Gemeint = mitgedacht? Wie Sprache unser geistiges Auge beeinflusst
Neue Studie der Uni Würzburg untersucht das generische Maskulinum
Gegner*innen des Genderns argumentieren oft, das generische Maskulinum meine alle Geschlechter. Das ist zwar theoretisch so, aber im Kopf ploppen trotzdem vor allem Männer auf.
Von Vanessa Köneke, dpa
Astronauten, Forscher, Bürger, Kunden, Polizisten, Richter … bei all diesen Ausdrücken sind Frauen und diverse Menschen doch mitgemeint! So argumentieren Befürworter*innen des generischen Maskulinums, also der Verwendung der maskulinen Form auch in Fällen, in denen nicht nur Männer gemeint sind. Allerdings zeigen immer mehr Studien, dass es für das geistige Auge durchaus einen Unterschied macht, ob beispielsweise die weibliche Form explizit dazugesagt wird.
Das generische Maskulinum war in der deutschen Sprache jahrzehntelang gebräuchlich. Doch sein Fundament wackelt. Mehr und mehr Menschen und Organisationen nutzen Alternativen, um Frauen und nicht-binäre Personen sichtbarer zu machen. Dazu kann gehören, konsequent auch die weibliche Form zu nennen (also zum Beispiel: «Richterinnen und Richter»). Zudem gibt es geschlechtsneutrale Ausdrücke wie «Mensch», «Person» und «Mitglied». Zum Teil werden auch Substantivierungen wie «Lehrende» und «Studierende» benutzt.
Besonders leidenschaftlich diskutiert werden Schreibweisen mit Genderstern (zum Beispiel Schüler*innen), Binnen-I (SchülerInnen) und sogenanntem Gender-Gap (Schüler_innen und Schüler:innen). Gerade erst hat Bayern solche Konstrukte in seinen Behörden, Schulen und Hochschulen untersagt (MANNSCHAFT berichtete).
Studien zeigen, dass sogenannte geschlechtergerechte Sprache grundsätzlich einen Unterschied macht. Die Sozialpsychologen Fritz Strack und Patrick Rothermund von der Universität Würzburg veröffentlichten gerade erst im Journal of Language and Social Psychology eine Untersuchung, der zufolge das generische Maskulinum eher mit Männern assoziiert wird – selbst wenn extra dazu gesagt wird, dass Frauen mitgemeint sind.
Verzerrte Vorstellungen Dass das generische Maskulinum die Vorstellung in Richtung Männer verzerrt, könnte grundsätzlich daran liegen, dass die kommunikative Absicht missverstanden wird – also dass geglaubt wird, dass nur Männer gemeint sind, schreiben die Wissenschaftler. Eine andere Erklärung wäre, dass mit dem generischen Maskulinum automatisch männliche Assoziationen geweckt werden.
Die Studie von Strack und Rothermund liefert nun deutliche Hinweise darauf, dass es beim generischen Maskulinum tatsächlich eine Art automatische Assoziation gibt. Demzufolge reicht es nicht aus, zu betonen und daran zu erinnern, dass mit dem generischen Maskulinum nicht nur Männer gemeint sind.
Die Forscher liessen in ihren Experimenten jeweils knapp 200 Teilnehmer*innen bestimmte Satz-Kombinationen beurteilen. In einem ersten Satz wurde das generische Maskulinum für eine Gruppe von Menschen benutzt, etwa Kellner, Nachrichtensprecher, Autoren, Spaziergänger, Berufsschüler, Nachbarn und Zuschauer. In einem zweiten Satz wurde eine entweder nur männliche oder nur weibliche Untergruppe der Gruppe aus Satz eins erwähnt. Dann sollten die Teilnehmer*innen möglichst schnell angeben, ob Satz zwei eine vernünftige Fortsetzung von Satz eins ist.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Teilnehmer*innen die zweiten Sätze häufiger als sinnvolle Weiterführungen der ersten Sätze einstuften, wenn eine männliche Untergruppe erwähnt wurde. Ausserdem waren sie in ihrem Urteil dann schneller. Das heisst den Forschern zufolge, dass die Teilnehmer*innen das generische Maskulinum eher mit Männern assoziierten.
Das war auch der Fall, wenn die Proband*innen zu Beginn des Experiments explizit darauf aufmerksam gemacht wurden, dass mit dem generischen Maskulinum sowohl Männer als auch Frauen gemeint sein können, und zusätzlich in den gezeigten Sätzen ein spezielles Sonderzeichen als Erinnerung eingebaut war.
So lassen sich im Kopf andere Bilder erzeugen Während blosses Erinnern nicht ausreichte, konnten die Forscher in einem weiteren Experiment zeigen, wie deutlicher werden kann, dass Frauen mitgemeint sind. So bekamen Teilnehmer*innen im ersten Satz eine zusätzliche Information, welche andere Bilder im Kopf erzeugen sollte – etwa durch Erwähnen stereotyp weiblicher Kleidung, zum Beispiel: «Die Kellner zogen sich helle Hemden und Blusen an». Oder durch noch deutlichere Hinweise, dass die Gruppen nicht nur aus Männern bestehen, wie: «Die Berufsschüler wurden in geschlechtergemischte Klassen eingeteilt.»
Das Würzburger Team stellte fest, dass diese zusätzliche Informationen dazu führten, dass Proband*innen nicht mehr so häufig Männer assoziierten – trotz generischen Maskulinums.
Grammatikunterricht genügt nicht Dass es schwierig ist, das generische Maskulinum so zu verstehen, wie es gemeint ist, nämlich inklusive Frauen und diversen Menschen, zeigen auch frühere Studien. «Menschen mögen die Regel in der Schule gelernt haben und sie auch verstehen, aber können sie nicht leicht anwenden», schrieben Forscherinnen und Forscher 2009 in einem Überblicksartikel im European Journal of Psychology of Education.
Auch in Bezug auf Personengruppen, die stereotyp eher mit Frauen assoziiert sind, weckt das generische Maskulinum häufig männliche Assoziationen, wie andere Studien nahelegen. So wurden in einer Studie mit dem Titel «Wenn alle Männer sind» auch die Wörter Kosmetiker und Geburtenhelfer eher mit Männern in Verbindung gebracht.
Das «Tuntenhaus» ist das älteste queere Wohnprojekt Berlins. Nach dem Verkauf der Immobilie kämpfen die Bewohner*innen nun um ihr Zuhause. Hier erzählen sie, was ihnen das Haus bedeutet (MANNSCHAFT+).
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