Ist die Finanzierung noch gesichert? 11 Fragen zur ESC-Krise

Yuval Raphael aus Israel tritt mit dem Titel «New Day Will Rise» im Finale des 69. Eurovision Song Contests auf. (zu dpa: «ESC empört Spanien: Kritik an Voting und an Israel-Teilnahme»)
Yuval Raphael aus Israel tritt mit dem Titel «New Day Will Rise» im Finale des 69. Eurovision Song Contests in Basel auf. (Bild: Jens Büttner/dpa)

Heftige Diskussionen rund um den Eurovision Song Contest. Die Boykottwelle als Reaktion auf die Teilnahme Israels gilt in ihrer Wucht als beispiellos. Was hat das für Folgen für den Mega-Event?

Das Motto des ESC 2026 in Wien lautet «United by Music». Doch die einigende Kraft der Musik ist weit in den Hintergrund gerückt. Alles dreht sich um die Teilnahme Israels. Mehrere Länder haben einen Boykott angekündigt, weil Israel im Gaza-Krieg riesiges Leid über die palästinensischen Zivilisten gebracht habe (MANNSCHAFT berichtete). Wichtige Fragen zur nächsten Ausgabe des grössten Musikspektakels der Welt:

#1 Welche Folgen haben die Boykott-Ankündigungen?

Die Sender aus Spanien, Irland, Slowenien und den Niederlanden kündigten als Reaktion auf den EBU-Beschluss den Boykott der Veranstaltung an (MANNSCHAFT berichtete). Island will sich nächste Woche entscheiden. Der Schaden für den ESC scheint schon jetzt gross. Die Europäische Rundfunkunion (EBU), die knapp 70 Mitgliedssender koordiniert, hat ebenso wie der österreichische Gastgeber-Sender ORF in den vergangenen Wochen versucht, den einst so harmlosen Schlagerwettbewerb zu entpolitisieren. Das ist gescheitert. Die Welle an Boykott-Ankündigungen gilt in ihrer Wucht als beispiellos in der Geschichte des ESC. 

#2 Gibt es konkrete Konsequenzen für die Show?

Das ist noch unklar. Der ORF will zunächst abwarten, bevor eventuell etwaige Veränderungen vorgenommen werden. Die finale Teilnehmerliste will die EBU vor Weihnachten veröffentlichen. «Einzelne Absagen sind bedauerlich, doch der ESC ist ein starkes, etabliertes Format. Der ORF ist zuversichtlich, dass er auch 2026 ein grossartiges Event auf die Beine stellen wird», heisst es beim Sender.

#3 Ist die Finanzierung gesichert?

Auch wenn mehrere Länder dem Event fernbleiben, steht die Durchführung des ESC laut EBU finanziell auf sicheren Beinen. «Die endgültige Anzahl der teilnehmenden Sender hat keinen Einfluss auf das geplante Produktionsbudget und den finanziellen Beitrag der EBU an den ORF», so die EBU. Sie erwarte, dass am Ende Sender aus rund 35 Ländern in Wien dabei sind.

#4 Wie ist das bisherige Budget geplant?

Die Gesamtkosten für den 70. ESC liegen bei rund 36 Millionen Euro. Das meiste davon zahlt die Stadt Wien, der ORF-Anteil beträgt etwa 16 Millionen Euro. Angesichts der Finanznöte des Senders hatte ORF-Intendant Roland Weißmann das Motto ausgegeben: «Sparsam, aber spektakulär.»

#5 Welche Folgen haben die Querelen für das Publikum?

Bisher keine. Die Anmeldung für den Vorverkauf der insgesamt 90'000 Tickets ist bereits angelaufen. Die EBU erklärte unmittelbar nach dem grünen Licht für Israel, dass die Vorbereitungen für das Event «wie geplant» weiterlaufen könnten.

#6 Wie ist die Haltung der deutschsprachigen Länder?

Deutschland Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (parteilos) stellte sich hinter die Entscheidung der EBU. «Israel gehört zum ESC wie Deutschland zu Europa», sagte er der Bild. Deshalb finde er es gut, dass Israel auch 2026 Teil des grössten Gesangswettbewerbs der Welt bleibe. «ESC ist ein Anlass, mit Freundinnen und Freunden einen tollen Abend zu verbringen und die Vielfalt der Musik zu feiern.»

