«Die Beschimpfung als Schwuchtel fällt unter Hasskriminalität»
Ein Interview mit dem Hate-Speech-Beauftragten von Bayern
Hass, Hetze und Drohungen im Netz werden in Deutschland jetzt deutlich härter bestraft. Der Bundestag hat im Juni ein Gesetz beschlossen, das u.a. das Androhen von Körperverletzungen zur Straftat macht. Den Täter*innen drohen bis zu drei Jahre Haft. Vorausgesetzt: Man fasst sie.
Hass im Netz richtet sich oft gegen LGBTIQ, gegen Flüchtlinge und Politiker*innen. Um dies effektiv und schlagkräftig zu bekämpfen, wurde zum 1.1.2020 bei der Generalstaatsanwaltschaft München Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Hartleb zentral für ganz Bayern als Hate-Speech-Beauftragter der bayerischen Justiz bestellt. Nach einem guten halben Jahr ziehen wir Bilanz.
Herr Hartleb, wie definieren Sie Hate Speech? Es gibt unterschiedliche Definitionen. Behörden, NGOs oder privatwirtschaftliche Unternehmen, wie Facebook oder Twitter haben jeweils teilweise unterschiedliche Vorstellungen. Wir als bayerische Justiz haben folgende Definition: Erstens: Es muss eine Straftat vorliegen. Sehr oft handelt es sich um Volksverhetzung, aber auch Beleidigungsdelikte, Bedrohung oder das Verwenden von Symbolen verfassungsfeindlicher Organisationen wie etwa das Posten von Hakenkreuzen. Zweitens: Die Äusserung muss im Internet erfolgen, bei Facebook, Twitter, YouTube oder in Messenger-Diensten wie Whatsapp oder Telegram.
Drittens: Die Äusserung erfolgt nicht nur im bilateralen Verhältnis, es braucht einen grösseren Kreis, wenn ein bedrohender oder beleidigender Post eine besonders grosse Reichweite erfährt – für das Opfer ist das ja auch belastender. Bei bilateralen Beschimpfungen in einem Messenger-Dienst etwa kann man den anderen natürlich immer noch bei der Polizei anzeigen, es bleibt ja strafrechtlich relevant. Viertes und zentrales Merkmal: Es muss als Hasskriminalität einzuordnen sein, wenn nämlich marginalisierte Gruppen angegangen werden, etwa aufgrund der Ethnie, einer Behinderung, der politischen Einstellung oder der sexuellen Orientierung. Die Beschimpfung als Schwuchtel fällt unter Hasskriminalität.
EKD beklagt Hate Speech bei Themen Gender und Homosexualität
Was macht Ihrer Beobachtung nach den grössten Anteil aus – Hassrede aus religiösen, rassistischen oder Gründen der sexuellen oder geschlechtlichen Identität? Eine umfassende Auswertung der bayerischen Hate-Speech-Verfahren folgt erst Ende des Jahres. Es gibt aber die Untersuchung «Hass im Netz» von Campact aus dem Frühjahr 2019. Da wurden über 7000 Menschen befragt. Hier ist das Ranking klar: Politiker und geflüchtete Menschen liegen als Zielgruppe von Hate-Speech vorne, gefolgt von politisch Andersdenkenden und Menschen mit Migrationshintergrund. In meiner täglichen Arbeit derzeit kommt Hate Speech zu Lasten von LGBTIQ nur minimal vor.
