Joshua Seelen­binder: «Habe Lust auf mehr queere Rollen»

«Charité» war schon mal ein guter Anfang für den Schauspieler

Joshua Seelenbinder: «Nicht-binäre Rollen will ich nicht spielen.» (Bild: Lily Cummings Photography)
Joshua Seelenbinder: «Nicht-binäre Rollen will ich nicht spielen.» (Bild: Lily Cummings Photography)

Die erfolgreiche Serie «Charité» spielt in der 4. Staffel in der Zukunft (MANNSCHAFT berichtete). Mit dabei: Joshua Seelenbinder, der uns bei einem Matcha Latte in einem Café in Berlin-Mitte u.a. verraten hat, wie er nach #ActOut auf die queere Zukunft in der deutschsprachigen Filmbranche blickt.

Joshua, Anlass unseres Gesprächs ist die 4. «Charité»-Staffel, die eine neue, in der Zukunft angesiedelte Geschichte erzählt. Du spielst darin den Pfleger Lou. Was hat dich an dieser Rolle gereizt? Für mich war Lou beim Lesen der Drehbücher die spannendste Männerfigur in dieser Geschichte. Schon allein, weil er nicht in einer Liebesbeziehung steht, über die er definiert wird, was ich gerade für eine solche jüngere Figur interessant fand.

Es gibt zwar einen möglichen Flirt mit der von Gina Haller gespielten Kollegin Marlene, aber das war’s. Und es gab auch mal einen anderen kleinen Flirt mit einer männlichen Figur. Dieses Changieren fand ich sehr schön.

Die ganze Serie ist unerwartet queer: Im Zentrum steht ein lesbisches Paar, und gleich in der ersten Folge kommt eine polyamouröse Beziehung vor, was im deutschen Fernsehen geradezu revolutionär erscheint. Deswegen mussten wir bei Lou nicht konkret werden, selbst wenn für mich immer eine gewisse Queerness mitschwang. Wir haben über eine potentielle Nicht-Binarität gesprochen, doch weil ich mich nicht als nicht-binär identifiziere, wollte ich so eine Rolle nicht spielen.

Nicht-binäre Rollen will ich nicht spielen

Die Figur Lou kann sicherlich so gelesen werden, und ich finde es schön, dass die Verbindung zu Marlene nie ganz eindeutig wird. Lou ist einfach eine gute Seele und jemand, der an der Charité ist, um Menschen zu helfen und Dinge zu verändern. Auch deswegen hatte ich grosse Lust, diese Rolle zu spielen.

Du sagst dezidiert: Ich spiele keine nicht-binäre Person. Andere, gerade ältere Kolleg*innen erwidern bei dieser Thematik gerne, dass gute Schauspieler*innen alles spielen können und dürfen müssen. Das sollte in einer idealen Welt, in der es gleiche Chancen für alle gibt, natürlich auch so sein. Glaubst du, dass wir jemals dahin kommen werden? Ich glaube nicht, dass das zu erreichen ist. Vieles wird sich noch ändern und bessern, aber um in dieser idealen Welt anzukommen, sind wir Menschen zu egoistisch. Niemand gibt gerne Privilegien ab. Ausserdem verschieben sich immer wieder die Themen.

Für mich ist die Diskussion über queere Geschichten und Figuren in der Arbeit wichtig, aber für andere gibt es vielleicht Wichtigeres. Gegenwärtig passiert so viel, dass rein politisch andere Themen deutlich höher auf der Agenda stehen. Der Weg ist also noch weit.

Wichtiger als die Frage, wer was spielt, ist die, wer überhaupt welche Geschichten mit Authentizität erzählt, oder? In dieser Diskussion wird schnell vergessen, erst einmal hinter die Kamera zu gucken. Es macht einen grossen Unterschied, wenn eine queere Person solche Geschichten schreibt. Schon wenn andere queere Menschen am Set sind, erlebe ich die Arbeit ganz anders. Ein einschneidendes Erlebnis hatte ich während meines festen Engagements am Theater in Braunschweig.

Eine gute Seele: Joshua Seelenbinder als Pfleger Lou (rechts), der Menschen helfen will (Bild: ARD, Armanda Claro)
Eine gute Seele: Joshua Seelenbinder als Pfleger Lou (rechts), der Menschen helfen will (Bild: ARD, Armanda Claro)

Dort bestand das Team – also Regie und Ensemble – zu Dreivierteln aus queeren Personen. Das Stück drehte sich zwar nicht primär um solche Themen, aber die Arbeit fühlte sich anders an. Der Raum, in dem ich mich bewegen und ausprobieren durfte, war ein anderer, weil wir andere Gespräche führten und bestimmte Diskussionen nicht mehr führen mussten. Es hat mich fasziniert, wie viel sicherer ich mich plötzlich gefühlt habe.

Bei «Charité» war das Team grösstenteils weiblich besetzt. Das macht sicherlich einen Unterschied, oder? Ja, das finde ich schon. Ich habe mich darauf auch richtig gefreut, denn damit setzt die Produktion ja auch ein Zeichen. Die vier grössten Rollen in der Geschichte sind zum Beispiel auch Frauen, drei davon nicht weiss, und im Zentrum steht eine lesbische Beziehung.

Es wird sicherlich auch Gegenwind kommen, könnte ich mir vorstellen. Gerade deswegen finde ich das Statement toll, vor allem für eine Produktion dieser Grössenordnung, die ein breites Publikum hat, das mutmasslich zu weiten Teilen nicht aus meiner Generation kommt.

