es mir möglich, zu sehen, wie ich aussehen würde, wäre ich vom Testosteron verschont geblieben. Dadurch kann ich meine Ängste für einen Moment lang ablegen und tun, was viele Frauen gerne tun: nämlich ein Bild von sich ins Internet stellen.
Mir geht es beim Retuschieren nicht unbedingt darum, schöner zu sein – es geht darum, schon jetzt den Körper, das Gesicht zu sehen, das ich vielleicht erst in einem Monat oder in zwei Monaten haben werde. Ein unglaublich lang erscheinender Zeitraum, wenn man täglich unter diesen Anfällen von Depression und seelischen Schmerzen in Bezug auf den eigenen Körper leidet.
Das erste Mal bekannt gemacht, mit dieser Art der Anwendung von Apps, die eigentlich zur Retusche gedacht sind, hat mich ein Video der US-amerikanischen Video Essayistin Contrapoints. Bürgerlich auch Nathalie Wynn. Ich war sofort begeistert von den Möglichkeiten, die diese Apps bieten und verwendete sie fortan fleissig. Ich lernte damit umzugehen und fand heraus, wie ich mein Gesicht nach der Operation gerne hätte.
Dies veränderte mein Leben, denn es öffnete mir die Augen für die Möglichkeiten meines eigenen Gesichts und welche Ergebnisse ich mir von der Operation wünschte. Möglichkeiten, die ich anders vielleicht nie hätte sehen können.
Trans Frauen berichten oft von einer Dissoziation ihres Körpers und dem Gefühl, nicht «echt» oder «Frau» genug zu sein. Tatsächlich fühle ich mich schon recht weiblich. Die Fettumverteilung hat meinen Bauch schrumpfen, meine Brüste und den Hintern wachsen lassen. Ich habe sogenannte Reiterhosen bekommen und ja, auch Cellulite. Aber sind wir doch mal ehrlich, welche Frau ab 40 hat das nicht? So what. Und genau weil mein Körper schon so weit ist, bereitet es mir grosse Probleme, dass in meinem Gesicht scheinbar kaum etwas passiert.
Ich habe seit Monaten das Gefühl, dass sich einfach nichts tut. Ich bin frustriert. Wenn ich in den Spiegel sehe, ist da das Gesicht eines Mannes, der mich aus dem Spiegel ansieht! Hier hilft es mir, diesen Abstand in der Entwicklung zwischen meinem Körper und meinem Gesicht kleiner erscheinen zu lassen.
Obwohl die auf allen bekannten Smartphone Betriebssystemen erhältliche Applikationen nur auf die digitale Welt und die sozialen Medien beschränkt sind, sagten doch einige Menschen, mit denen ich für diesen Text gesprochen habe, dass sie dabei helfen, die Zeit bis zu den notwendigen medizinischen Eingriffen zu überbrücken. Und ich kann das selbst auch bestätigen.
Ein neues Selbstvertrauen Ich bin davon überzeugt, dass diese Apps uns femininen Seelen den Zugang zu einer neuen Art von Selbstvertrauen ermöglicht. Ein Selbstbewusstsein, das wir sonst nicht erlangen könnten. Die Möglichkeit zumindest ein Selfie von uns, nach unseren Vorstellungen anpassen zu können, hilft uns, zumindest für den Moment die Dysphorie zu vergessen und neue Hoffnung zu schöpfen.
Dieses Vorgehen ist jedoch ein zweischneidiges Schwert, denn manchmal habe ich das Gefühl, dass die dysphorischen Gefühle zeitweise sogar noch stärker werden, und zwar wegen dem, was es mit mir macht, wenn ich die App verwende. Weil ich gleichwohl daran erinnert werde, dass ich eigentlich (noch lange) nicht so aussehe, wie ich mir das wünsche. Dennoch würde ich niemals wieder ein Selfie veröffentlichen, ohne es vorher so bearbeitet zu haben, dass mir das Ergebnis gefällt.
Bei einem eben erstellten Bild von mir bearbeite ich Stirn, Augen, Lippen, den Teint und einige andere Dinge, die mein Gesicht leider noch immer als eher männlich erscheinen lassen. Bei diesen Optimierungen handelt es sich nicht um auffällige Überarbeitungen meines Gesichts oder meines Körpers, aber sie machen den Unterschied in der Wahrnehmung aus. Mit Hilfe dieser Veränderungen kann ich mich wirklich wohl dabei fühlen, mich selbst auf Facebook oder Instagram zu veröffentlichen und mein Leben mit der Welt zu teilen.
Das hat nichts mit böswilliger Täuschung zu tun, sondern es ist für mich ein Hilfsmittel dabei, ein Gefühl des Wohlbefindens zu erlangen. Wohlbefinden, auch deshalb, weil ich guter Hoffnung bin, dass ich irgendwann keine App mehr dazu benötigen werde, um solche Fotos von mir ins Internet zu stellen.
*Dysphorie, hier gemeint Geschlechtsdysphorie oder auch Gender Dysphoria – gründet häufig dem Wunsch, als ein anderes Geschlecht als das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht zu leben und ist erkennbar an starker, anhaltender geschlechtsübergreifender Identifikation, die mit Angst, Depression, Reizbarkeit verbunden sein kann. Menschen mit Gender Dysphorie können mitunter davon überzeugt sein, dass sie in einen Körper haben, der mit der subjektiv empfundenen Geschlechtsidentität nicht vereinbar ist. Die extreme Form der Geschlechterdysphorie wird medizinisch als Transsexualismus bezeichnet. Ich bevorzuge den Namen Transidentität oder Transgender.
Wie ist es bei trans Männern? Einige machen eine Aufbau-Operation, andere leben mit Epithesen. Dazwischen liegen Welten. Das ist eins der Themen in der Herbst-Ausgabe der MANNSCHAFT (zum Shop).
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