Maya Hawke: «Wir müssen wieder wilder werden»
Neues Album und eine Rolle bei «Stranger Things»: Die 24-Jährige ist ein Naturtalent
Maya Hawke ist gerade gefühlt überall. Mit ihrem zweiten Album «Moss» bezirzt die queere Tochter von Uma Thurman und Ethan Hawke gerade Freund*innen erstklassiger, handgemachter Musik. Auch als Schauspielerin fällt sie auf – etwa in «Stranger Things» als lesbische Robin.
Wir sprachen mit Maya Ray Thurman Hawke, so ihr vollständiger Name, über Video in Los Angeles. Sie sass an einem Esstisch, trug ein weisses Schlabbershirt und war konzentriert, reflektiert und einfach auch irre nett.
Maya, du bist gerade in Los Angeles, ist es 11 Uhr morgens. Gehörst du zu den kreativen Hollywood-Menschen, die um diese Zeit schon wahnsinnig viel erledigt haben? Äh, nö (lacht). Ich bin nicht einmal besonders spät aufgestanden, aber abgesehen von ein paar Kleinigkeiten in den sozialen Medien habe ich noch nichts Nennenswertes vollbracht heute Morgen. Ich bin ohnehin kein Mensch, der gern unter einem straffen Zeitregiment lebt. Ich habe auch keine festen Routinen oder so. Ich mag Spontaneität.
Ist das ein Vorteil, wenn es um deine Arbeit des Songschreibens geht? Ich glaube schon. Ideen können mich jederzeit treffen. Ich habe generell viel Energie, aber diese Energie kommt immer sehr schubweise. Manchmal würde ich mir wünschen, ich wäre jemand, die sich morgens hinsetzt und erstmal einen schönen Song schreibt. Aber so läuft es bei mir nicht. Es gibt auch Tage, an denen schlurfe ich wie im Halbschlaf durch die Gegend und arbeite so gut wie gar nichts.
Das kennen wir alle, Maya. (Maya lacht.)
Dein erstes Album «Blush» kam Anfang 2020 raus. Wie hat die Corona-Zeit dein Songschreiben beeinflusst? Zum Besseren. Ich hatte immer viel Angst, was meine Musik betrifft. Angst, was die Leute wohl denken, ob sie meine Lieder gut finden, immer war da diese Unsicherheit. Während Corona musste man keine Show mehr aus sich machen, man musste nicht raus, sich nicht darstellen und verkaufen. Ich fand das sehr, sehr befreiend und wohltuend. Die Leute, die meine Musik finden wollten, konnten es tun. Aber der Druck war völlig weg.
Ist die Angst jetzt für immer verschwunden? Nein, sie ist noch da, aber es wird besser. Ich fühle mich selbstsicherer und wohler in meiner Haut als mit 19 oder 20. Ich merke, dass es mir immer leichter fällt, vor anderen Menschen ich selbst zu sein.
Du sagst über das Album «Moss», dass du beim Schreiben unter das Moos geschaut hast, um die Steine freizulegen, die sozusagen deinen Kern ausmachen. Ist «Moss» dein Coming-of-Age-Album? Nein, das empfinde ich nicht so. Auch über «Blush» haben die Leute schon gesagt, ich besinge den Abschied von der Jugend und den Beginn des Erwachsenseins. Aber wenn überhaupt, dann denke ich, dass das gesamte Leben ein allmählicher Prozess des Erwachsenwerdens ist. Das geht nicht von heute auf morgen und ich glaube auch nicht, dass du irgendwann einen Zielpunkt erreichst, an dem du sagst «So, Maya, jetzt bist du eine fertige Erwachsene». Ich kann mir das jedenfalls nicht vorstellen. Wir alle verändern und wandeln uns doch permanent.
Begegnest du dem Erwachsensein insgesamt mit Skepsis? Ich mag es, zu reifen und mich beständig weiterzuentwickeln. Aber ich will niemals fertig sein oder das Gefühl haben, ich sei angekommen.
Geht es in «Crazy Kid» um dich selbst? Natürlich. In dem Song betrachte ich eine Beziehung, in der die andere Person mich nicht so akzeptiert, wie ich bin. Menschen finden immer Gründe zu sagen, du sollst dich ändern, erwachsener werden, nicht so laut sprechen, ganz egal. «Crazy Kid» handelt davon, deine eigene Stimme zu erheben und nicht zu verstummen in einer Beziehung, in der du das Gefühl hast, kleingemacht zu werden und unterzugehen.
