«Ich bin politisch queer, begehre lesbisch und bin stolz auf mich»
Unsere Autorin fragt sich, warum immer weniger junge Frauen sich als Lesbe sehen wollen
In der kommenden Woche jähren sich die Stonewall Riots. Für unsere Autorin ein Grund, zu feiern – aber auch nachdenklich zu werden. Warum etwa werden Lesben für altmodisch gehalten? Und warum, fragt sie in ihrem Kommentar*, wird der Provinz keine Offenheit gegenüber LGBTIQ zugetraut?
Ein liebgewonnenes Ritual über viele Jahre ist es für mich, vor der Pride-Week eine persönliche Bilanz zu ziehen, wie sich mein Leben als homosexuelle Frau und Lesbe in der Gesellschaft und in meinem persönlichen Leben widerspiegelt. In diesem Jahr ist die Bilanz zwiespältig.
Während in meinem persönlichen Leben eine erfreuliche Akzeptanz zeigt, sehe ich öffentlich immer wieder Tendenzen, Lesben für altmodisch und exklusiv zu halten. Fangen wir mit dem Persönlichen an. Während meine Freund*innen in Berlin prophezeiten, dass ich es nach unserem Umzug nach Bad Kreuznach als Lesbe schwer haben würde, begegnet mir und meiner Frau nun auch im zweiten Jahr eine entspannte Akzeptanz. Ich freue mich auf meine zweite CSD-Party im Garten meiner schwulen Freunde, bei der ich dem ganzen Regenbogen an Menschen begegne, ohne dass ich zu Bekenntnissen, Abgrenzungen und Glaubenssätzen aufgefordert werde.
Diese Party gibt es seit Jahren – und die heterosexuellen Nachbar*innen wünschen uns einen schönen Feiertag. Ich geniesse das sehr und bewundere meine schwulen Freunde dafür, dass sie diese Akzeptanz über Jahre erkämpft haben. Ist es gar die Arroganz einer Grossstadt-Elite, die der «Provinz» diese Offenheit nicht zutraut? Die Frage lasse ich einmal offen.
Öffentlich sieht es schon anders aus. Ich bin seit Jahrzehnten Feministin – nicht weil ich es unbedingt will, sondern weil ich es für notwendig halte, gegen Femizide, Niedriglöhne, Gewalt gegen Frauen und Geringschätzung von Frauen zu kämpfen. Immerhin sind Frauen statistisch die Mehrheit im Land, besitzen aber nur einen Bruchteil der Ressourcen, tragen immer noch überwiegend den Namen ihres Ehemannes, sind mehrheitlich unterversorgt im Alter.
Ich lebe offen lesbisch, weil ich anderen Mädchen und Frauen zeigen will, dass es möglich ist, Frauen zu begehren und zu lieben ohne sich dabei schlecht fühlen zu müssen. Dabei ist mein Begehren allein auf Frauen ausgerichtet – so wie es für einen schwulen Mann auf Männer ausgerichtet ist.
Erfreulicherweise sehe ich zunehmend auch Frauenliebe in Filmen und Serien.
Gesellschaftlich, in Freundschaften und auch in meiner politischen Solidarität sind meine Kontakte völlig unabhängig vom Geschlecht oder Selbstverständnis meines Gegenübers. Erfreulicherweis sehe ich zunehmend auch Frauenliebe in Filmen, Serien und lese sie auch in Romanen. Manche Sender und Filmproduktionsfirmen schreiben sich inzwischen Diversität auf die Fahnen. Wie sehr mich das freut, können vor allem ältere Lesben, Schwule, Transpersonen und andere Identitäten nachvollziehen, die in ihrer Kindheit und Jugend kein einziges mediales Vorbild kannten.
Was ich aber bedauere ist die Tatsache, dass immer weniger junge Frauen sich als Lesbe sehen wollen, selbst wenn ihr Begehren sich auf Frauen richtet. Sie wollen nicht als rückständig, kleinkariert, ausschliesslich etc. gelten. Dabei ist es ebenso wie bei jeder anderen sexuellen Orientierung ihr gutes Recht, ihre Identität selbst zu bestimmen. Ihnen kann ich nur sagen: Ich bin politisch queer, begehre lesbisch und bin stolz auf mich – das ist mein Pride.
Als Lesbe wünsche ich der ganzen LGBTIQ eine schöne Pride-Woche, in der hoffentlich Stolz und Toleranz allen Identitäten entgegengebracht wird.
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder eine Glosse zu einem aktuellen LGBTIQ-Thema. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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