Zuletzt warst du in Serien wie «1899» sowie dem Kinofilm «Stella. Ein Leben» zu sehen, und demnächst folgt der Mehrteiler «Herrhausen – Der Herr des Geldes». Verbindet all die Rollen etwas, für das du dich interessierst? Die Einladung zu Castings hängt zunächst einmal vom Glück ab. Wenn es darum geht, was ich persönlich machen möchte, müssen die Drehbücher mich ansprechen. In «1899» war meine Rolle zwar nicht besonders gross, aber die Möglichkeit, an einem aufwändigen internationalen Projekt teilzunehmen, reizte mich.

Bei «Herrhausen» hat mich insbesondere die fesselnde Geschichte angesprochen. Mir ist es generell wichtig, nicht auf eine einzige Art von Rolle festgelegt zu sein, sondern verschiedene Charaktere zu verkörpern. Deshalb habe ich eine Rolle in der Reihe «Mord oder Watt?» übernommen, die eine völlig andere Richtung einschlägt, in der ich einen norddeutschen Polizisten spiele.

Joshua Seelenbinder: «Nicht-binäre Rollen will ich nicht spielen.» (Bild: Lily Cummings Photography)
Joshua Seelenbinder

Joshua Seelenbinder

Wurde 1990 in einer niedersächsischen Kleinstadt geboren, bevor es ihn nach der Schule in die Grossstadt zog. In Hamburg sammelte er erste Bühnen-Erfahrungen, in Berlin studierte er schliesslich Schauspielerei. Nach einem festen Theater-Engagement steht er seit einigen Jahren vor allem für diverse Filme und Serien vor der Kamera, darunter auch „Das Boot“ oder eine „Tatort“-Episode. Im Februar 2021 gehörte er zu den 185 Schauspieler*innen, die sich im Rahmen der Aktion #ActOut öffentlich outeten. Ab dem 5. April ist er in der vierten Staffel der Serie «Charité» zu sehen (in der ARD-Mediathek); ab 9. April sendet das Erste die neuen Folgen, die erstmals in der Zukunft spielen.

Dass du die Sicherheit des Theater-Ensembles aufgegeben hast und zum freischaffenden Schauspieler mit Schwerpunkt Film und Fernsehen geworden bist, ist erst ein paar Jahre her und fiel in eine ähnliche Zeit wie auch #ActOut. Du hast in einem Interview mal gesagt, dass du damals gezögert habest, dich an der Aktion zu beteiligen. Welche Angst hattest du da? Da kam mehreres zusammen. Einmal war da die banale Angst, was die unmittelbaren Folgen in der Branche sein würden. Ich hatte nie etwas verschwiegen und behauptet, ich sei heterosexuell. Aber würde ich nach so einem offiziellen Coming-Out mit meinem Namen und meinem Gesicht vielleicht nicht mehr besetzt werden? Oder spiele ich nur noch schwule Rollen?

Solche Fragen haben sofort reingekickt, aber das war auch gut, weil ich mich wirklich damit auseinandergesetzt habe. Und wenn jemand nicht mehr mit mir arbeiten will, weil ich mich öffentlich geoutet habe, dann will ich vielleicht mit denjenigen auch nichts mehr zu tun haben.

Zum anderen war ich unsicher, ob mir das nicht einfach zu persönlich war. Man macht sich mit so einem Schritt angreifbar, auch als Privatperson. Ich musste erst überlegen, ob sich da das Private und das Berufliche oder auch Politische zu sehr vermischten.

Fiel die Entscheidung dafür letztlich auch durch Gespräche mit anderen? Gar nicht so sehr. Mit meinem Partner habe ich mich selbstverständlich ausgetauscht, aber letztlich habe ich das mit mir selbst ausgemacht. Meine Agentur habe ich erst informiert, nachdem ich mich entschieden hatte. Die waren zum Glück total supportive.

Das Ganze ist jetzt drei Jahre her. Wie fällt dein Fazit aus? Für mich persönlich hat #ActOut ein Gefühl von Freiheit gebracht und zwar im Privaten wie auch in der Arbeit. In Gesprächen mit Kolleg*innen oder wenn es am Set um Familie geht, habe ich ein anderes Selbstbewusstsein, mit dem ich auch meinen Freund erwähne.

Das hast du früher nicht gemacht? Doch, hin und wieder schon. Aber ich habe immer gemerkt, dass es mindestens einen Moment gab, in dem ich überlegte, ob ich es tun sollte. Dieses Gefühl ist inzwischen weg. Ausserdem ist es toll zu wissen, dass es diese Community gibt. Plötzlich gibt es Namen und Gesichter. Und es war emotional und berührend, wie wir uns am Anfang vernetzt haben, ohne uns eigentlich zu kennen. Da war sofort ein echter Safe Space entstanden, in dem man sich austauschen und unterstützen konnte.

Und welche Konsequenzen siehst du in der Branche allgemein? Ich würde sagen, dass die Aktion einige Diskussionen und positiven Entwicklungen angestossen hat. Queere Stoffe und Themen mehren sich langsam, habe ich das Gefühl. Wobei ich lustigerweise erwartet hatte, dass ich mehr queere Rollen angeboten bekomme als es bislang der Fall ist. Da hätte ich sogar Lust auf ein bisschen mehr.

Nora und Daniela leben seit zwei Jahren in einer Dom/Sub-Liebesbeziehung. Mit MANNSCHAFT+ sprechen sie über die Lust an der Kontrolle und der Unterwerfung und die «drei Säulen» von BDSM.

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