Hast du eine Vorstellung davon, ob und wie du ohne deine künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten in der Welt zurechtkommen würdest? Ich hatte immer meine Kreativität als einen Anker im Leben. Ich weiss noch gut, wie ich als sehr kleines Mädchen oft noch spätabends im Büro meines Vaters im «Chelsea Hotel» in Manhattan war, nicht schlafen konnte, Angst hatte oder traurig war. Dann holte er mich an die Schreibmaschine, und wir schrieben zusammen ein Gedicht. Ich erinnere mich auch, mit meiner Mutter auf dem Land zu sein, Blumen zu pflücken und sie zum Trocknen in dicke Bücher zu pressen. Es gab eigentlich nie eine Zeit in meinem Leben, in der Kreativität nicht zentral war. Sie war immer mein Werkzeug, um Freude, Schmerz und Veränderung zu begleiten.
Maya Hawke
kam in New York zur Welt und hat neben dem zwei Jahre jüngeren Bruder Levon noch einige Halbgeschwister aus den früheren oder späteren Beziehungen ihrer Eltern Uma Thurman und Ethan Hawke (verliebten sich 1997, liessen sich 2005 scheiden).
Aufgefallen ist sie das erste Mal als Blumenmädchen im Charles-Manson-Harem in «Once Upon A Time In Hollywood» (2019), der Mainstream-Durchbruch gelang ihr als lesbische Robin Buckley in «Stranger Things», bald wird sie im neuen Wes-Anderson-Film «Asteroid City» zu sehen sein. Und für die aktuelle Calvin-Klein-Kampagne hat sich Hawke in Leibwäsche ablichten lassen. Kürzlich ist ihr zweites Album «Moss» erschienen: klug wie poetisch getexteter und verträumt-akustischer Gitarren-Folk-Pop.
Wie jung warst du, als du erste Songs geschrieben hast? Vielleicht neun, höchstens zehn. Zwischendurch hörte ich ein paar Jahre auf, im College fing ich wieder an und blieb dann dabei. Musik ist für mich die beste Möglichkeit, mich anderen Leuten mitzuteilen. Sauer zu sein und jemanden anzuschreien, das klappt bei mir nicht so gut. Das Gegenüber hört eh nie richtig zu oder schreit bloss zurück. Aber wenn ich singe, dann horchen die Menschen auf. Gerade als Kind hatte ich immer diese Traurigkeit in mir. In vielerlei Hinsicht war ich ein melancholisches und einsames Kind. Mich in meinen Liedern auszudrücken, hat mir im Leben sehr geholfen.
Weil Musik dich weniger traurig macht? Nein, nicht weniger traurig. Aber die Musik hat mir einen Weg gezeigt, mich durch die Traurigkeit hindurchzubewegen.
Du hast Schauspiel auf dem renommierten «Juillard College» in New York studiert und 2017 dein Schauspieldebüt in der BBC-Serie «Little Women» gegeben. Hast du je daran gezweifelt, dich beruflich mit Musik und Schauspielerei zu beschäftigen? Ich war mir immer sicher, irgendwas mit Kunst zu machen. Im Sommercamp war ich jedes Jahr bei den Aufführungen dabei, später in der Schule spielte ich auch Theater. Aber ich habe gezögert, die Schauspielerei zu meinem Beruf machen zu wollen. Ich erlebte aus erster Hand mit, wie ungesund dieser Beruf, dieses Business ist. Aber schliesslich musste ich feststellen, dass Schauspiel und Musik die einzigen Dinge sind, die mich beruflich wirklich glücklich machen.
Du hast jetzt zwei Alben veröffentlicht, hast eine grosse Rolle in «Stranger Things», bist demnächst im neuen Wes-Anderson-Film «Asteroid City» zu sehen und drehst jetzt zusammen mit deiner Mutter den Thriller «The Kill Room». Bist du überrascht, wie gut die Karriere läuft? Ja, gar keine Frage. Ich hatte das grosse Glück, als Tochter von zwei Menschen aufzuwachsen, die wissen, wie das Geschäft funktioniert und die mir helfen, mich in meinem Beruf zurechtzufinden. Aber ich bin 24, ich treffe meine eigenen Entscheidungen, und da habe ich eine einfache Regel: Ich verlasse mich auf mein Bauchgefühl.
