Jetzt doch: Thalia und Hugendubel verbannen den «Homoheiler»
Unser Bericht über die Buchhandlungen hat hohe Wellen geschlagen.
Im Samstagskommentar vom 20. Juni erfuhren unsere Leser*innen, dass Thalia und Hugendubel Bücher zur Konversionstherapie verkauften. Viele beschwerten sich daraufhin bei den Unternehmen – im Falle von Hugendubel führte dies am gestrigen Dienstag zu einem regelrechten Shitstorm. Die Bemühungen waren erfolgreich: Beide Buchhandlungen haben die Werke von Joseph Nicolosi mittlerweile aus dem Sortiment gestrichen.
Joseph Nicolosi war der selbsternannte Gründer der Konversionstherapie. Seine von ihm propagierten Methoden zur «Homoheilung» sind nachweislich schädlich und in Deutschland bei Minderjährigen mittlerweile illegal (MANNSCHAFT berichtete). Für den Samstagskommentar vom 20. Juni wollte MANNSCHAFT wissen, weshalb die grossen Buchhandlungen Thalia und Hugendubel weiterhin Nicolosis Werke verkaufen. Thalia ignorierte unsere Anfragen, Hugendubel berief sich auf die Meinungsfreiheit.
Wüstenstrom flieht vor «Konversionstherapie»-Verbot in die Schweiz
Seither ist viel passiert. Wer in den Onlineshops der beiden Buchhandlungen nach den Titeln von Nicolosi sucht, wird nicht fündig werden. Dies ist dem Engagement unserer Leser*innen zu verdanken; denn der Samstagskommentar hat – wenn auch zeitlich etwas verzögert – hohe Wellen geschlagen.
Thalia: «Gegen Intoleranz» Zunächst sah sich Thalia zu einer Reaktion gezwungen. Mehrere Leser*innen haben nach der Lektüre des Kommentars Thalia schriftlich kontaktiert. Sie erhielten daraufhin am 23. Juni vom Buchhandelsunternehmen ein einheitliches Antwortschreiben, das MANNSCHAFT vorliegt. Darin teilt Thalia mit, dass man «Healing Homosexuality» von Joseph Nicolosi sofort aus dem Sortiment streichen werde. Die deutsche Version des Buches habe man schon lange entfernt und dabei wohl die englische Originalfassung übersehen.
Thalia schrieb weiter: «Ein wichtiger Zweck des Lesens ist es, andere Menschen über Grenzen hinweg zu verbinden und zu verstehen, weshalb dieser Titel bei uns nicht mehr verfügbar ist. Empathie und Toleranz sind der Schlüssel zum friedlichen Zusammenleben in einer Demokratie – auch in turbulenten Zeiten wie diesen. Das Aufeinander-Zugehen und das Einander-Zuhören müssen heute mehr denn je verteidigt werden und Thalia bekennt sich klar zum Wert der Toleranz und gegen Intoleranz, denn wir glauben, dass Bücher Herzen öffnen können.»
Buchmesse in Rio: Politik will LGBTIQ-Bücher zensieren
Empörung auf Instagram Anfang dieser Woche bekam dann Hugendubel die Empörung der Kund*innen zu spüren. Auf dem Instagram-Account der Buchhandlung tobte ein Shitstorm. Fast siebzig Kommentare bezogen sich nicht auf den dazugehörigen Post, sondern auf das Homoheiler-Sortiment. Viele zeigten sich enttäuscht und verärgert, manche riefen zum Boykott der Hugendubel-Filialen auf. «Anstatt auf eure Neutralität und die Pressefreiheit zu beharren, einfach mal aktiv gegen Homophobie vorgehen», schrieb etwa eine Userin.
Diese Kommentarflut haben diverse Instagrammer*innen aus der Buch- und Autor*innen-Szene verursacht. Sie haben ihre Follower*innen auf den MANNSCHAFT-Bericht hingewiesen und die Problematik der Konversionstherapien erklärt. Unter einem Post des 21-jährigen Buchbloggers Timo schrieb Hugendubel am 29. Juni erneut, dass sie keine legalen Titel zensieren wollen und deshalb das Buch nicht aus dem Sortiment streichen würden.
Daraufhin hat Instagrammerin Shamim gar den Hashtag #deleteyourhugendubelaccount gestartet. «Ich verlinkte Hugendubel auch ständig in meinen Storys, wo ich empörte Kommentare unter diesem Post zeigte», sagt Shamim gegenüber MANNSCHAFT. «Enough is Enough, Bambi Mercury, Margarete Stokowski und ganz viele andere Menschen unterstützten das Anliegen.»
Auch Hugendubel reagiert Schliesslich war für Hugendubel der Druck zu gross. Am späten Dienstagnachmittag verkündete die Buchhandlung in ihrer Instagram-Story, dass sie «aufgrund der aktuellen Diskussion» sämtliche Titel von Nicolosi aus dem Sortiment streiche.
«Ihr könnt darüber hinaus bei der Bundesprüfstelle ein Indizierungsverfahren anregen, damit dieses und weitere Bücher zur verbotenen Konversionstherapie gar nicht erst publiziert werden dürfen», hiess es in der Mitteilung weiter.
21-Jährige nimmt sich nach Konversionstherapien das Leben
Opfer christlicher Homoheiler Für die verheerende Wirkung von Konversionstherapien gibt es viele Beispiele. Mike F. aus Wetzlar hat sich als junger Mann in die Hände von christlichen «Homoheilern» begeben. Heute lebt er selbstbewusst und offen schwul und hat im letzten Jahr seinen Partner geheiratet.
Dass in Deutschland jetzt Konversionstherapien – zumindest an Minderjährigen – verboten sind, findet er gut. Aber zusätzlich findet er ein Verbot der Ex-Gay-Literatur, die aus den aus den USA zu uns kommt, unerlässlich. «Diese Bücher werden oft von den Eltern an ihre Kinder weitergeben, das beeinflusst sie extrem, weil sie psychologisch wirken. Das müsste besser kontrolliert und im Zweifel verboten werden.» – Seine Geschichte erzählt in der aktuellen MANNSCHAFT. Hier geht es zum Abo.
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