«Ich war in den letzten Monaten auf zu vielen Beerdigungen»
Wie schlimm die Corona-Pandemie die Menschen in Thailand getroffen hat
Wie in vielen anderen Ländern ist in Thailand der Tourismus mit Beginn der Corona-Pandemie vor zwei Jahren stark zusammengebrochen. Darunter litt u.a. auch die queere Gastronomie in der Hauptstadt Bangkok.
Tourist*innen, die den vollständigen Grundschutz mit der meist nötigen zweiten Spritze haben, können seit Februar wieder quarantänefrei nach Thailand einreisen. Die Regierung in Bangkok hatte Ende Dezember aus Angst vor steigenden Fallzahlen wegen Omikron beschlossen, das «Test&Go»-Modell zunächst auf Eis zu legen. Thailand mit seinen Inseln, Stränden, Tempeln und Dschungeln ist auf den Tourismus angewiesen und hofft auf eine Erholung der Branche. Vor Corona kamen jährlich etwa 40 Millionen internationale Gäste.
Auch die Gastronomie hat schwer gelitten. Darüber sprachen wir Anfang des Jahres mit Cameron McKean. Der 43-jährige Australier ist Geschäftsführer u.a. des Bangkoker Bar-Restaurants Circus Soi 4, das im April sein 20. Bestehen feiert. An diesem Wochenende hakten wir noch einmal nach.
Wie wichtig ist der Tourismus für deine Läden? Im Moment mache ich 80 % meines Geschäfts mit Einheimischen. Das liegt daran, dass wir in den letzten 2 Jahren im Grunde nur Expats und Einheimische hatten. Die meisten Unternehmen wie meines mussten sich an den sich verändernden Markt anpassen. Ich würde sagen, in normalen Zeiten wären 70 % meines Geschäfts Touristen. Ich schätze, dass niemand im Moment Geld verdient und versucht, so lange wie möglich am Leben zu bleiben.
Wie schaffst du es? Ich habe das Glück, dass ich ein weiteres Online-Fintech-Geschäft (Finanz-Technologie, Anm. d. Red.) habe, das sehr gut läuft. Ohne das hätte ich nicht überleben können. Viele der lokalen Geschäftsinhaber werden eine weitere Abriegelung oder eingeschränkte Betriebsfähigkeit nicht überleben. Ich denke, dies könnte bald das Ende der einst grossartigen Silom Soi 4 sein, da bei den Vermietern eine Menge Geld fällig ist, das wahrscheinlich nicht bezahlt wird. Dies bedeutet, dass das Land wahrscheinlich an Entwickler für ein weiteres Wohnhaus verkauft wird. Die traurige Realität ist, egal ob ich überlebe oder nicht, die Mehrheit der schwulen Geschäftsinhaber ist jetzt am Ende des Weges.
Die Mitarbeiter weinen, wenn wir sie zum Testen bringen, weil sie befürchten, dass sie zwei Wochen lang nicht arbeiten und keine Miete zahlen können.
Gab es Unterstützung vom Staat? Nein, wir haben überhaupt keine Unterstützung von der Regierung bekommen. Sogar sozialversicherungspflichtiges Personal erhielt die versprochenen Zahlungen nicht und konnte keine Pflege erhalten. Die Mitarbeiter weinen, wenn wir sie zum Testen bringen, weil sie befürchten, dass sie zwei Wochen lang nicht arbeiten und keine Miete zahlen oder die Familie unterstützen können, wenn sie positiv sind. Die Situation ist trotz der lächelnden Gesichter ziemlich düster. Ich habe 150 kostenlose Mahlzeiten pro Tag an die Einheimischen verschenkt, weil sie sich einfach nicht einmal das Essen leisten konnten. Ich habe Fotos von Jungs davor und danach: Man kann sie fast nicht wieder erkennen.
Wie kommen deine Mitarbeiter klar? Die Jungs sind mit ihrem Latein am Ende. 27 meiner Mitarbeiter wurden in den letzten 2 Wochen positiv auf Covid getestet: Das hat mich gezwungen, den Betrieb einzustellen. Das Personal kann die Familie nicht unterstützen und/oder Auto- und Kreditrückzahlungen leisten. Sie suchen verzweifelt nach einem Weg zum Überleben und können es einfach nicht. Ich habe eine grosse Wohnung mit fünf Zimmern; neun Leute leben jetzt mit mir zusammen, da sie es sich nicht leisten können, woanders zu wohnen.
Der Schaden an Beziehungen, den Covid verursacht hat, ist eine Geschichte, über die niemand spricht, aber das ist sehr real. Ich hatte drei Freunde, die nach Trennungen von ihrem Partner Selbstmord begangen haben, aufgrund des Stresses, der durch die aktuelle Situation verursacht wurde. Ich war in den letzten 18 Monaten auf viel zu vielen Beerdigungen und befürchte, dass noch weitere folgen werden.
Update 13. März 2022: Cameron, hat sich die Situation gebessert? Ehrlich gesagt, nein … Die saisonale Grippe hat gerade Bangkok getroffen und die Symptome sind schlimmer als bei Covid. Die Kundenzahlen sind eingebrochen und die Mitarbeiter krankgeschrieben. Immerhin: Jetzt wurde bestätigt, dass Songkran (das thailändisches Neujahrsfest, Anm d Red.) nicht abgesagt wird. Wir freuen uns auch darauf. Es kann nur besser werden.
Brauchst du Hilfe? Wende dich in der Schweiz telefonisch an die Nummer 143 oder schreibe an die Berater*innen von Du-bist-Du.ch. In Österreich hilft die HOSI Wien (zu Büroöffnungszeiten) unter (+43) 660 2166605, das Kriseninterventionszentrum oder für LGBTIQ die psychosoziale Beratungsstelle Courage. In Deutschland gibt es die Notfall-Nummer 19446, zudem hilft u.a. der Verband für lesbische, schwule, bisexuelle, trans, intersexuelle und queere Menschen in der Psychologie, in Städten wie Köln kann man sich an Rubicon wenden.
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