«Geht es um die Hautpflege, stammen wir alle vom gleichen Planeten»
Auf die Inhaltsstoffe kommt es an, sagt Dermatologe Piotr J. Michel-Dziunycz
Ein Arsenal an Produkten für Frauen, eine eingeschränkte Auswahl – schlicht in Schwarz-, Grau- und Blautönen gehalten – für Männer. Die Kosmetikindustrie will uns weismachen, dass wir uns aufgrund unseres Geschlechts für eine bestimmte Sorte von Hautpflege zu entscheiden hätten. Das stimmt nicht, verrät der Dermatologe Piotr J. Michel-Dziunycz.
Mit einer Fläche von eineinhalb bis zwei Quadratmetern ist die Haut mit Abstand das grösste Organ des Körpers. Und auch das schwerste. Bringt das Skelett bei einem 70 Kilogramm schweren Erwachsenen rund 8 Kilo auf die Waage, sind es bei der Haut deren 14. Sie macht zirka 20 % des Körpergewichts aus. Es sind jedoch nicht diese Eigenschaften der Haut, die Dr. med. Piotr J. Michel-Dziunycz von der Dermatologie Klinik Zürich imponieren, sondern ihre Anpassungsfähigkeit. «Die Haut ist ein lebendiges Kunstwerk», sagt er. «Sie passt sich unserem Leben an. Ähnlich wie wir unsere Muskeln trainieren, so können wir auch unsere Haut konditionieren. Haben wir sie Strapazen ausgesetzt, so repariert sie sich wieder.»
Die Redewendung «Strahlen vor Glück» kommt also nicht von ungefähr. «Man sagt, dass man die Leute nicht aufgrund ihrer Erscheinung beurteilen darf. Da bin ich nicht ganz einverstanden: So, wie die Menschen aussehen, so fühlen sie sich auch», sagt er im Telefoninterview mit der MANNSCHAFT. «Die Haut ist dankbar. Wenn man sie pflegt – wenn man sich selbst pflegt –, so strahlt sie das aus.»
Ob im Internet oder im Warenhaus: Das Kosmetikangebot gleicht einem Dschungel vielversprechender Wundermittel. Wie findet man geeignete Produkte und spielt das Geschlecht eine Rolle? Wie schützt man sich korrekt vor der Sonne, vor allem jetzt im Sommer? Piotr beantwortet die wichtigsten Fragen.
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Die Erzfeindin der Haut Umweltverschmutzung, Stress, ungesunde Ernährung: Jeden Tag setzen wir unsere Haut diversen Negativfaktoren aus, die die Haut beeinträchtigen. Der grösste Schaden richtet gemäss Piotr jedoch die Sonne an, gefolgt vom Rauchen. «Beide machen die Haut müde und alt», sagt er. Wer sich vor der Sonne schützt und anschliessend zu Pflegeprodukten greife, könne die Haut bei der Regeneration unterstützen. «Es kommt nicht von ungefähr, dass Joan Collins stets die Sonne meidet», sagte Piotr in einem früheren Bericht zum Thema Sonnenschutz (MANNSCHAFT berichtete).
Beim Rauchen helfe lediglich das Aufhören. Apropos: Gemäss diversen Studien rauchen LGBTIQ-Personen zwischen eineinhalb- und zweieinhalbmal so oft als heterosexuelle Cis-Personen.
Weniger ein Problem sind hingegen fettige Lebensmittel oder Verkehrsabgase. «Diese Faktoren können höchstens zu Pickeln oder kleinen Entzündungen führen, richten aber keinen Dauerschaden an», sagt Piotr.
Ab welchem Alter soll man der Hautalterung vorbeugen? Die Hautalterung setzt bereits am Ende der Pubertät ein. Die Übeltäter sind die freien Radikale, die durch äussere Einflüsse wie UV-Strahlung, Alkoholkonsum und Rauchen entstehen und der Haut schaden. «Antioxidantien schalten diese freien Radikale aus», sagt Piotr. «Verschiedene Wirkstoffe verringern den oxidativen Stress auf die Haut und regen die Regeneration an.» Für 20- bis 30-Jährige empfiehlt er exfolierende Produkte mit Salicylsäure und Antioxidantien wie zum Beispiel Vitamin C. Über 30-Jährige greifen am besten zu den Inhaltsstoffen Retinol und Glycolsäure.
