«Fussball für alle» – Kapitänsbinden mit Regenbogen reichen nicht

Oliver Egger berichtet von seiner Arbeit als Ombudsmann gegen Homophobie im österreichischen Fussball

Oliver Egger von „Fussball für alle“ (Bild: Facebook)
Oliver Egger von „Fussball für alle“ (Bild: Facebook)

Österreichs Fussballinstitutionen haben zum Saisonstart im vergangenen Sommer eine Homophobie-Ombudsstelle eingerichtet (MANNSCHAFT berichtete). Mit Oliver Egger fungiert der erste und einzige offen schwule Fussballer Österreichs als Leiter der unabhängigen Anlaufstelle für LGBTIQ-Menschen. MANNSCHAFT wollte von ihm wissen, was «Fussball für alle» bisher bewirken konnte und inwiefern die Corona-Krise den Kampf gegen Homophobie im Fussball beeinträchtigt.

Oliver Egger outete sich 2016 bei seiner Geburtstagsfeier in Graz vor den Teamkollegen, indem er seinen damaligen Freund küsste. Dies sei für ihn wie eine Befreiung gewesen; niemand habe ablehnend reagiert. Eggers Geschichte war auch Gegenstand einer 25-minütigen ORF-Dokumentation mit dem Titel «Der Tag wird kommen».

«Mut und Zuversicht geben» Als Verteidiger mit der Nummer 13 kämpft er auf dem Fussballplatz für den FC Gratkorn. Neben dem Platz ist der 27-Jährige seit vergangenem Jahr der erste Ombudsmann für LGBTIQ im österreichischen Fussball. «Homophobie wird oftmals gar nicht als solche wahrgenommen, da sie bei vielen Menschen schon so tief verankert ist, sagt Egger. Seiner Ansicht nach müsste sich speziell im Fussball das heteronormative, hegemoniale und toxische Männlichkeitsbild verändern.

Die Basis der Anlaufstelle «Fussball für alle» bildet eine Hotline für Menschen, die Diskriminierung erlebt haben. Auch wenn diese schon von einigen Personen in Anspruch genommen wurde, gebe es zum Glück nicht viele, die einen wirklichen Leidensdruck verspürten. «In solchen Fällen versuche ich, den Menschen mit meiner eigenen Erfahrung Mut und Zuversicht zu geben», erklärt Egger.

«Wir zelebrierten es, dass wir das einzige Team ohne Lesbe waren»

Anderen mit seiner Geschichte zu helfen, sei ohnehin von Beginn an seine Intention und Motivation gewesen. «Wir sind mehr Schwule, Lesben und Bisexuelle im Fussball, als viele meinen. Vom Regionalverein bis in die oberen Ligen.»

Einwandfreie Zusammenarbeit Ein anderer Teil der Arbeit für bildet das Zugehen auf Menschen und Netzwerke, die im Fussball aktiv sind. In Planung seien auch Workshops, die ab Ende Jahr angeboten werden können. Etwa für Jugendliche, Vereinsfunktionär*innen, Trainer*innen, Schiedsrichter*innen und Sportjournalist*innen. «Da bauen wir zurzeit das Wissensmanagement auf», sagt Egger.

Die Zusammenarbeit mit der österreichischen Bundesliga funktioniere einwandfrei. «Sie dokumentiert mit und für uns homophobe Vorkommnisse, damit wir einen Überblick bekommen, wo die Arbeit erfolgreich ist und wo sie weniger gut läuft.»

«Mr. Gay Germany 2020» kämpft gegen Homophobie im Fussball

Interesse aus Belgien Auch andere Ligen sind auf «Fussball für alle» aufmerksam geworden. An einem internationalen Kongress in Dortmund, wo es um Homophobie im Fussball ging, konnte Egger die Ombudsstelle vorstellen und präsentieren. Vor allem die Vertreter*innen der belgischen Liga und des belgischen Verbandes hätten grosses Interesse an der Idee einer solchen Anlaufstelle gezeigt.

Laut einer Studie der Sporthochschule Köln würde etwa ein Drittel der LGBTIQ-Menschen aus Angst vor Diskriminierung gar nicht erst mit Vereinssport beginnen. Egger ist deshalb überzeugt: Es muss sich in Zukunft noch sehr viel ändern im Fussball. «Für ein Coming-out im Fussball gehören mehrere Parameter dazu – ob die in der Bundesliga passen, wird sich wohl erst dann zeigen, wenn sich tatsächlich ein aktiver Spieler outet», sagt der Grazer.

Mysteriöser Twitter-Account Glaubt man einem Twitter-Account, so ist oder war die deutsche Bundesliga kurz vor einem solchen Coming-out. Das Twitter-Konto «gay_Bundesligaspieler1» soll angeblich einem schwulen Fussballprofi gehören, der dort anonym von seinen Ausgrenzungsängsten berichtet. Immer wieder schrieb die Person, dass sie bald an die Öffentlichkeit gehen werde – bis heute ist dies nicht geschehen. Vor einigen Monaten ist der Account verstummt.

Auch Oliver Egger hatte im Oktober eine Nachricht des angeblichen Bundesligaspielers auf seinem Twitter-Account als Retweet geteilt. Es sei schwierig zu beurteilen, ob das Profil authentisch sei. Es gebe mehrere solcher Accounts, die sich stark ähneln; etwa von einem Profi aus der zweithöchsten englischen Liga. «Zumindest haben die Profile und ihre Botschaften viel Aufmerksamkeit in den Medien erhalten und das ist ja auch nicht verkehrt.»

Man müsse sich die Frage stellen, inwieweit die Atmosphäre in den Stadien und in den Vereinen überhaupt die Grundlage bietet, dass sich schwule Fussballer wohl fühlen. Und sind Vereine auch so offen, dass sie Jugendliche in all ihrer Vielfalt akzeptieren und willkommen heissen? «Dazu braucht es noch eine grosse Prise Zivilcourage von allen im Fussball», sagt Egger. Denn solange man «schwul» als Schimpfwort einsetze und die meisten Leute nichts dagegen sagen, werde sich an der jetzigen Situation wenig ändern.

Aktives Engagement gefordert Mit dem Coronavirus haben viele Vereine plötzlich existenzielle Probleme. Besteht daher die Gefahr, dass dadurch Bemühungen für mehr Toleranz und weniger Homophobie im Fussball vernachlässigt werden? Der Leiter von «Fussball für alle» sagt, dass natürlich zurzeit der Fokus auf der Wiederaufnahme des Spielbetriebs liege. «Doch wie viele Vereine haben sich schon vor der Corona-Krise aktiv für Akzeptanz und gegen Homophobie eingesetzt?»

16% der LGBTIQ-Sportler erleben Beleidigung und Mobbing

Mit aktivem Engagement meine er mehr als nur eine Aktionswoche gegen Homophobie oder das einmalige Tragen einer Regenbogen-Kapitänsbinde. «Bitte nicht falsch verstehen: Ich schätze solche Aktionen und sie sind wichtig. Aber die Anzahl der österreichischen Vereine, die sich auch darüber hinaus mit der Thematik beschäftigen, ist nach wie vor überschaubar.»

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