«Gut bestückter» Linkshänder: Ziggy Stardust wird 50
Ein Stern, der früh verglühte, aber bis heute nachwirkt
Am 16. Juni 1972, vor genau 50 Jahren, veröffentliche David Bowie sein Album «The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars». Es war ein Meilenstein für das queere Selbstbewusstsein vieler Menschen und ein Höhepunkt westlicher Popkultur.
Von Michael Louis
Man habe auf der Erde noch fünf Jahre zu leben, wird den Hörenden gleich zu Beginn im ersten Song «5 Years» mitgeteilt. Kein Flowerpower, kein Love and Peace. Auf dem Albumcover steht Bowie in einer nächtlichen verregneten Londoner Strasse, an den Strassenrändern liegen Müllsäcke. Diese Figur wirkt fremd in einer ungemütlichen Gegend. Die Lichter der beleuchteten Wohnungen reflektieren in der nassen Strasse und erzeugen so eine geheimnisvolle Stimmung, in der ein Aussenseiter Abenteuer erleben kann.
Dieses Bild vermittelt die Stimmung des Albums. Es geht um den «Rausch junger Körper, die sich unter denkbar ungünstigen Bedingungen begegnen und berühren, in hoffnungslos erwachsenen, trostlos verbrauchten Umwelten», so der Kulturwissenschaftler Frank Kelleter. Diese Welt war für eine Jugend Anfang der 70er Jahre, die aus dem Mief der konservativen Mehrheitsgesellschaften ausbrechen wollte, eine Offenbarung. Mindestens so sehr aber auch für junge queere Menschen auf dem Weg zur eigenen Selbstbefreiung.
Die Themen des Albums passen in die Atmosphäre jener Jahre. Im Jahr 1969, dem Jahr der Mondlandung veröffentlichte Bowie seine Erfolgssingle «Space Oddity». Drei Jahre später erscheint in dieser Weltraumeuphorie, in der Songs wie Elton John’s «Rocket Man» herauskommen, der «messianische Rockstar» Ziggy Stardust, wie Bowie ihn selber später nannte. Er ist ein «well-hung, snow white-tanned, left-hand guitar-playing man». Im Song «Ziggy Stardust» wird auch sein Ende gleich vorweggenommen: Der Rockstar, selbstverliebt, «making love with his ego“, geht in diesem Star-Rausch am Schluss unter: «When the kids had killed the man, I had to break up the band».
Das Album gilt heute als Konzeptalbum. Doch als Bowie es aufnahm, war es kaum mehr als eine Ansammlung von Songs. Erst nachträglich erklärte Bowie dem Schriftsteller William S. Burroughs in einem Interview, das erst 1974 veröffentlicht wurde, die «Hintergründe» zu Ziggy. Das Weltuntergangsszenario von «5 Years» beruhe auf der Knappheit der Ressourcen der Erde – bereits 1972.
Zu seiner Figur Ziggy spinnt Bowie eine Geschichte: Ziggy sei im Traum von anderen Ausserirdischen, den «Infinitives“, dazu inspiriert worden, den Song «Starman» zu schreiben, der eine Erlöserfigur ankündigen soll. Ziggy hält sich daraufhin selbst für einen Propheten. In Wirklichkeit schrieb Bowie die heute bekannte Single «Starman» erst, als sein Musikproduzent eine Single verlangte, mit der sich das Album promoten lasse. Bowie sagte später, dass «Ziggy» der Name eines Bekleidungsgeschäfts gewesen sei, an dem er zufällig vorbeigefahren sei. Er erinnerte ihn zudem an seinen Musikerkollegen Iggy Pop. Ausserdem fand er es lustig, dass die ganze Figur letztlich auf einen Klamottenladen zurückging.
Dieser Ziggy, der im dritten Song des Albums, «Moonage Daydream», auftauchte, war gleich als queere Figur erkennbar. Er war «Mama-Papa» und damit genderfluide, war «space invader», fremd, von aussen kommend mit einer phallischen Dimension. Die Begriffe «Rock ’n’ rollin‘ bitch» und «pink-monkey-bird» kamen aus der Schwulenszene. Im Song «Suffragette City» singt er von einem undurchsichtigen Beziehungsgeflecht zwischen Ziggy, einer Figur namens «Henry» und einer Frau.
