Marcel Mann: Musterknabe trifft Männer in Uniform
Der Comedian mannstruiert wieder (Teil 3)
Marcel Mann schreibt in seiner MANNSCHAFT-Kolumne Mannstruation über seine Musterung, was vielleicht einige unter dem Begriff Aushebung kennen – oder: «Der Tag, an dem ich meine Hosen anbehalten durfte»
Während ich hier an meinem Küchenfenster sitze und beginne zu schreiben, schweift mein Blick mit wachsendem Interesse über den weissen Kastenwagen des götterbotischen Paketzustellers, der sich daran macht meine Lieferung beim Kiosk gegenüber abzugeben anstatt bei mir zu klingeln. Anstatt weiter zu schreiben, beginne ich nun Schrotflinten zu googeln. Keine Sorge, ich würde ihn nie treffen. So schnell liefert Amazon auch nicht.
Prinz Harry als «Held der Schwulen» in der britischen Armee
Unabhängig von Lieferzeiten würde ich niemanden treffen, selbst wenn ich mit einer Flinte aus zwei Metern Entfernung nach ihm werfen würde. Denn ich habe es nie gelernt. Ich war nie bei der Bundeswehr. Ich war nie Teil einer Armee. Für ein Foto war ich kurz ein Funkenmariechen. Näher komme ich an keine Uniformerfahrung ran. Aber: Ich war bei der Musterung.
War jemand von euch mal bei einer Musterung? Da fasst euch jemand untenrum an, kostenlos! – und Ihr geht nicht hin? Einer der spassigsten Ausflüge meines Lebens. (Autor lächelt sanft und schüttelt ironisch den Kopf) Ich gehöre zum letzten Jahrgang germanischer Männer (Autor kichert), die wegen ihrer Wehrpflicht zur Musterung in eine Kaserne einbestellt wurden. Ich wiederhole: Zum letzten Jahrgang. Ein Jahr später wurde die Wehrpflicht abgeschafft. Das nenne ich mal unsympathisches Timing.
Die Musterung, das war für mich wie zu einem Casting gehen zu müssen, bei dem ich die Rolle definitiv nicht will. Das kann ich mit Gewissheit sagen, denn ich war schon bei Castings für Wodka-Werbung, bei der ich mir vorstellen sollte, ein Barkeeper zu sein, der mit der Zauberkraft des Schnapses Schlangen, die auf dem Etikett der zu bewerbenden Spirituose abgebildet waren, zum Leben zu erwecken. Es war selbstredend ein Wodka mit leichtem Apfelaroma. Da waren offensichtlich wieder die Marketinggötter gemeinsam im Kinderbecken brainstormen. Ich darf aus rechtlichen Gründen den Markennamen nicht nennen.
Das Casting war jedenfalls absolut erniedrigend. Der geiernde Caster hinter der Kamera rief mit lüsterner Stimme während des Castings Sätze wie: Stell dir vor, die Schlange wird grösser. Ja, spiel mit ihr! Ich wollte nicht mir ihr spielen. Ich vertraute ihr nicht. Ich habe als katholisches Kind das Dschungelbuch gesehen. Das prägt … Konzentration!
Kehren wir zur Musterung zurück: Was für ne Zeitverschwendung. Hätten die sich nicht einfach mein Facebookprofil (Insagram gab es damals noch nicht. Whaaaaat?!?) angucken können? Da hätten alle Beteiligten früh bemerkt, dass es nicht so passt. Da gibt es eine kleine Diskrepanz der Interessen. Kein Match. Aber nein, ich musste hin.
Wenn man mich so ansieht, sieht man so viele Dinge, bevor man sich mich als Soldat vorstellt. Matrose – okay. Allein das Blau und diese putzige Mütze. Aber Soldat? Gegen wen sollte ich kämpfen? Kindersoldaten? Erdmännchen? Es gibt Sandsäcke, die sind schwerer als ich. Kennt Ihr dieses eine Kind, dass im Sportunterricht beim Weitwurf den Ball hinter sich warf? Und sich dabei selbst verletzt hat? Dieses Kind war ich! Ich treffe nichts.
Als diese Vorladung kam, hatte ich wirklich Panik, dass ich jetzt zur Bundeswehr muss. Alle schlimmen Kindheitserinnerungen von Schiessbudenständen auf Rummelplätzen kamen hoch. «AAAAhhh! Ich treffe nicht. Ich werde niemals eine Diddlmaus für mein Vaterland schiessen!»
Im Nachhinein sage ich mir manchmal: Hätten die mich genommen, wäre die Wehrpflicht noch schneller abgeschafft worden. „«Die Sache mit Marcel – das darf uns nie wieder passieren!» Stellt euch mal mich beim Militär vor. Der Oberfeldwebel oder die Soldatenkönigin (halten wir uns jetzt nicht mit Begrifflichkeiten auf) schreit: Rechts rum! Und ich so: Ja, ich finde schon, es sollte ein Ruck durch’s Land gehen, aber allein ideologisch gesehen spüre ich mich eher im linken Spektrum. No offence.
