«Du bist offenbar schwul, du hast eine Platte von Judy Garland»
Marc Almond wird 65 und sagt: «Kreativ lief es nie besser»
Als Teil des Synthpop-Duos Soft Cell wurde Marc Almond in den 80er Jahren mit Hits wie «Tainted Love» und «Torch» berühmt. Neben seiner Solokarriere ist er heute auch wieder mit Soft Cell aktiv. Kurz vor seinem 65. Geburtstag hat das Duo ein neues Album veröffentlicht.
Von Philip Dethlefs, dpa
Marc Almond trifft mit leichter Verspätung im Hotel ein, das mitten in Londons Ausgehbezirk Soho liegt. Der britische Sänger kommt direkt aus seiner neuen Wahlheimat Portugal. Vor kurzem ist er in die Küstenstadt Cascais nahe Lissabon gezogen.
«Nach der Pandemie musste ich mal weg von hier, ich fühlte mich so eingesperrt», sagt Almond im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. «Ich dachte mir, ich muss die Dinge mal für eine Weile von aussen betrachten. Ich bin mir sicher, dass ich irgendwann zurückkomme.»
Jetzt ist er für ein intimes Konzert nach London gekommen. Der Sänger wird dabei nur von einem Pianisten begleitet. Anlass ist Almonds 65. Geburtstag an diesem Samstag. «Ich dachte mir, ich mache mal was Besonderes», erzählt er vergnügt. «Statt mich zu verstecken, wie ich das sonst an meinem Geburtstag mache. Ich stelle mich und mache es zu einem Event. Es ist ja schliesslich ein Meilenstein.»
Dass er Mitte 60 ist, sieht man dem Popstar, der als Peter Mark Sinclair Almond am 9. Juli 1957 im englischen Badeort Southport geboren wurde, kaum an. Leicht gebräunt, mit schwarz gefärbten Haaren unter einer Baseball-Mütze, sitzt er auf dem Sofa und ist bestens gelaunt. «Um ehrlich zu sein, je älter ich werde, desto mehr gefällt mir das Leben», sagt Almond, der mit Keyboarder und Arrangeur David Ball das Synthpop-Duo Soft Cell bildet. «Mein Leben ist sehr viel klarer. Kreativ lief es noch nie besser. Alles ist in den letzten Jahren irgendwie klarer geworden.»
Gerade haben Soft Cell ihr erstes Studioalbum seit 20 Jahren veröffentlicht. «Happiness Not Included» begeisterte Fans und Kritiker gleichermassen. Dank der Pandemie hatte Almond viel Zeit, um daran zu schreiben. «Ich wollte kein Album über Lockdown und Covid und sowas machen», betont er. «Aber die Atmosphäre hat mich beeinflusst, dieses merkwürdige abgeschottete Leben, das wir hatten, als wir die Welt da draussen nur durch den Computer gesehen haben.»
Eigentlich hatten Soft Cell 2018 schon ihr Abschiedskonzert gegeben. «Ich dachte, das wär’s dann», sagt Almond. Doch dann fragte ihn die Plattenfirma nach einem neuen Album. Er lehnte zunächst ab. «Aber Dave wollte das wirklich machen, und ein Teil von mir dachte: Lass mal hören, ob du was Gutes hast, was mir gefällt. Und dann hat er mich mit all diesen Liedern bombardiert, und ich hab sofort Melodien dazu geschrieben.» Noch bevor die Platte im Mai veröffentlicht wurde, gingen Soft Cell auch wieder auf Tournee.
Auch mit den Pet Shop Boys hat Almond kürzlich einen Song aufgenommen:
Als Teenager hatte Almond in Southport in Bands gesungen, die vor allem Rockmusik machten. «Wir haben in den örtlichen Diskotheken gespielt – Songs von Deep Purple, Free oder den Doors. Und T.Rex.» Dass sich Marc Almond heute nicht mehr mit k, sondern mit c schreibt, liegt daran, dass er als Jugendlicher ein Riesenfan der Glamrocker um Frontmann Marc Bolan war. Eine Karriere als Rocksänger kam ihm nicht in den Sinn. «Ich wusste gar nicht, wie ich das anstellen sollte.»
An der Kunsthochschule in Leeds, wo er sich nach eigenen Worten in «Performance Art und Theaterzeug» versuchte, lernte er David Ball kennen. «Dave hatte einen Synthesizer und hat all diese coolen Sounds gemacht», erinnert er sich. «Und ich habe meine Stimme mit all diesen Effekten verzerrt und seltsame robotermässige Effekte gemacht. Das war in gewisser Weise die Geburt von Soft Cell.»
Die Coverversion von Gloria Jones‘ «Tainted Love» wurde 1981 zum Durchbruch-Hit. In Grossbritannien und Deutschland belegten Soft Cell damit Platz 1 der Hitparaden. Nach weiteren Hits wie «Say Hello, Wave Goodbye» oder «Torch» trennte sich das Duo 1984 vorerst.
Heute unvorstellbar: Seine Plattenfirma riet Marc Almond seinerzeit, zu verheimlichen, dass er homosexuell ist. «Damals war es so: Wenn du ein schwuler Künstler bist, dann bist du nur für Schwule interessant», erklärt er. Das PR-Team lancierte deshalb in der Presse Geschichten über ihn. «Wenn ich mit einer Frau fotografiert wurde, haben die immer eine Story über eine angebliche Affäre gebracht.» Heute kann er offen über Russlands Präsident Putin lästern (MANNSCHAFT berichtete).
Du bist offensichtlich schwul, du hast eine Platte von Judy Garland in deiner Sammlung.
Erst Ende der 80er Jahre war damit Schluss. «Ich glaube, es war 1987, da hat jemand meine Plattensammlung angeschaut und gesagt: ,Du bist offensichtlich schwul, du hast eine Platte von Judy Garland in deiner Sammlung.’» Almond lacht. «Da hab‘ ich gesagt: ,Natürlich, das ist doch wohl ziemlich offensichtlich.’» Verheiratet war er nie. In Cascais lebt er nun mit einem Freund, nachdem er die Pandemie-Zeit noch allein in Grossbritannien verbracht hatte.
Als Solokünstler hat Almond bis heute mehr als 20 Alben mit sehr unterschiedlichen Stilrichtungen veröffentlicht. Das kommerziell erfolgreichste war «The Stars We Are» von 1988 mit den Singles «Tears Run Rings» und «Something’s Gotten Hold Of My Heart». Sein bislang letztes war 2020 «Chaos And A Dancing Star».
Auch mit Soft Cell könnte es bald weitergehen. «Wir würden gern noch mehr Konzerte spielen», sagt Marc Almond. «Jetzt, wo die Maschine wieder läuft.»
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