«Lady Stardust» handelt von einem jungen Mann, über dessen Make-up, lange Haare und animalische Bewegungen sich die Leute lustig machen. Dieser jedoch singt «all night long» als «Lady Stardust» seine Lieder, worin er ganz aufgeht. Damit zeichnet Bowie eine Figur, die sich ihre Freiheit in der Musik und den Partynächten sucht, in denen sie so sein kann, wie sie möchte. Diesen Song, wie auch das noch vom Vorgängeralbum stammende «Queen Bitch», singt Bowie in Konzerten ebenfalls als Ziggy. So macht er deutlich, dass die herkömmlichen Geschlechterrollen auf diese Figur nicht anwendbar sind.
Kurz bevor Bowie sein Album veröffentlichte, outete er sich in einem Interview als schwul. Auch wenn er später sagte, er sei bisexuell und er zuletzt mit einer Frau zusammenlebte, bot er doch mit der Ziggy-Figur vielen queeren Menschen ein Vorbild. Bowie selbst antworte 2003 auf die Frage, welche Sexualität er rückblickend in seinem Leben gehabt habe, schlichtweg: «I was just happy… I got my leg over a lot.» Gerade weil er Ziggy als Ausserirdischen zeigte, knüpfte er an das Gefühl vieler queerer Menschen zu der Zeit an, sich ebenfalls wie Fremde in der eigenen Gesellschaft zu fühlen.
Denn Ziggy stand in Kontrast zu dem in den 70er Jahren noch prägenden Bild von queeren Menschen, worauf Schriftsteller*in Lauren John Joseph hinweist: Die meisten wollten angepasst wirken, achteten darauf, gut angezogen zu sein und gute Manieren zu haben. Immer in der Angst, entdeckt zu werden. Letztlich wurden sie in diesen Zeiten durch die Gesellschaft sehr oft zu tragischen Figuren gemacht. Ziggy bot von allem das genaue Gegenteil: Nicht schwach und angepasst, sondern kraftvoll, laut, lustvoll und fröhlich. In der Folge bezogen sich auf ihn auch viele Organisationen der Schwulenbewegung wie die «Gay Liberation Front» oder queere Magazine wie The Advocate und Drag.
Das Phänomen Ziggy begann jedoch erst so richtig mit einem TV-Auftritt am 06. Juli 1972 in der britischen TV-Musikshow «Top of the Pops». Bowie erschien in einem bunten Jumpsuit und mit Astronautenstiefeln. Er trat betont locker auf und legte seinen Arm um den Gitarristen Mick Ronson. Diesen Auftritt sahen Millionen junger Menschen. In den darauffolgenden Konzerten seiner Tour trat Bowie nicht als David Bowie auf, sondern mit roten Haaren und weissem Glitzerkleid als Ziggy Stardust.
Als Kunstform scheint mir das Songschreiben etwas unzulänglich.
In diesen Shows ging es um die Vermischung von Musik und Darstellung, von Popkonzert, Oper, Musical und Theater. «Als Kunstform scheint mir das Songschreiben etwas unzulänglich», erklärte Bowie. Er wollte stattdessen etwas «Dreidimensionales». Nicht allein die Songtexte, oder die ewig gleiche Studioversion eines Songs auf CD oder im Stream waren das, worum es gehen sollte. Sondern Text und Musik gemeinsam mit der nicht genau gleich wiederholbaren Live-Aufführung bildeten das vollständige Kunstwerk. Erst als er leibhaftig vor das Publikum trat, wurde Ziggy Stardust wirklich zum Leben erweckt.
Am Ende seiner Tour versetzte er seinen Fans einen Schrecken. Er erklärte am 3. Juli 1973, am Ende des Konzertes im Londoner Hammersmith Odeon, dass dies sein letztes Konzert gewesen sei, das er je geben würde. Auch wenn David Bowie später Songs dieser Phase wieder spielen sollte, ist die Figur Ziggy Stardust nie wieder aufgetaucht. Ziggy war wie ein Stern, der verglüht ist. Bowie beschäftigte sich schon 1973 mit anderen musikalischen Projekten. Er merkte, dass sich die Figur des Ziggy seiner selbst bemächtigte und er ihn nicht mehr loswurde. Letztlich aber ist Ziggy Stardust erst dadurch, dass Bowie ihn in seinem letzten Konzert der Tour hatte «sterben» lassen, wirklich unsterblich geworden.
Seit diesem Jahr ehrt eine deutsche Sonderbriefmarke David Bowie (MANNSCHAFT berichtete). Zuvor hatte die britische Royal Mail eine Sonderausgabe von Briefmarken in Gedenken an Bowie veröffentlicht (MANNSCHAFT berichtete).
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