«Heartbreak Boys» – Gefakte Sommerferien als Rache am Ex
Simon James Green ist einer der neuen Star-Autoren im «Young Adult»-Buchsegment. Er will LGBTIQ-Jugendlichen die positiven Seiten des Lebens zeigen – dabei eliminiert er den Sex und dekonstruiert Instagram
Simon James Green schildert in «Heartbreak Boys» die Geschichte von zwei schwulen Teenagern, die sich an ihren Exen dafür rächen wollen, dass sie sie sitzen liessen und miteinander eine neue Beziehung eingegangen sind. Die Racheaktion der Verlassenen sieht vor: während der Sommerferien auf Instagram die perfekte neue Beziehung zu inszenieren, egal wie fake diese auch sei. Der Stoff soll Jugendliche zur Identifikation einladen – und einen erzieherischen Mehrwert haben.
«Young Adult»-Bücher (YA) sind ein boomender Markt, besonders seit Titel wie «The Hunger Games» oder «Vampire Diaries» durch Verfilmungen zu Massenphänomenen wurden. Auch LGBTIQ-Geschichten finden immer mehr Beachtung, spätestens seit «Love, Simon» einschlug wie eine Bombe und inzwischen sogar die Serienfortführung «Love, Victor» an den Start gegangen ist. (MANNSCHAFT berichtete.)
Die Zielgruppe sind primär junge Erwachsene, die nach einer Spiegelung ihrer Lebenssituation suchen und nach Lösungen der Probleme, mit denen sie in Schule und Familie konfrontiert sind. Der junge britische Autor Simon James Green hat in nur wenigen Jahren gleich eine ganze Serie von Büchern für die YA-Zielgruppe herausgebracht – und zwar nicht irgendwo, sondern beim Scholastic Verlag. Der ist spezialisiert «auf pädagogische Inhalte für Schul- und Erziehungszwecke» und wurde bekannt, weil er die Rechte an der Harry-Potter-Reihe in den Vereinigten Staaten ergattern konnte. In der Scholastic-Children’s-Books-Abteilung sind nun also die «Heartbreak Boys» erschienen. Und die lohnen auch für ältere Jahrgänge, um zu erfahren, womit der LGBTIQ-Nachwuchs derzeit so beschäftigt ist.
Leichtfüssige Antworten auf grosse Fragen Denn die Romantic Comedy findet leichtfüssigere Antworten auf die grossen Fragen der Gegenwart als die meisten Queer Aktivist*innen mit ihrer Fundamentalkritik und ihrem Anspruch, gesellschaftspolitisch so ziemlich alles umzuwerfen. YA-Bücher wie die von Green sind daneben eher eine «Big Gay Soap Opera» mit zwei «wunderbar zur Identifikation einladenden Hauptfiguren», wie die Rezensentin der Irish Times schrieb («with two wonderfully relatable heroes»).
Schwuler US-Teenager begeht nach Mobbing Selbstmord
Im Kern geht es darum: Was tun, wenn die ersten Boyfriends, die man im Leben hat, einen sitzen lassen in einer spektakulären Aktion beim Schulabschlussball der 10. Klasse und dann auf Instagram ihr neues Glück posten, so dass alle in der Schule es sehen können und hunderte von Likes das Resultat sind? Während gleichzeitig die eigene Social-Media-Präsenz absackt, weil man als trauriger «Looser» angesehen wird? Und wenn man den Ex mit dem anderen Ex nach den Sommerferien in der 11. Klasse wiedersehen wird?
Der extrovertierte Jack beschliesst, die inszenierte neue Liebe seines Ex Dylan nicht einfach so hinzunehmen, schon gar nicht dessen scheinbar grossartige Sommerferien mit dem Neuen, und überredet den schüchternen Nate (verlassen von Tariq), gemeinsam eine Campingreise zu machen, die dann auf Instagram so bebildert werden soll, als hätten Jack und Nate miteinander die Zeit ihres Lebens.
