«Kampf für lustvolles schwules Leben»: Martin Dannecker wird 80
In Frankfurt gründete er die homosexuelle Emanzipationsgruppe «Rote Zelle Schwul» mit
Am 8. November wird Martin Dannecker 80 Jahre alt, und u.a. der deutsche Queer-Beauftragte gratuliert.
Martin Dannecker, vor 80 Jahren als Kind einer Bauernfamilie im Schwarzwald geboren, sei «ein Glücksfall für die Aufklärung und Emanzipation, für Respekt im Zusammenleben von Menschen aller sexuellen und geschlechtlichen Identitäten». Mit diesen Worten gratuliert in einem Artikel der Deutschen Aidshilfe Helmut Metzner, geschäftsführender Vorstand der Magnus Hirschfeld-Stiftung.
Sven Lehmann, der deutsche Queer-Beauftragte, lobt Danneckers «mutigen Aktivismus» und seinem «klaren Intellekt». Lehmann weiter: «Du hast die schwule Emanzipation in Deutschland massgeblich angetrieben und geprägt. Ich bin tief beeindruckt von Deinem lebenslangen Kampf für ein offenes, sexpositives, lustvolles, bejahendes und selbstbewusstes schwules Leben.»
1971 erschien Rosa von Praunheims Film «Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt», an dessen Drehbuch Dannecker mitwirkte. Das Zitat «Die romantische Liebe ist nichts anderes als extreme Selbstliebe» stammt neben vielen anderen von ihm. Die WDR-Produktion gilt als Initialzündung für die radikale schwule Emanzipationsbewegung.
Am Morgen nach der Ausstrahlung, das hat er der taz mal erzählt, rief der empörte Vater Dannecker ihn an. «Er sagte mir, dass meine Mutter nicht mehr einkaufen gehen könne aus lauter Scham.»
Mit 13 ging Dannecker von der Schule ab und begann 1956 eine Ausbilung zum Industriekaufmann. Bevor er in Frankfurt am Main zum schwulen Aktivisten wurde, liess er sich noch in Stuttgart zum Schauspieler ausbilden. Danach kam Frankfurt, wo er Philosophie, Soziologie und Psychoanalyse studierte und die homosexuelle Emanzipationsgruppe «Rote Zelle Schwul» mitbegründete, kurz: RotZSchwul.
1974 erschien «Der gewöhnliche Homosexuelle», die grosse Studie, an der er viele Jahre mit Reimut Reiche gearbeitet hatte. «Die erste Untersuchung, die den gesamten Lebenszusammenhang Homosexueller in den Blick nimmt und den Zusammenhang von individuellem Triebschicksal Homosexueller und dem sozialen Zwang, dem sie ausgesetzt sind, im einzelnen aufzeigt», heisst es im Klappentext. Wer schwul war oder es ahnte, der las damals dieses Buch.
Ab 1977 prägte er in Frankfurt bei Volkmar Sigusch die progressiven Sexualwissenschaften, der die Sexualmedizin als eigenständigen Wissenschaftsbereich etabliert hatte.
In den 80ern engagierte sich Dannecker in vielen aufreibenden AIDS-Debatten. Seine Thesen waren nicht unumstritten. So attackierte er die damals aufkommenden Debatten über Safer Sex oder gar Forderungen nach Enthaltsamkeit. Während Rosa von Praunheim Schwule aufforderte, von ihrem promiskuitiven Verhalten zu lassen, setzte sich Dannecker für gelebte Sexualität ein. Ungeschützten Geschlechtsverkehr moralisch abwerten lassen – das ging für ihn nicht. Über den bewussten Verzicht auf das Kondom bei homosexuellen Männern schrieb er vor 15 Jahren für hivandmore.de: «Diese Phänomene müssen vorurteilsfrei analysiert und diskutiert werden. Eine Prävention, die zur Diktatur der Gesundheit und normativer Vorstellungen der sexuellen Lebensführung wird, ist inhuman.»
Mit seinen Thesen schonte Dannecker weder Gesundheitspolitiker*innen noch Aids-Hilfen, die gezwungen waren, ihre Ansätze zur Prävention immer wieder zu überdenken. Später dankten sie es ihm und machten ihn 2016 zum Ehrenmitglied der Deutschen Aids-Hilfe.
Noch bis Ende 2005 lehrte der wohl bedeutendste deutsche Theoretiker zur Homosexualität der Nachkriegszeit am Institut für Sexualwissenschaft des Klinikums der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und lebt heute in Berlin, wo er über Internetsexualität forscht.
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