In deinem Song «Thérèse» spielst du auf das Gemälde «Thérèse Dreaming» von Balthus an, das im New Yorker Metropolitan Museum of Art hängt. Auf dem Bild sitzt ein junges Mädchen in selbstvergessener Pose auf einem Stuhl, es hat die Hände über dem Kopf verschränkt, man sieht seine weisse Unterhose. Findest du dich selbst in Thérèse wieder? Ich liebe dieses Bild, seit ich klein bin. Ich weiss gar nicht, wie oft ich mit meiner Mutter oder später auch allein im Museum war, um es mir anzuschauen. Thérèse ist so cool, so unbelastet, so frei. Als Kind war sie für mich total real, so wie auch Harry Potter für mich eine reale Person war und keine Buchfigur.
Vor einigen Jahren entbrannte um das Bild eine Kontroverse. Es gab eine – erfolglose – Petition, es abzuhängen, weil es sexistisch sei und ein junges Mädchen in allzu voyeuristischer Pose zeige. Als ich von dieser Debatte erfuhr, gab das den Ausschlag, mich wieder mit diesem Gemälde zu beschäftigen und letztlich diesen Song zu schreiben. Ich habe dabei nicht an den Maler und seine möglichen Motive gedacht, sondern an das Mädchen selbst. Thérèse lebt in diesem Augenblick in ihrer eigenen Gedankenwelt, sie achtet nicht darauf, wie andere sie sehen, sie ist ganz nah und unmittelbar bei sich selbst. Das Problem liegt nicht bei ihr, sondern bei der Person, die sie anglotzt.
Im Musikvideo zu «Thérèse» feierst du unbekleidet mit anderen eine Art Orgie im Wald. Um den Clip online zu sehen, muss man etwa bei Youtube erst sein Alter nachweisen. Wie findest du das? Das ist typisch für diese Art von Prüderie und Konservatismus, wie sie vor allem in den USA herrscht. Das wird, so mein Eindruck, immer schlimmer. Du hast tausende von Videos mit horrender Gewalt, auf denen Menschen erschossen werden, und die kann sich jede*r jederzeit angucken. Aber eine weibliche Brustwurze und alle flippen immer noch aus. Woher kommt nur diese Angst vor der weiblichen Sexualität?
Wir alle sind sexuelle, freie, tagträumende Wesen
Hast du eine Theorie? Mir scheint das nicht logisch. Sobald einem Mädchen Brüste wachsen, ist die Gesellschaft auf einen Schlag der Ansicht, sie sei ein sexuelles Wesen. Nun musst du dich bedecken, vorsichtig sein, aufpassen, wie Männer dich angucken oder sich dir nähern. Die Gesellschaft sagt nicht: Mädchen, geniesse deine Pubertät und probiere dich aus. Sie sagt: Mädchen, hüte dich. Mein Video soll die freie, selbstbestimmte weibliche Sexualität aus der Schmuddelecke rausholen und feiern. Wir haben ein recht darauf, uns wohlzufühlen, ohne angestarrt und bewertet zu werden. Wir alle sind sexuelle, freie, tagträumende Wesen, das sollte uns die Gesellschaft nicht nehmen. Wir alle haben das Recht, wie Thérèse zu sein.
Die Ära, die deinem Ideal am nächsten kommt, war wohl die Hippie-Zeit. Ja, total. Das war vielleicht das liberalste Zeitalter, das es jemals gab. Ich wünsche mir so sehr, dass unsere Gesellschaft sich wieder in diese Richtung bewegt. Natürlich gab es seinerzeit auch viel Falsches und Kritikwürdiges, wie in jeder grundsätzlich positiven Bewegung. Aber wenn ich die Wahl habe zwischen Freiheit und Selbstbestimmtheit und einem moralisierenden Konservatismus, dann nehme ich jederzeit die Freiheit. Ich denke, wir müssen als Gesellschaft endlich wieder ein bisschen wilder werden.
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