Eine Nacht mit … Julian Koechlin
Der Star aus der Serie «Neumatt» hat eine neue Art schwule Männerfigur ins Netflix-Universum gebracht
Schweizer Schauspieler*innen, die international einen Splash machen – und dann auch noch mit einer queeren Rolle – gibt es nicht allzu viele. Der 1992 in Basel geborene Julian Koechlin ist einer von ihnen und aktuell mit der zweiten Staffel von «Neumatt» bei Netflix zu sehen.
Der 32-jährige Koechlin ist Sohn des LDP-Grossrats (BS) Michael Koechlin und ging in Basel zur Schule. Dort sammelte er auch erste Bühnenerfahrungen in Stücken wie Schillers «Die Räuber» und bei einer Laienspielbühne in «Zum schwarzen Gyger».
Koechlin studierte später Schauspiel in Bern und spielte – noch als Student – am Schauspielhaus Basel in «Biedermann und die Brandstifter». Es folgten Engagements nach Luzern, ans Gorki Theater in Berlin und schliesslich ins feste Ensemble des Theaters Aachen.
Einem LGBTIQ-Publikum fiel Koechlin vermutlich zuerst auf in dem Fussballfilm «Mario» von Marcel Gisler (MANNSCHAFT berichtete).
#Mario Der Schweizer Film von 2018 erzählt von der heimlichen Liebe zwischen dem Fussballnachwuchstalent Mario, Stürmer beim BSC Young Boys, und dem aus Hannover in die Schweiz geholten Leon.
Als Gerüchte über deren Beziehung aufkommen, werden die beiden von ihren Mannschaftskameraden gemobbt – einer dieser Kameraden ist Koechlin als Erik Kalterer. Es ist eine eher unauffällige Rolle (schliesslich stehen Mario und Leon gespielt von Max Hubacher und Aaron Altaras im Zentrum der Geschichte), aber es war trotzdem Koechlins Debüt im Bereich Queer Cinema und auch sein erster Kontakt mit umfangreicher Berichterstattung in der LGBTIQ-Presse.
#Neumatt Staffel 1 Nach Ausflügen in den Krimibereich spielte Koechlin 2021 erstmals die Hauptrolle in der SRF-Serie «Neumatt» von Marianne Wendt (MANNSCHAFT berichtete). Sie wurde zuerst via Streamingdienst Play Suisse veröffentlicht, dann gab’s ab September 2021 die reguläre Ausstrahlung im Schweizer Fernsehen – gefolgt von einer Netflix-Übernahme in 190 Länder und in 30 Sprachen. In Deutschland und Österreich kann man «Neumatt» so seit Mai 2022 sehen (auch in Hochdeutsch-Synkronisation).
Die Geschichte dreht sich um die Familie Wyss aus der Neumatt und ihren Sohn Michi, der als Unternehmensberater in Zürich arbeitet. Als der Vater stirbt und niemand weiss, wie’s mit dem Familienbauerhof weitergehen soll, kehrt Michi (widerwillig) aufs Land zurück und konfrontiert seine Familie – auch mit seiner Homosexualität.
Unterstützt wird er dabei von seinem neuen Liebhaber Joel, ebenfalls aus dem Unternehmensberaterkosmos (gespielt von Benito Bause, bekannt aus der queeren ARD-Serie «All You Need» sowie aus der Münchner Produktion des zweiteilige Aids-Dramas «Das Vermächtnis», MANNSCHAFT berichtete).
#Schwulenbild Was an «Neumatt» und der Figur des Michi interessant ist: Dieser schwule Mann ist anders als gängige schwule Figuren, die man bei Netflix oder in Hollywood sieht. Er hat keinen hart antrainierten Gym-Luxuskörper (wie zum Beispiel Matt Bomer und Jonathan Bailey in «Fellow Travelers», wo solche Körper überhaupt nicht zum Zeitgeist der 1950er Jahre passen, in denen die Geschichte spielt). Koechlin als Michi wirkt «realer» und beweist Mut zur Imperfektion. Was ihn um so liebenswerter macht, trotz seiner vielen Spleens. (Zu denen u.a. Kokskonsum zählt, um dem Druck der Arbeitslebens in Zürich standhalten zu können.)
Es ist auch erfrischend, in «Neumatt» keine Teenager-First-love-Geschichte zu sehen, sondern den Konflikt eines erwachsenen Mannes mit seiner entfremdeten Familie auf dem Land – sowie mit seinen Kolleg*innen in der Stadt. Michi ist zudem ein Mann, der einfach Sex hat, wenn er dazu Lust hat und nicht erst sagt: «Ich bin noch nicht bereit dafür!» (Wie in «Heartstopper».)
Der Journalist Matthias Halbig meint, Koechlin als Michi erinnere optisch an Richard Madden, den Publikumsliebling Robb Stark aus «Game of Thrones». Darüber könnte man streiten. Aber ein interessanter Vergleich ist es dennoch, auch zwischen «Neumatt» und dem HBO-Welthit.
Man könnte Koechlin auch vergleichen mit Neil Patrick Harris in der Netflix-Serie «Uncoupled» über einen «reiferen» schwulen Mann, der unverhofft von seinem langjährigen Lebenspartner sitzengelassen wird und sich nun auf dem Dating-Markt neu orientieren muss. Doch während Harris immer die typische Hollywood-Glätte in dieser Darren-Star-Produktion wahrt und Zuschauer*innen eine «perfekte» Welt in New York trotz aller Herzschmerzen gezeigt wird, vermeidet Koechlin derartige Glätte.
