«Jugendliche lassen sich nicht so klar festlegen»

Heinz-Jürgen Voß über Binärität und Geschlechter

Heinz-Jürgen Voß, Professor für Sexualwissenschaft und Sexuelle Bildung, sitzt mit einem Buch aus dem Kita-Koffer in der Hochschule Merseburg (Bild: Jan Woitas/dpa)
Heinz-Jürgen Voß, Professor für Sexualwissenschaft und Sexuelle Bildung, sitzt mit einem Buch aus dem Kita-Koffer in der Hochschule Merseburg (Bild: Jan Woitas/dpa)

Die gesellschaftliche Debatte um Geschlechteridentitäten wurde in Deutschland vergleichsweise spät eröffnet. Dass wir heute darüber reden, hat auch mit der Jugend und ihrem Verständnis von sich und anderen zu tun.

Wer bin ich? Und wer sind die anderen? Über Fragen der geschlechtlichen Identifikation wird heute anders gesprochen als noch vor wenigen Jahren. «Junge Leute nehmen sich heute anders wahr», sagte Sexualwissenschaftler Heinz-Jürgen Voß von der Hochschule Merseburg, an der er den Studiengang Sexologie leitet.

Junge Leute nehmen sich heute anders wahr. Sie lassen sich nicht so klar festlegen

Jugendliche vertrauten heute häufiger auf andere, nähmen Denkschubladen nicht mehr so eng und streng wahr. «Sie lassen sich nicht so klar festlegen», sagte der Professor.

Die Debatte um gesellschaftliche Identifikation finde laut Voß in Deutschland jedoch erst seit 2010 statt. «Die Reflexion von Binärität – also die Aufteilung der Geschlechter in weiblich und männlich – hat einen anderen Stellenwert innerhalb der Gesellschaft bekommen.» Innerhalb der Debatte sei wichtig, auch die trans Perspektive abzubilden.

Eine Möglichkeit zur Abbildung jener Perspektiven sei die Thematisierung körperlicher Voraussetzungen, sagte Voß. Dabei geht es beispielsweise um das Aussehen von Geschlechtsteilen, die nicht immer eindeutig männlich oder eindeutig weiblich zuordenbar sind.

In anderen Regionen hat ein Andersdenken schon früher begonnen

«In den letzten Jahren hat man zum Beispiel angefangen, über Materialien nachzudenken, die die Reflexion unterstützen», sagte Voß. Damit sei man in Deutschland jedoch eher hintendran. «In anderen Regionen hat ein Andersdenken schon früher begonnen.»

Der Medienkoffer mit Büchern und Spielen soll Kindern in Kitas und Grundschulen in Sachsen-Anhalt die Vielfalt der Familienformen näherbringen (Bild: Jan Woitas/dpa)
Der Medienkoffer mit Büchern und Spielen soll Kindern in Kitas und Grundschulen in Sachsen-Anhalt die Vielfalt der Familienformen näherbringen (Bild: Jan Woitas/dpa)

Genauso wie das gesellschaftliche Denken über Sexualität entwickele sich auch die Wissenschaft weiter, sagte Voß. «Wir fragen zum Beispiel heute in Studien ganz anders – zum Beispiel in Bezug auf Erfahrungen sexualisierter Gewalt oder verschiedene Formen der Elternschaft.»

Der Studiengang Sexologie in Merseburg sei körperorientiert – als einziger im gesamten deutschsprachigen Raum. Das heisst, er bilde Studierende besonders dazu aus, später in der Sexualberatung zu arbeiten.

Elliot Page wurde in Filmen wie «Juno» oder «Inception» weltbekannt – in weiblichen Rollen. 2020 outete sich der Schauspiel-Star als trans und wurde zu Elliot Page. In seinem ersten Buch «Pageboy» nimmt er die Leser auf eine emotionale Reise (MANNSCHAFT berichtete).

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