So feiert Kanada 50 Jahre Entkriminalisierung von Homosexualität
Die Regierung von Premierminister Justin Trudeau hat den Plan für eine 1-Dollar-Münze im Dezember abgesegnet
Aus LGBTIQ-Perspektive ist 2019 weltweit ein echtes Superjubiläumsjahr. Natürlich steht «50 Jahre Stonewall» an, woran auch ausserhalb der USA erinnert wird. In Deutschland stehen gleich drei Grossjubiläen an, für die wenigstens ein paar Kultureinrichtungen Interesse bekundet haben. Aber es ist die Regierung von Kanada, die unter Premierminister Justin Trudeau 2019 nicht nur mit einer besonders üppigen CSD-Parade oder einer Ausstellung an die Entkriminalisierung von Homosexualität 1969 im Land erinnert, sondern extrem sichtbar für alle: mit einer neuen Ein-Dollar-Münze, genannt «Loonie».
Sex zwischen gleichgeschlechtlichen Erwachsenen wurde in Kanada 1969 als Straftat aus den Gesetzbüchern gestrichen, nachdem zwei Jahre zuvor der damalige Justizminister Pierre Trudeau eine erste Änderung eingeführt hatte. Damals sprach er die berühmten Worte: «Der Staat hat in den Schlafzimmern der Nation nichts zu suchen!»
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Trudeau Senior sagte auch, dass die Gesetzesänderung viele Tabus aufräume und Kanada zu einer «zeitgemässen Gesellschaft» mache.
Die Entwicklung in Kanada spiegelte Ereignisse in Grossbritannien, wo der sogenannte «Sexual Offences Act» schon 1967 verabschiedet worden war. Grossbritannien hatte daran 2017 mit einer Fülle von Events – Ausstellungen, Theateraufführungen, Fernsehfilmen, Büchern, BBC-Serien usw. – erinnert unter dem Schlagwort «Queer Britain».
Das Design für die neue kanadische Dollar-Münze wurde von der Regierung von Pierre Trudeaus Sohn, Premierminister Justin Trudeau, im Dezember abgesegnet, wie die Canadian Broadcasting Corporation (CBC) meldete.
Equality auf Englisch und Französisch Soweit bisher bekannt, werden auf der Münze die Daten 1969 und 2019 zu sehen sein sowie das Wort «equality» auf Englisch und Französisch.
Der Name des Künstlers ist nur als RA genannt. In einem offiziellen Schreiben ist die Rede davon, dass man «zwei überlappende stilisierte Gesichter in einem grossen Kreis» sehen werde, die so gestaltet seien, dass sie zusammen ein «ganzes Gesicht» ergeben.
Man will den Imact des Launch maximieren
Ansonsten weigert sich The Royal Canadian Mint bislang, ein Bild oder weitere Details preiszugeben, auch nicht das offizielle Datum der Ausgabe. Sie sagen, sie wollen so den «Impact» des Launch «maximieren».
Trudeaus offizielle Entschuldigung Die Bestätigung der Dollar-Münze durch die Regierung folgt direkt auf das neue Gesetz, das im Juni in Kraft trat und Teil von Justin Trudeaus offizieller Entschuldigung von 2017 gegenüber LGBTIQ-Kanadiern ist, die in der Vergangenheit von Behörden diskriminiert wurden. Der sogenannte «The Expungement of Historically Unjust Convictions Act» erlaubt es Personen, die wegen einvernehmlichen gleichgeschlechtlicher Aktivitäten zwischen Erwachsenen verurteilt worden waren, die Vernichtung oder dauerhafte Streichung der entsprechenden Passagen in ihrer Kriminalakte anzufordern. Es geht um geschätzte 9.000 Fälle.