Koechlin als Michi riecht nach Kuhstall und Schweiss unterm Office-Outfit
Und gerade weil seine Figur in «Neumatt» oft auch extrem irritiert – speziell wenn es um Beziehungen geht – ist sei um Längen interessanter als Harris als Immobilienmakler mittleren Alters, der nur wie ein klischeehaftes Abziehbild wirkt, während Koechlin als Michi glaubhaft nach Kuhstall und Schweiss unterm Office-Outfit «riecht», selbst auf dem Bildschirm. Eine bemerkenswerte Leistung. Die ihn auch unterscheidet von der gesamten Mannschaft in der Neuverfilmung von «Boys in the Band» (MANNSCHAFT berichtete).
#Social Media Wer durch den Erfolg von «Neumatt» auf Koechlin aufmerksam wurde und sich fragte, wer er eigentlich privat ist – und ob er genau wie Michi Wyss schwul ist – erfuhr zum Leben des Schauspielers auf dessen offiziellem Instagram-Kanal wenig. Nur, dass die Dreharbeiten zu Staffel 2 liefen.
Googelt man Koechlins Namen und die Begriffe «queer», «schwul», «homosexuell», findet man … nichts.
Immerhin gibt’s ein SRF-Quizz mit dem Titel «Ich oder Du», wo Koechlin mit der Musicaldarstellerin Suzanne Jerosme antritt und als «Powerpaar» vorgestellt wird. Koechlin beschreibt sich dort als «Lonely Wolf», der sich eher nicht so ums «soziale Leben» kümmere. Dafür lege er, laut eigener Angabe, mehr Wert auf sein Äusseres als seine Partnerin. Seinen Kinderwunsch äussert er in dem Kurztalk auch.
#Neumatt Staffel 2 Die Fortsetzung der Wyss-Familiensage startete im Februar 2023 im Schweizer Fernsehen, internationale Zuschauer*innen mussten bis Januar 2024 warten, um zu sehen, wie es weitergeht. Wobei diesmal die Beziehung von Michi zu seiner Jugendliebe Döme (gespielt von Nicola Perot) im Mittelpunkt steht – und die Frage, wie Michi mit den Verlassungsängsten von Döme umgeht sowie mit dessen Sohn, um den Döme nach der Trennung von seiner Ehefrau kämpft.
#Neumatt Staffel 3 Parallel zur SRF-Ausstrahlung von Staffel 2 wurde der Beginn der Dreharbeiten zu Staffel 3 angekündigt. Ende Januar 2024 postete Koechlin auf Instagram Bilder davon und verriet, dass die Staffel inzwischen in der Postproduktion sein.
Inzwischen ist auch die ältere Schweizer Serie «Wilder» als «Buried Truth» bei Netflix erschienen. Es ist eine «Murder Mystery» in den Alpen, Koechlin spielte darin 2017 eine Nebenrolle.
#Queere Ikone In diversen Interviews, zum Beispiel in der Schweizer Illustrierten, hält sich Koechlin zu seinem Privatleben auffällig bedeckt. Er verrät nur, dass sein Spitzname bei Freund*innen und Familie «Juli» bzw. «Jule» sei. Auf die Frage, was andere über ihn denken, was «vielleicht gar nicht stimmt», geht er nicht auf Homosexualität ein, sondern sagt lediglich: «Wenn ich konzentriert bin, seh ich manchmal ziemlich unzufrieden aus. Das kann täuschen.»
Auch wenn er die schwule Rolle des Michi mit Hingabe und absoluter Überzeugung – sowie mit internationaler Strahlkraft – spielt, wird man nicht fündig, wenn man nach Statements Koechlins zur Situation von LGBTIQ in der Schweiz (MANNSCHAFT berichtete) oder anderswo sucht. Ob das daran liegt, dass er darüber nicht sprechen will – oder daran, dass Medien ihn nicht danach fragen?
Seine schwulen Liebesszenen teilt er dafür sehr wohl und gern
Bis auf den Hinweis auf den «Ich oder Du»-Talk hält Koechlin seine Partnerin auch aus seinen Social-Media-Kanälen fern, vielleicht damit Fans, die Koechlin wegen seiner überzeugenden Schauspielerei mit Michi gleichsetzen, nicht verwirrt werden? Seine schwulen Liebesszenen aus Film und Serien teilt er dafür sehr wohl und gern.
Vielleicht geht er auf Fragen zu LGBTIQ ein, wenn Staffel 3 rauskommt. Aus dem Ensemble des Theaters Aachen hat Koechlin sich jedenfalls inzwischen verabschiedet – mit Shakespeare und einer «letzten Vorstellung» in der extrem queeren Genderbending-Komödie «Was ihr wollt», Regie Christina Rast. Sein Kommentar danach: «Auf in neue Gewässer!»
Was man zu einer Nacht mit Julian Koechlin noch wissen muss, ist, dass er als Letztes, bevor er ins Bett geht, kontrolliert, ob seine Katzen frisches Wasser haben. Zumindest lautet so die offizielle Version.
Der Film «Saltburn» mit Jacob Elordi zeigt das schwule Verlangen von Studenten – und die erotischste Badewannenszene der Filmgeschichte (MANNSCHAFT berichtete).
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