Eine repräsentative Umfrage einer Forschungsgruppe der Universität Leipzig zeigt: Fast jeder fünfte User ist einer Umfrage zufolge schon einmal Opfer von Hatespeech im Internet geworden. Von den 16- bis 30-Jährigen sogar jeder oder jede Dritte. Das deckt sich mit Campact-Studie. Das liegt in der Natur der Sache, weil die jüngeren Menschen eher die Netzwerke nutzen
Sie sind Hate-Speech-Beauftrager der bayerischen Justiz. Wie lässt sich das Phänomen geographisch eingrenzen? Das läuft so: Jemand zeigt einen Hasspost an. Dann muss erstmal der Urheber ermittelt werden. Wenn der ausserhalb von Bayern sitzt, würde ich das Strafverfahren an die zuständige Staatsanwaltschaft abgeben – nicht dass wir wegschauen. Aber der Tatort ist, wo der Beschuldige wohnt und den Hasspost in seinen Computer oder in sein Telefon eingegeben hat. Jedenfalls gehen wir davon aus, das er an seinem Wohnort tätig wird. International läuft es auch so: Wir haben auch mal Hassposter aus der Schweiz, das Verfahren geben wir dann an die dortigen Behörden. Der Tatort ist vorrangig in Bezug auf die Zuständigkeit, das ist ein allgemeines Prinzip, auf den sich die Generalstaatsanwälte der Länder geeinigt haben.
Hass gegen LGBTIQ-Politiker
Die trans Abgeordnete Tessa Ganserer (Grüne) hat schon viel Hass im Netz erlebt. Anzeigen habe sie nicht mitgezählt, weil ein grosser Teil in Form von einer Sammelanzeige Anfang letzten Jahres geschah, erklärt sie gegenüber MANNSCHAFT. «Es ist nicht einfach, alles zu zählen, weil man ja nicht alles mitbekommt und weil ich mich auch nicht täglich damit beschäftigen möchte.»
In einem Fall wurde das Verfahren eingestellt, weil der Täter nicht ermittelt werden konnte, drei oder vier Verfahren wurden nach § 154 StPO eingestellt («weil die Strafe oder die Massregel der Besserung und Sicherung … nicht beträchtlich ins Gewicht fällt»). In einem Fall wurde das Verfahren gegen eine Zahlung von 750 Euro an eine gemeinnützige Organisation vorläufig eingestellt. Eine ganze Reihe von Verfahren laufen noch, so Ganserer.
Aktuell ist der Fall Volker Beck (Grüne): Dem schwulen Politiker wurde von Veggie-Koch und Verschwörungstheoretiker Attila Hildmann via Telegram die Todessstrafe angedroht (MANNSCHAFT berichtete). Nicht der erste Fall von Hass im Netz gegen Beck – und nicht der letzte. Nach Hildmanns Drohungen hat er mehrere ähnliche anonyme Hassnachrichten erhalten. «Da geht es teilweise ganz konkret darum, mich zu ermorden. Es wäre zu viel Arbeit, das jedes Mal anzuzeigen.» (MANNSCHAFT berichtete).
Wie gehen Sie vor, wenn ein Fall von Hate Speech bei Ihnen landet? Es kommt erstmal drauf an, ob der Täter bereits identifiziert wurde – sonst müsste man Internetermittlungen anstellen. Dann stellt sich die Frage: Wie gravierend ist der Hasspost? Ist es eine gravierende Straftat, kommt es in der Regel zu einer Wohnungsdurchsuchung, dazu wollen wir auch verstärkt übergehen. Anfang Juni hatten wir eine bundesweite Durchsuchungsaktion, da ging es um Hassposts, die sich gegen den ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke richteten. Er wurde über Jahre im Netz massiv angefeindet, seine Privatadresse wurde online gestellt – man spricht da von «Doxing» – und er wurde ja letztendlich auch am 2. Juni 2019 ermordet. Da haben wir viele der Hassposter ausfindig machen können.
Stärkeres Durchgreifen von Facebook bei Hassrede gefordert
Es folgt dann der Strafbefehl oder die Anklage – es sei denn, es muss eingestellt werden, weil es nicht nachweisbar, ob die Person der Poster ist oder die Äusserung von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Dann geht es beim Strafgericht weiter, am Ende der Gerichtsverhandlung steht meist eine Geldstrafe oder auch Haft. Einmal hatten wir einen Hassposter, der schrieb, er wolle Heizungsinstallateur sein in einem Flüchtlingsheim und die Gasleitungen mal offen lassen … Da verhängte das Landgericht Nürnberg in der Berufungsinstanz-Fürth eine 6-monatige Gefängnisstrafe.
