«Judy Garland war oft mit ihren schwulen Fans unterwegs»

Wir sprachen mit dem Regisseur Rupert Goold und dem Produzenten David Livingstone über «Judy»

Singen, Tanzen und Schauspielern: Renée Zellweger erfüllte alle Anforderungen an die Rolle. (Bild: Pathé Films AG)
Singen, Tanzen und Schauspielern: Renée Zellweger erfüllte alle Anforderungen an die Rolle. (Bild: Pathé Films AG)

Die Entertainerin Judy Garland war eine der grössten Schwulenikonen der  USA. Der Film über ihre letzten Monate läuft seit Anfang des Jahres im Kino. Wir sprachen mit dem Regisseur Rupert Goold und dem Produzenten David Livingstone.

«Irgendwo hinter dem Regenbogen ist der Himmel blau und die Träume, die du dich zu träumen traust, werden wirklich wahr.» Mit dem Songtext von «Over The Rainbow» singt Judy Garland vielen schwulen Männern direkt aus der Seele. Sie stimmt das Lied bereits fünf Minuten nach Beginn von «Der Zauberer von Oz» an, ein Film über das junge Bauernmädchen Dorothy, das ihrem langweiligen Leben in einem Dorf – im Film wird es schwarz-weiss gezeigt – entfliehen will. Ein Tornado befördert sie schliesslich in das farbig-glitzernde Land von Oz mit Zwergen, sprechenden Tieren, einem Zauberer sowie guten und bösen Hexen.

Dorothy wurde zum Sinnbild vieler schwuler Jugendlicher und Männer, verkörpert sie doch deren Sehnsucht nach einem Ort der Freude und der Akzeptanz. Während dem zweiten Weltkrieg etablierte sich in den USA die Bezeichnung «Freunde von Dorothy» als Codewort, schliesslich waren homosexuelle Handlungen im ganzen Land strafbar. Mit der Frage «Bist du ein Freund von Dorothy?» konnte man schnell herausfinden, ob das Gegenüber ein Gleichgesinnter war oder nicht.

«Der Zauberer von Oz» aus dem Jahr 1939 gilt als einer der grössten Filme aller Zeiten und «Over The Rainbow» als die ultimative Hymne der Community. Der Streifen machte die damals 17-jährige Judy Garland über Nacht berühmt und zum neuen «Darling» Hollywoods. Es folgte die «Andy Hardy»-Filmreihe, in der sie mit Mickey Rooney vor der Kamera stand, einem ebenfalls erfolgreichen Kinderdarsteller. Doch der Erfolg hatte seinen Preis. Louis B. Mayer, Studioboss von Metro-Goldwyn-Mayer, verabreichte Garland Amphetamine, damit sie bis zu 72 Stunden am Stück drehen konnte, und danach Beruhigungsmittel, um sie wieder runterzuholen.

Wird im Film ebenfalls thematisiert: Die Ausbeutung durch Studioboss Louis B. Mayer. (Bild: Pathé Films AG)
Wird im Film ebenfalls thematisiert: Die Ausbeutung durch Studioboss Louis B. Mayer. (Bild: Pathé Films AG)

Ausgebeutet in Hollywood «Sie war die erfolgreichste Kinderdarstellerin dieser Zeit», sagt Rupert Goold, Regisseur des neuen Kinofilms «Judy» im Interview mit MANNSCHAFT. «Mayer liess sie und Rooney – im wahrsten Sinne des Wortes – rund um die Uhr arbeiten, denn die beiden füllten die Kinokassen.»

In den Vierzigerjahren waren Holly­woodproduktionen ein aufwendiges Unterfangen und die Kinderstars hatten in dieser Zeit nach der Weltwirtschaftskrise eine wichtige Aufgabe: Dem Volk den American Dream zu verkaufen sowie Optimismus und Glück zu versprühen. Filmsets beschäftigten mehrere hundert Personen und drehten sich voll und ganz um die Hauptdarsteller*innen. «Den Studios ging es darum, das Maximum aus den Stars herauszuholen, koste es, was es wolle», sagt Goold. «Bei der Beziehung zwischen Mayer und Garland kommt hinzu, dass er sie berühmt gemacht hatte. Er war der festen Überzeugung, dass sie ihm die harte Arbeit schuldig war.»

Gute Beziehung zu Schwulen Goolds Film «Judy» startete am 2. Januar 2020 in den deutschen und Schweizer Kinos und konzentriert sich auf die letzten Monate in Garlands Leben, bevor sie 1969 aufgrund einer Überdosis Schlafmittel mit nur 47 Jahren verstarb. Rückblenden veranschaulichen ihr verhängnisvolles Verhältnis zu Drogen und Alkohol sowie die Ausbeutung durch Mayer. An einer Stelle beschimpft dieser sogar ihren Vater, dessen Homosexualität in Hollywoodkreisen ein offenes Geheimnis war.