Wie unterscheidet sich Männer- von Frauenhaut? Männerhaut ist durchschnittlich 20 % dicker. «Der Hauptunterschied liegt in der Dermis. Diese Schicht verfügt über mehr Bindegewebe und somit auch über mehr Kollagen und Elastin, die die Haut straffer und fester aussehen lassen», sagt Piotr. Männerhaut verliert schneller und kontinuierlich Kollagen, bei den Frauen beschleunigt sich die Hautalterung aufgrund der verminderten Östrogenproduktion mit den Wechseljahren.
Das Testosteron führt bei Männern zu einer eher grösseren Talgproduktion als bei Frauen. «Die Männerhaut ist dadurch tendenziell besser geschützt, neigt dafür jedoch mehr zu Unreinheiten, verstopften Poren und somit auch zu Pickeln», sagt Piotr.
Hautpflege bei trans Personen Bei trans Personen kann eine Hormontherapie eine grosse Umstellung für die Haut bedeuten. Wie sich diese äussert, sei individuell. «Ich will keine pauschalisierenden Aussagen machen», sagt Piotr. «Wer bei der Pflege unsicher ist, wendet sich am besten an eine Fachperson aus der medizinischen Kosmetik, die den Hauttyp und die entsprechenden Bedürfnisse analysiert.»
«Geht es um die Hautpflege, so stammen wir alle vom gleichen Planeten.»
Der Unterschied zwischen Hautprodukten und «For Men» Auf keinen Fall zu teuer oder zu «weiblich»: Hautpflege für Männer muss möglichst «männlich» rüberkommen, so will es das Marketing. «Abgesehen von Preis, Design und den Duftstoffen besteht bei den Produkten für Männer und Frauen kein wirklicher Unterschied», sagt Piotr. «Manchmal sind die Wirkstoffe sogar identisch, einzig die Verpackung wird anders gestaltet.» Unter Umständen seien die Produkte für Männer gar fettiger, was der Haut nicht guttue. Das Konzept «Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus» sei hier nicht anwendbar. «Das Geschlecht spielt bei guten Produkten keine Rolle», sagt er. «Geht es um die Hautpflege, so stammen wir alle vom gleichen Planeten.»
Die ideale Tagesroutine Morgens empfiehlt Piotr ein Produkt zur Gesichtsreinigung, gefolgt von einer feuchtigkeitsspendenden Tagescreme mit einem Sonnenschutzfaktor 30 für Personen, die sich tagsüber mehrheitlich drinnen aufhalten. Abends kommt eine reparierende Nachtcreme mit Antioxidantien zum Zug.
«Je nach Hautbedürfnissen kann morgens ein mit Vitaminen, abends ein mit Retinolen angereichertes Serum angewendet werden», sagt Piotr. «Zusätzlich kann man ein Produkt für den empfindlichen Augenbereich verwenden, eventuell noch etwas für den Hals. Das gilt sowohl für Frauen als auch für Männer.» Personen, die sich schminken, benötigen einen Make-up-Entferner. Solche, die sich rasieren, eventuell ein hautberuhigendes Serum.
Ist Schminke gut für Haut? «Nicht das Make-up an sich ist problematisch, sondern die Inhaltsstoffe», sagt Piotr. Billige Produkte seien oft mit Mineralölen angereichert. «Schlechtes Make-up ist jedoch nicht so schlimm, wie ein schlechtes Pflegeprodukt. Dieses dringt tief in die Hautschichten ein, Schminke bleibt an der Oberfläche.