Damit will Jack es nicht nur seinem Ex Dylan zeigen, dem Football-Superjock seiner Schule, sondern er will auch selbst zum Influencer aufsteigen – als höchstem Lebensziel eines 16-Jährigen. Wie es scheint.
«Traumberuf» Influencer Das Herzerwärmende am Buch ist, wie sich Jack und Nate bei der reichlich unglamourösen Campingreise durch Grossbritannien – mit Nates Eltern und Schwester – näher kommen und lernen, sich so zu zeigen, wie sie tatsächlich sind: ohne eine Insta-Show abzuziehen. Spannend ist jedoch, wie der Autor Simon James Green die Bedeutung eines «perfekten» äusseren Lebens via Social Media dekonstruiert und damit auch den «Traumberuf» eines Influencers.
Denn am Wendepunkt des Romans landen Jack und Nate bei einer YouTuber-Party in London – eigentlich das höchste der Gefühle. Sie treffen dort auf viele junge Menschen, die sie bewundern und die ihnen mit ihren YouTube-Kanälen beim Coming-out und anderen Lebensumstellungen geholfen haben. Nun merken sie im direkten Gespräch, welche Hohlheit und Leere hinter vielen ihrer «Held*innen» steckt, dass es nur um gesponsorte Reisen und Gratisprodukte geht, um Klickzahlen, um Likes, um eine virtuelle Scheinwelt – die sich auch noch schnell gegen einen wenden kann, wenn man etwas tut, was der anonymen Online-Gemeinde nicht passt. (Das muss eine Influencerin für vegane Ernährung hautnah erfahren, die für Nate einen Hamburger kauft und dabei fotografiert wird, woraufhin der Online-Mob über sie als «Verräterin» herfällt.)
Offensichtlich ist der Umgang mit Sozialen Medien für Teenager ein grosses Thema, offensichtlich sieht Scholastic da einen Bildungsauftrag. Dabei wird den beiden 16-Jährigen vor Augen geführt, dass Instagram nicht alles ist. Dass das reale Leben nicht nur aus Likes (oder mangelnden Likes) besteht. Und sie lernen, en passant, dass es schon eine nächste Generation von 12-Jährigen gibt, für die das Coming-out ohne Probleme bereits stattgefunden hat und die auf dem Campingplatz herumtollend eine neue und andere Form von Gay Culture der Zukunft ausleben. Diese Thematik haben zugegebenermassen Serien wie «The Fosters» zuletzt nuancierter behandelt, aber es ist bemerkenswert, den Aspekt hier quasi nebenbei als «The New Normal» anzutreffen. (MANNSCHAFT berichtete über «The Fosters».)
Kein Sex mehr Bemerkenswert ist auch, dass es in dieser YA-Welt keinen Sex gibt: ein Kuss ist das höchste der erotischen Gefühle. Darin unterscheiden sich diese neuen LGBTIQ-Bücher recht deutlich von alten Klassikern wie Gordon Merricks «The Lord Won’t Mind» (dt. «Ein Fall von Liebe») von 1970. Kurz nach Stonewall und dem Beginn der globalen Gay Liberation wurde damals der Sex zwischen den jungen Erwachsenen in allen Details ausgemalt und als wesentlicher Bestandteil der Transition in die Erwachsenenwelt behandelt.
Während «The Lord Won’t Mind» auch als Soft Porn betrachtet werden kann (wovon es in den 1970er-Jahren viel gab), ist die neue YA-Welt geradezu «keusch» – als wäre Sex das letzte, um das sich Teenager kümmerten. Wo sie doch so viele andere Dinge haben, die sie zuerst regeln müssen. Wie ihre Social-Media-Präsenz und die Kommentare der Mitwelt.