Ihr Vater dürfte einer der Gründe für Judys lebenslange Verbundenheit mit schwulen Männern sein. «Was sie über ihren schwulen Vater dachte, weiss ich nicht, aber Homosexualität war ihr nicht fremd», sagt Goold. Im Hollywood der Vierziger- und Fünfzigerjahre habe es trotz Verbot homosexueller Handlungen eine lebendige Szene und ausschweifende Partys gegeben. «Judy Garland war oft auf diesen Partys anzutreffen. Zudem heiratete sie immer wieder homo- oder bisexuelle Männer – sie war fünf Mal verheiratet!»

Regisseur Rupert Goold (links) und Produzent David Livingstone stellten «Judy» am 4. Oktober am Zürich Film Festival vor. (Bild: ZFF)
Regisseur Rupert Goold (links) und Produzent David Livingstone stellten «Judy» am 4. Oktober am Zürich Film Festival vor. (Bild: ZFF)

Oscar-Chancen für Zellweger Für den Film schlüpft Renée Zellweger in die Rolle von Judy Garland und ist mit kurzen schwarzen Haaren auf den ersten Blick kaum wiederzuerkennen. Kritiker*innen loben ihre schauspielerische Leistung und rechnen ihr bereits Oscar-Chancen zu. Den Golden Globe hat sie schon bekommen (MANNSCHAFT berichtete).

Die 50-jährige Schauspielerin mit Schweizer Wurzeln war die erste und einzige Wahl von Goold und David Livingstone, der unter anderem auch den britischen Film «Pride» produziert hat. «Renée ist ein sogenannter Triple-Threat», sagt Livingstone. Der Begriff heisst soviel wie «dreifache Bedrohung» und bedeutet, dass ein Talent sowohl singen, tanzen als auch schauspielern kann. «Auch ihr Alter und ihr Körperbau passen.»

Zudem sei Zellweger ihrer Filmrolle auch insofern ähnlich, als sie im Filmgeschäft als «normale Frau» und als ein bisschen «schrullig» gilt. «Judy Garland war keine Ava Gardner oder Elizabeth Taylor. Sie war die Kumpanin von Mickey Rooney», sagt Livingstone. «Ähnlich ist es bei Renée. Tom Cruise war der Star im Film Jerry Maguire, sie war das nette Mädchen von nebenan.»

Oscarreif? Renée Zellweger als Judy Garland. (Bild: Pathé Films AG)
Oscarreif? Renée Zellweger als Judy Garland. (Bild: Pathé Films AG)

Schwules Paar im Film Judys Verbundenheit mit der Community spielt auch im Film eine grosse Rolle. In mehreren Szenen ist das Paar Dan und Stan zu sehen. Die beiden treuen Fans verpassen keine Show ihrer geliebten Diva und verbringen einen ganzen Abend mit ihr, als sie sich besonders einsam fühlt. Thematisiert wird im Film auch das britische Sodomiegesetz, als klar wird, dass einer der beiden Männer aufgrund seiner Sexualität inhaftiert wurde.

«Dieses Paar hat nicht existiert, ist jedoch eine Verschmelzung vieler wahrer Geschichten», sagt Livingstone. «Garland war oft mit ihren schwulen Fans in Pubs oder Hotelbars unterwegs.» Warum die Schauspielerin bei schwulen Männern so beliebt war, können weder Goold noch Livingstone abschliessend beantworten. Die Entertainerin führte ein turbulentes und ausschweifendes Privatleben, ihre Ehen zerbrachen, Niederlagen reihten sich an Erfolge. War sie von Drogen und Alkohol so benebelt, dass sie vom Publikum von der Bühne gebuht wurde, so stand es am nächsten Tag in allen Zeitungen. Die Öffentlichkeit gab Judy Garland gnadenlos zu spüren, wenn sie den gesellschaftlichen Erwartungen an ein Hollywoodsternchen nicht gerecht werden konnte – diese Ablehnung kannten schwule Männer nur zu gut.

Der Legende zufolge soll die Beerdigung der Ikone am 27. Juni 1969 in New York die Stonewall-Aufstände provoziert haben. Ob das stimmt, ist fraglich, da sind sich auch Goold und Livingstone einig. «Ich glaube nicht, dass ihr Tod die Aufstände provoziert hat», sagt Livingstone. Ihr Ableben habe aber sicherlich zur Gefühlslage vieler schwuler Männer beigetragen. «Viele waren auswärts und tranken Alkohol. Sie fühlten sich ermächtigt, sich gegen die Öffentlichkeit aufzulehnen und taten das schliesslich auch.»

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