Gute und schlechte Inhaltsstoffe Wer im grossen Angebot der Kosmetikindustrie ein geeignetes Produkt finden will, kommt nicht um eine penible Analyse der Inhaltsstoffe herum. Mit kostenlosen Apps fürs Smartphone, darunter zum Beispiel «Code Check», lassen sich problematische Zusatzstoffe identifizieren.
«Pflegeprodukte sollen feuchtigkeitsspendend sein, zum Beispiel mit Glycerin oder Hyaluronsäure, und mit Zink oder Titaniumdioxid über einen UV-Schutz verfügen», sagt Piotr. Neben Antioxidantien wie den Vitaminen C und E soll das Produkt mit Retinolen oder Hyaluronsäure die Kollagensynthese stimulieren. «Je nach Zustand der Haut soll das Reinigungsmittel beruhigend sein, etwa mit Aloe-Vera-Extrakten, und mittels Salicyl- oder Glycolsäure die oberste Hautschicht abtragen – das bekannte Peeling.»
Von komedogenen Inhaltsstoffen rät Piotr ab: «Komedogene Kosmetika können die Bildung von Komedonen fördern und damit Akne oder Hautunreinheiten hervorrufen.» Zu den häufigsten komedogenen Inhaltsstoffen gehören: Butylstearat, Cetylalkohol, Hexylenglycol Isopropylmyristat, Lanolin, NatriumLaurylsulfat, Polyäthylenglycol 300, Sesamöl, Kokosöl, Stearinsäure, Schwefel, hydriertes Polyisobuten, Paraben, Mineralöl/ Parafinliquidum.
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Piotrs persönlicher Pflegetipp Für effiziente Pflege- und Anti-Ageing-Produkte empfiehlt Piotr sogenannte Cosmeceuticals. «Das ist eine Bezeichnung für Pflegeprodukte, die oft stark konzentrierte Wirkstoffe enthalten», sagt er. «Sie wirken sehr gut. Man merkt den Unterschied zu herkömmlichen Produkten sehr schnell. Cosmeceuticals sind praktisch immer unisex.»
Angemessener Sonnenschutz Der individuelle Hauttyp und die Berechnung der Eigenschutzzeit kommen in den Sinn, wenn man sich an das Thema Sonnenschutz in der Schule erinnert. Dieser Ansatz könne man heute vergessen. «Die Weltgesundheitsorganisation hat ihre Empfehlungen zum Sonnenschutz überarbeitet», sagt Piotr. «Sie empfiehlt die Anwendung der Sonnencreme eine halbe Stunde vor dem geplanten Aufenthalt an der Sonne sowie ein erneutes Eincremen alle zwei Stunden.» Für einen optimalen Schutz plädiert er für einen Sonnenschutzfaktor 50.
«Sich mit kühlem Joghurt nach einem Sonnenbrand einschmieren – das macht man heute nicht mehr.»
Besonderer Schutz bei Tattoos Piotr empfiehlt, tätowierte Haut besonders gut vor der Sonne zu schützen, vor allem wenn man die Intensität der Farben beibehalten möchte. «Sonnenlicht führt zu einem Pigmentabbau der Haut», sagt er. «Da Farbe mehr Energie anzieht, kann die Haut an tätowierten Stellen grösseren Schaden nehmen. Es gibt jedoch keinen direkten Zusammenhang zwischen Tätowierungen und Hautkrebs.» Beim Stechen von Tattoos sei vor allem bei Muttermalen Vorsicht geboten. «Diese dürfen nicht überstochen werden», sagt er. «Eine Tätowierung kann es nahezu unmöglich machen, veränderte Muttermale zu erkennen.»
Wenns doch brennen sollte . . . Manche dürften an ihre Grossmutter zurückdenken, die bei einem Sonnenbrand zu Einschmieren mit kühlem Joghurt geraten hat. «Das macht man heute nicht mehr», lacht Piotr. «Wer zu lange in der Sonne war, soll die Haut rasch mit Antioxidantien versorgen, zum Beispiel mit einer Maske. Granatapfel- oder Aloe-Vera-Extrakte beruhigen die Haut besonders gut.»
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