Schweiz Zuletzt hat sich die SRG (zu dem auch das Schweizer Fernsehen SRF gehört) deutlich zur Debatte um einen Boykott des Eurovision Song Contest (ESC) im Zusammenhang mit der Rolle der Schweiz und der Teilnahme Israels geäussert. Die SRG will, dass Israel auch beim ESC 2026 teilnehmen darf. Als Begründung nennt sie, dass der ESC eine «friedensfördernde, verbindende und verständnisbildende Wirkung» haben soll — und als Anlass «jenseits jeder Politik und Parteinahme» verstanden werden müsse.

Österreich Österreich als Gastgeber für den Eurovision Song Contest 2026 freut sich auf die Teilnahme Israels und zeigt wenig Verständnis für Boykott-Ankündigungen aus mehreren europäischen Ländern wie Spanien und Slowenien. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig sagte, er sei generell «skeptisch, was den Boykott von Künstler*innen angeht – insbesondere, wenn es ihre Herkunft betrifft.» Kritisch äusserte sich auch Österreichs öffentlich-rechtlicher Sender ORF, der den ESC am 16. Mai in Wien organisiert. Zugleich offenbart die Entscheidung für Israels Teilnahme eine tiefe Spaltung zwischen den Mitgliedssendern der Europäischen Rundfunkunion (EBU).

#7 Wer hat sich auch noch positiv geäussert?

Frankreich. Das Land werde niemals den Weg des Boykotts eines Volkes, seiner Künstler oder seiner Intellektuellen einschlagen, erklärte Aussenminister Jean-Noël Barrot. Alles in der Seele und Tradition des Landes widersetze sich diesem Gedanken. Kultur öffne Horizonte. «Gibt es einen besseren Weg, Frieden zu fördern?», schrieb Barrot auf X.

#8 Welche Rolle hat Israel bisher beim ESC gespielt?

Israel ist seit 1973 beim ESC dabei. Mit vier ersten Plätzen gehört das Land zu den erfolgreichsten Teilnehmern. Besonders in Erinnerung sind die Siege 1979 und 1998. Einmal mit dem Ohrwurm «Hallelujah« (Milk&Honey), das andere Mal mit dem Auftritt von Dana International, der ersten trans Sängerin als Gewinnerin.

#9 Gibt es Kritik in den Boykott-Ländern, an deren Haltung?

Ja. In den Niederlanden kommentierte die Zeitung De Telegraaf kritisch, der niederländische Sender Avrotos habe das Songfestival politisiert. «Eine Entscheidung, die in Europa für Stirnrunzeln sorgt. Anlass für den absurden Beschluss der Avrotros ist die Teilnahme des demokratischen Landes Israels am ESC.» Offenbar habe der Sender übersehen, dass in Gaza inzwischen ein Waffenstillstand in Kraft sei.

#10 Wie ist die Reaktion in Israel?

Israels Staatspräsident Izchak Herzog hat die Entscheidung ausdrücklich begrüßt. Der Sender Kan selbst teilte mit, der Versuch, den israelischen Beitrag auszuschliessen, könne «nur als kultureller Boykott verstanden werden. Ein Boykott mag heute beginnen – mit Israel –, aber niemand weiss, wo er enden wird und wem er noch schaden könnte».

#11 Welche Folgen hat ein ESC mit kleinerem Teilnehmerfeld auf Wien?

Die Gastgeberstadt und das Land hatten sich bereits auf grosse positive Effekte gefreut. Ziel ist es, während des einwöchigen Events das ganze Land vom Bodensee bis zum Neusiedlersee auf eine weltweite Bühne zu heben. Die Zahl der zusätzlichen Übernachtungen in der ESC-Woche sollte bei etwa 88'000 liegen. Neben den angekündigten Absagen gibt es auch drei Länder, die nach einer Pause wieder vertreten sind: Rumänien, Bulgarien und Moldau.

Text: Matthias Röder, dpa

Mehr: Kalender 2026: Das gute Geschäft mit den schönen Priestern im Vatikan (MANNSCHAFT berichtete)

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