Green selbst sagt: «Mir ist bewusst, dass junge LGBTIQ ziemlich viel Scheisse durchleben müssen, und es ist eine grosse Verantwortung für mich, das zu berücksichtigen. Aber ich möchte auch die positiven und glücklichen Seiten des Lebens betonen. Es muss alle Arten von Geschichten geben, und es ist wichtig, beide Seiten zu sehen. Aber ich selbst möchte nicht zu sehr über ‹schwulen Schmerz› in meinen Büchern schreiben – ich möchte dass die Kids sehen, wie viel Spass das Leben machen kann, wie viel Lachen darin steckt, dass es gute und schlechte Tage gibt, aber dass man seine Gruppe finden kann, die einen liebt, und dass man okay sein wird.»
Aber ich selbst möchte nicht zu sehr über ‹schwulen Schmerz› in meinen Büchern schreiben – ich möchte dass die Kids sehen, wie viel Spass das Leben machen kann, wie viel Lachen darin steckt
Das ist ein Manifest, das man auch als 18+ Leser*in ab und zu beherzigen kann – es macht jedenfalls die Lektüre der «Heartbreak Boys» zum Äquivalent einer frischen Sommerbrise. Oder zu einem Erlebnis, bei dem man die ganze Zeit eine Verfilmung vor Augen hat. Nicht zufällig findet sich ein Zitat von der «Love, Simon»-Autorin Becky Albertalli auf dem Cover: «Einer der witzigsten, romantischsten Autoren der derzeit im Rennen ist.»
Verlagswelt offen für LGBTIQ-Charaktere Green gibt als seine grösste Schwäche an, ständig seine Verkaufszahlen bei Amazon Author Central zu checken. Offensichtlich kann man aktuell als Autor mit schwulen Teenie-Liebesgeschichten einen Lebensunterhalt verdienen – eine durchaus bemerkenswerte Entwicklung.
«Die Verlagswelt ist sehr offen für LGBTIQ-Charaktere und Geschichten», sagt Green. «Sie verkaufen sich, und Menschen finden sie spannend (‹people are excited about them›). Es ist toll, dass diese Bücher nicht länger in irgendeiner Ecke liegen wo ‹Gay Fiction› drüber steht, sondern auf den Tischen mit all den anderen Büchern – und das ist absolut richtig so. Es ist essentiell wichtig, dass Kinder und Teenager sich selbst wiederfinden in Büchern, deshalb ist Diversität entscheidend. Aber es geht nicht nur um homosexuelle Teenager, die sich selbst in Büchern sehen wollen. Es geht um alle Teenager, die sich zurechtfinden und das Leben verstehen wollen: sie sollten erkennen, dass wir trotz unserer Unterschiede alle gleich sind. Durch Verständnis für andere entsteht Empathie, die führt zu offenem Denken, zu Inklusivität und Respekt. Ich glaube YA-Bücher spielen in diesem Prozess eine wichtige Rolle.»
Linas Alsenas von Scholastic UK sagt: «Die Romane von Green kommunizieren mit einer prägnanten eigenen Stimme mit verschiedenen Altersgruppen.» Es gehe darum, «positive, kreative und unterstützende Bücher» herauszubringen. Ist der Sex dabei rausgeflogen, weil jeder Teenager sich diesen heutzutage problemlos im Internet anschauen kann? Wäre es da nicht auch an der Zeit, Online-Pornografie und den Wunsch bzw. Wahn vieler, selbst «Pornostar» zu sein, genauso zu dekonstruieren, wie das Green in den «Heartbreak Boys» mit dem Thema Instagram und Influencer tut?
«Shooting Star» – Romantisches Musical über die schwule Pornoindustrie?
Dass Sex natürlich auch bei Teenagern eine wichtige Rolle spielt, behandelt die HBO-Erfolgsserie «Euphoria» ausführlich und mit etlichen Abgründen. (MANNSCHAFT berichtete.) Nach der Corona-Zwangspause sollen die Drehabreiten für Staffel 2 demnächst beginnen.
Wann die Dreharbeiten für «Heartbreak Boys» beginnen, muss sich zeigen. Derzeit ist Simon James Green mit dem Buch auf Lesereise durch Grossbritannien und füttert mit Fotos seinen Instagram-Account (2.100 Follower).
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