Vielleicht sollte man das einen Strafrechtler nicht fragen, aber: Glauben Sie, dass man durch höhere Strafen den Hass in Griff kriegen kann? Ich gehe schon davon aus, dass die Strafen abschreckende Wirkung haben. Wenn ein nicht vorbestrafter Mensch für einen Post etwa 6000 Euro zahlen muss – das richtet sich ja immer nach den Einkommensverhältnissen -, dann schreckt das schon ab. Einer grossen Anzahl der Täter ist gar nicht bewusst, was sie da machen. Die posten Volksverhetzendes und Beleidigendes, sind aber sonst noch nicht so gefestigt in ihrer kriminellen Persönlichkeit. Die kann man auf jeden Fall beeindrucken. Oder wenn morgens um 6 Uhr die Polizei vor der Tür steht und die Wohnung durchsucht – da sehe ich schon, dass viele abgeschreckt werden.
Du Jude! hat bei Schüler*innen mittlerweile Du Opfer! als Beschimpfung abgelöst
Aber natürlich ist die Strafverfolgung nicht das einzige Mittel, das wird es nie sein. Bildung ist wichtig, in den Schulen müsste man sich verstärkt diesem Thema widmen. Wir haben jetzt viele Verfahren mit Schüler-Chats. Die Schüler wissen gar nicht mehr, was sie da posten. Zum Thema Drittes Reich haben sie oft gar keine richtige Beziehung. Da wird der Jude als Universalschimpfwort gebraucht. Du Jude! hat mittlerweile Du Opfer! abgelöst. Es ist überhaupt kein Bewusstsein mehr da. Da braucht es verstärke Aufklärung und Bildung. Denn aus Worten können Taten werden. Man muss sagen, dass die NGOs im Bereich Hate Speech gute Arbeit leisten. Auch bei Journalisten sehe ich eine grosse Sensibilität für das Thema.
Wie gut arbeiten Sie mit Facebook zusammen? Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt ja seit 2017 das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Danach sind die Anbieter der grossen Plattformen, die mindestens zwei Millionen User bundesweit haben – verpflichtet, entsprechende Hassposts zu löschen. Wenn also eine Anzeige hier eingeht, gehen wir auf die Netzwerke zu – wir brauchen ja die Bestandsdaten von dem Nutzer. Da wird es oft schwierig. Die relevanten Unternehmen, die alle in den USA sitzen, ziehen sich dann stark auf das US-Recht zurück, und da haben wir im Einzelfall noch nicht die gewünschte Handhabe.
Ermittlungen nach türkischer Hasspredigt gegen Homosexuelle
Wenn über die IP-Adresse ein mutmasslicher Täter ermittelt wird, der aber sagt: Ich war es nicht – was dann? Es gilt auch hier die Unschuldsvermutung. Es sei denn, man kann ihm etwas anderes beweisen. Es gibt verschiedene Methoden. Man wertet den z.B. den Facebook-Account aus. Ist er da auf Fotos zu sehen? Man schaut in der Wohnung, ob es da Beweismittel für die Täterschaft gibt.
Die IP-Adressen sind flüchtig und werden, wenn überhaupt, von den Unternehmen nur sieben Tage gespeichert, es gibt keine Speicherverpflichtung. Und oft erleben wir, dass die Adressen eben nicht mehr gespeichert sind und wir an den Täter gar nicht mehr rankommen. Ausserdem gibt es das grosse Problem mit den Betreibern grosser Netzwerke, die in mangelhafter Weise mit den Behörden kooperieren. Unsere Auskunftersuchen werden nicht oft beantwortet oder nicht zufriedenstellend oder es wird auf den Rechtshilfeweg nach USA verweisen, und der ist in aller Regel nicht erfolgversprechend.
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