Was wäre meine Aufgabe bei der Bundeswehr gewesen? Tarnkleidung nach Saison und Anlass sortieren?
Anlegen! Ich wieder: Ich will jetzt echt mit keinem anlegen. Im Waldorfkindergarten habe ich gelernt, den Konflikt schwesterlich auszufilzen. Ja, meine Vorstellung vom Wehrdienst und Waldorfkindergärten sind stark klischeebehaftet, und ich teile sie gerne. Was wäre meine Aufgabe bei der Bundeswehr gewesen? Was? Tarnkleidung nach Saison und Anlass sortieren? Stulpen fürs Panzerrohr designen? Und erst das Marschieren!
«Hätte ich weniger in der Hose, wäre das Bild nicht gelöscht worden»
Ihr habt’s sicher bemerkt: Taktgefühl und ich – näää. Wobei das mit den Tarnfarben im Gesicht. Hell-Khaki, Dunkel-Khaki, Sahara-Beige. Das wäre was für mich gewesen! Ich hätte das super natürlich ausgeblendet. Jahreszeiten-bezogen auskoloriert. Im Herbst auch ein bisschen was rötliches ausprobiert. Aber nein, dieses kreative Schlupfloch, das war es nicht wert.
Vor dieser Musterung hab ich mir echt überlegt, was ziehe ich an? Hab mir die praktischsten Outfits zurecht gelegt. Outfits die sagen: ich bin ein zurechnungsfähiger Bürger, der Ein- und Ausatmen unterscheiden kann. Und genau diese Outfits habe ich wieder zur Seite gelegt. Ich bin in dieser Kaserne aufgetaucht … sagen wir mal so: Selbst Harald Glööckler hätte es als überladen empfunden. Die anderen Mitbewerber, die genauso wenig zum Bund wollten und deswegen super bekifft dort ankamen, dachten sich, als sie mich sahen: Scheisse, das war echt jetzt zu viel Gras.
Ich musste nicht mal was einnehmen, um direkt aussortiert zu werden. Ich war wegen meiner nüchternen Persönlichkeit ungeeignet. In diesem Gebäude der Bundeswehr wurde ich von Raum zu Raum geschickt, jedes Mal von jemand anderem befragt. Stets in der Angst, nur eine richtige Antwort von der Einberufung entfernt zu sein. Die Prozedur hatte was von dem Parcours bei Takeshi*s Castle. Nur leider ohne lustige Japaner. Wäre ich noch durch ’ne weitere Tür gegangen, ich schwöre, ich wäre in Narnia rausgekommen!
Die Bundeswehr – im Gleichschritt Richtung Diversity?
Irgendwann sass ich schliesslich vor einem Arzt. Nach einem interessanten Gespräch darüber, ob ich mir vorstellen könnte mit meinen Kameraden gemeinsam zu duschen und ich darum bat die Kameraden doch erstmal sehen zu dürfen, wurde ich ausgemustert. Ein seriöses Unternehmen hätte mir diesen Wunsch gewährt. Die Firma Kühne lässt ihre Kunden auch die Gurken im Glas sehen, bevor sie sie kaufen. Doch in diesem Punkt setzt das Verteidigungsministerium auf Intransparenz.
T1 ist das beste. Ich war T5
Ich wurde nicht mal von dem Arzt angefasst! Dabei hatte ich tagelang geübt, wie man richtig hustet. Ich fiel in die Tauglichkeitskategorie 5. Ohne ärztliche Untersuchung. T1 ist das beste. Ich war T5. Es gibt gelähmte Männer, die sind nicht mal T5. Ich bin der Kopflose unter den Blinden.
Versteht mich nicht falsch! Die Armee hat schon ihre Funktion. Bei einem Hochwasser, da brauch ich keinen Zivi. Die sind gar nicht so gut stapelbar, wie man vielleicht vermutet. Und ein Mann in Uniform zur richtigen Zeit – keine falsche Idee. Der Tag meiner Musterung war auch kein gänzlich sinnloser Tag und gewiss nicht der schlimmste meines Lebens. An diesem Tag habe ich zwei wichtige Dinge gelernt. Duschen ist für mich keine Gruppenaktivität, das bestätigt nun auch ein Attest, und sich voller naiver Hoffnung eine offizielle Unterhose anzuziehen, lohnt nicht. Genau an dem Tag will sie dann doch keiner sehen. Selbst wenn sie Sahara-Beige gewesen wäre. Dankeschön. Wegtreten!
Mehr von Marcel Mann gibt es hier.
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