HIV unter Therapie: Sich beim Sex endlich wieder fallen lassen
Dass Medikamente HIV-positiven Menschen ein entspanntes Leben ermöglichen, wissen noch zu wenige
Zum bevorstehenden Welt-Aids-Tag am 1. Dezember geht die Deutsche Aidshilfe (DAH) mit ihrer Kampagne #wissenverdoppeln in die dritte Runde. Dass HIV unter Therapie nicht übertragbar ist, ist wissenschaftlich bewiesen, aber noch immer zu wenigen Menschen bekannt.
Seit Beginn der Kampagne Ende 2018 hat sich das Wissen bezüglich der Nichtübertragbarkeit von HIV unter Therapie bereits einmal nahezu verdoppelt. Laut einer Umfrage im April dieses Jahres wissen 18 Prozent der Menschen in Deutschland von dieser wissenschaftlichen Tatsache. 2017 waren es nur 10 Prozent (MANNSCHAFT berichtete). Und dieses Wissen könne Berührungsängste abbauen und damit Stigmatisierung entgegenwirken, so die DAH.
«Den Erfolg der Kampagne gilt es nun auszubauen. Wir machen weiter, bis alle Bescheid wissen und Berührungsängste gegenüber Menschen mit HIV der Vergangenheit angehören», sagt Winfried Holz vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe.
Menschen mit HIV können längst leben wie alle anderen. Medikamente verhindern die Vermehrung des Virus im Körper und erhalten so die Gesundheit. Nach einiger Zeit ist das Virus dann im Blut nicht mehr nachweisbar. Und damit nicht mehr übertragbar – auch beim Sex nicht. Im Alltag war HIV sowieso noch nie übertragbar, so die Deutsche Aidshilfe.
Im Zentrum der Kampagne stehen Menschen mit ihrer jeweils ganz eigenen Geschichte und Botschaft. Etwa Ibrahim aus Köln: Selbst aus dem Libanon geflüchtet, engagiert sich der 34-Jährige für die Rechte von queeren Geflüchteten und macht HIV-Prävention mit YouTube-Clips auf Arabisch. Er weiss, wie Stigma und Vorurteile den Zugang zu Informationen blockieren. Wenn Ibrahim über die Nichtübertragbarkeit von HIV unter Therapie spricht, ist die Überraschung oft gross.
Oder Isabelle, 28, HIV-positiv, heterosexuell: Die Berlinerin weiss seit drei Jahren, dass sie HIV-positiv ist. Den Tag, an dem HIV in ihrem Blut nicht mehr nachweisbar sein würde, hat sie sehnsüchtig erwartet. Sie weiss: Jetzt kann beim Sex nichts mehr passieren: «Meine HIV-Medikamente ermöglichen mir ein entspanntes Leben.»
Christopher, HIV-positiv und heterosexuell aus Wien/Barcelona, hat sich vor sechs Jahren bei einer Frau mit HIV-infiziert. Die Botschaft, dass HIV-Medikamente eine Übertragung beim Sex verhindern, hat ihm eine grosse Last genommen: Endlich kann sich der 37-Jährige wieder fallen lassen.
«Wenn du weisst, HIV ist nicht mehr übertragbar, dann kann das eine enorme Entlastung und Freude sein. Dieses Wissen verändert das Leben von Menschen mit HIV, ihren Partner*innen und vielen anderen. Unsere Botschaft ist nicht nur für einige wenige erleichternd, sondern für alle. Wir finden: Das darf auch mal richtig gefeiert werden», betont DAH-Vorstand Holz.
In den Videos der Kampagne feiern darum viele sehr unterschiedliche Menschen die entlastende Tatsache. So wurde ein Clip ausschliesslich aus Handyaufnahmen von Menschen produziert, die sich der Kampagne anschliessen wollten.
Denn #wissenverdoppeln heisst auch: selbst aktiv werden und das Wissen weitergeben. Dazu lädt die Kampagne mit verschiedenen Möglichkeiten ein: Besucher_innen der Website können dort ihre eigene Geschichte zum Thema teilen; Post-its, Aufkleber und ein teilbarer Flyer animieren ebenfalls zum Verbreiten der Botschaft.
Dass HIV unter Therapie nicht übertragbar ist, beweisen mehrere grosse Studien. Beobachtet wurden Tausende gemischt HIV-positiv-negative Paare, die über 100.000 Male Sex ohne Kondom hatten, ohne dass es zu einer Übertragung kam. So trage «Schutz durch Therapie» heute zu einer erfüllten Sexualität ohne Ängste bei, so die DAH.
Auch im Alltag kann die Information irrationale Ängste beseitigen. Zwar habe noch nie die Gefahr bestanden, sich bei der Zusammenarbeit, beim Sport oder über das berühmte geteilte Trinkglas zu infizieren. Doch solche Befürchtungen gäbe es noch immer. Wenn nun selbst beim Sex keine Übertragung mehr möglich ist, dann sei die Vorstellung eines Risikos im Alltag wirklich nur noch abwegig.
Seit zehn Jahren beantwortet Vinicio Albani als Dr. Gay Fragen zu HIV und Gesundheit, Liebe und Sexualität. Noch länger, schon seit 2007, arbeitet er bei der Aids-Hilfe Schweiz. MANNSCHAFT hat ihn in Zürich besucht (MANNSCHAFT+).
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