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Die offizielle Entschuldigung Trudeaus war gekoppelt an ein Budget von 145 Millionen Dollar, darin enthalten sind 110 Millionen Dollar für die Wiedergutmachung von ehemaligen LGBTIQ-Beamten, deren Karrieren ruiniert oder stark behindert wurden wegen ihrer sexuellen Orientierung. Weitere 15 Millionen Dollar sind für «historische Aussöhnung, Bildung und Erinnerungsbemühungen» vorgesehen.
Viele Menschen wurden nach 1969 weiterhin verhaftet
Der Sprecher The Royal Canadian Mint, Alex Reeves, sagte zur Presse, zwei LGBTIQ-Gruppen seien für die Planung der neuen Dollar-Münze konsultiert worden: die in Toronto ansässige «Egale Canada» und das «Canadian Centre for Gender and Sexual Diversity» (CCGSD) mit Sitz in Ottawa. Ein Sprecher der letztgenannten Gruppe, selbst stark involviert mit Bildungsmassnahmen zur Geschichte der Diskriminierung, empörte sich über die Behauptung der Regierung, dass Homosexualität 1969 entkriminalisiert worden sei, weil das nur teils stimme. Denn: «Einvernehmlicher Sex» betraf nur Erwachsene über 21, sagt Cameron Aitken. «Viele Menschen wurden weiterhin verhaftet», so Aitken.
Die neue LGBTIQ-Münze folgt einem gleichfalls neuen 10-Dollar-Schein, der Viola Desmond zeigt und feiert, die schwarze Aktivistin, die 1946 die Rassentrennung in Kanada in Frage stellte.
Magnus Hirschfeld, Richard Oswald und die Nachseptemberzeit Auch in Deutschland gibt es 2019 mehrere wichtige LGBTIQ-Jubiläen. Vor 50 Jahren begann hier die «Nachseptemberzeit», jene Ära nach der ersten Liberalisierung des Paragrafen 175 im September 1969. Ganz gestrichen wurde der Paragraf bekanntlich erst 1994 in Gesamtdeutschland (in der DDR bereits 1968).
Vor 100 Jahren eröffnete Magnus Hirschfeld sein Institut für Sexualwissenschaft, das weltweit erste Forschungszentrum dieser Art, das auch eine wichtige Bibliothek und Sammlung zur Geschichte von LGBTIQ weltweit aufbaute, die von den Nazis im März 1933 komplett vernichtet wurde. Ebenfalls 1919 kam Richard Oswalds «Anders als die Andern» in die deutschen Kinos: der erste Film zum Thema Homosexualität überhaupt, nachdem in Deutschland durch den Wegfall der Zensur im Rahmen der Revolution vom 1918/1919 solche «unsittlichen» Thematiken möglich geworden waren.
Rechtradikale protestierten dennoch so stark, dass der Film wieder abgesetzt werden musste.
Man darf gespannt sein, ob sich die Bundesregierung zu einem der Jubiläen etwas einfallen lässt, das vergleichbar wäre mit der kanadischen Ein-Dollar-Münze oder ebensolche Alltagssichtbarkeit erzeugt.
Goethe-Institute in Nordamerika Immerhin haben die Goethe-Institute in Nordamerika in Kooperation mit dem Schwulen Museum Berlin und Kuratorin Birgit Bosold eine Wanderausstellung zu «50 Jahre Stonewall» angekündigt, wie dem Januar-Newsletter des Museums zu entnehmen ist.
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Man darf gespannt sein, ob darin gestritten wird, wer 1969 in der Christopher Street den ersten Stein geworfen hat: eine schwarze Trans-Person oder eine weisse Butch-Lesbe? (Und ob vielleicht sogar der ein oder andere weisse Cis-Mann dabei gewesen sein könnte?)
Die Kooperationsausstellung wird zuerst in den USA, Kanada, Mexiko und dann Ende 2919 in Berlin gezeigt, um anschliessend weltweit auf Tournee zu gehen – mit einer queerfeministischen Perspektive statt des alten (überholten) Schwulenaufstandnarrativs.
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