«Wiens Community kritisierte, dass zu viele Unternehmen bei der Pride waren»
Der CSD im Wandel der Zeit
Von den ersten schwulen Demos in den Siebzigern bis hin zu den grossen Pride-Festivals unserer Gegenwart: Über die Gratwanderung zwischen politischem Kampf und kommerziellen Partys diskutieren die lesbische Geschäftsführerin der Vienna Pride, ein schwuler Zeitzeuge und der erste trans Mann im Vorstand der Zurich Pride.
Alles begann 1969 mit dem Stonewall-Aufstand in der New Yorker Christopher Street. In den Siebzigern zogen die ersten Homosexuellen durch die Strassen Europas – bei uns prägten vor allem schwule Männer lange das Gesicht der Bewegung. Mittlerweile ist die politische Demonstration ausgewachsen zu mehrtägigen Festivals und das Label «Pride» wird mitunter benutzt, um Menschen in Tourismusgebiete zu locken, zum Festen und Feiern fernab politischer Parolen.
Drei Menschen sprechen über diesen Wandel und die Aufgabe, alle queeren Gruppen zu repräsentieren, über die Macht des Mottos sowie den Vorwurf, die Seele der Demonstration zu verkaufen. Katharina Kacerovsky-Strobl, die Organisatorin der Vienna Pride, Werner Neth, Zaungast der ersten Schwulendemo in Zürich und bis letztes Jahr Vorstandsmitglied der Zurich Pride, und Alexander Thamm, erster trans Mensch im Vorstand der Zurich Pride (MANNSCHAFT berichtete).
Der Wunsch nach Vielfalt Werner: 1978 habe ich in Zürich die erste Schwulendemo erlebt. Ich war 27, noch kaum geoutet und Zaungast. Es war die Zeit des Schwulenregisters, als in Zürich viele berühmte Morde geschahen und die Polizei die Schwulen unter Generalverdacht stellte. Ein Jahr später wurde das Schwulenregister aufgelöst. An der Euro Pride 2009 in Zürich habe ich mich erstmals ein wenig organisatorisch engagiert. Als ich pensioniert wurde, hatte ich Zeit, um im Vorstand der Zurich Pride mitzuarbeiten. Daraus wurden zehn Jahre Vorstand. Das reicht. Ich bin kein Sesselkleber. Es braucht frischen Wind, damit sich der Verein erneuern kann.
Alexander: Wir haben uns die Klinke in die Hand gegeben. Jetzt bin ich im Vorstand der Zurich Pride die erste trans Person.
Die Euro Pride 2019 war unser Anstoss, die Pride inklusiver zu machen
Katharina: Ich war eine der ersten lesbischen Frauen, als ich 2012 in den Verein CSD Wien gekommen bin. In Wien hat sich in den letzten Jahren viel getan – die Euro Pride 2019 war unser Anstoss, die Pride inklusiver zu machen und auch meine Positionierung als Geschäftsführerin der Vienna Pride hat andere Teile der Community motiviert mitzumachen. Wir kennen das alle, dass sich bei vielen Prides einzelne Gruppen voneinander lösen, weil sie sich nicht inkludiert fühlen.
Werner: Alexander, ist es nicht so, dass sich trans Menschen nicht angesprochen fühlen, wenn es eine Demo mit hauptsächlich Lesben und Schwulen gibt?
Alexander: Ja, das ist so. Wenn ich ein Plakat sehe mit stereotyp-durchtrainierten Männern in kurzem Lederoutfit, fühle ich mich als trans Mann weniger eingeladen.
Katharina: 2012 gab es im damaligen CSD-Verein überwiegend schwule Männer. Heute haben wir im Organisationsteam rund um die Vienna Pride lesbische Frauen, transgender Personen und Menschen mit Migrationshintergrund. Aber damit ist es nicht getan. Wir sind nicht die Pride, die Community ist die Pride. Wir fungieren als Plattform für alle Gruppierungen, versuchen, alle zu repräsentieren, einzuladen und zu vernetzen. Zu sagen, jetzt fühlen sich alle inkludiert, wage ich zu bezweifeln. Aktuell suchen wir junge Leute für den Verein. Als ältere Generation kann man emotional nicht mehr erfassen, wie es ihnen geht. Sie wachsen zwar in einer toleranteren Gesellschaft auf, aber erleben weiter – und anders – Diskriminierung.
Alexander: Das Thema Alter ist spannend. Als Werner letztes Jahr eine Rede zum Start des Demonstrationsumzugs gehalten hat, war die Stimmung elektrisierend. Für uns Jungen ist es beeindruckend, was schon alles erreicht wurde. Wir können von Generation zu Generation viel voneinander lernen im Austausch – die Älteren auch etwas von uns über die diversen Gruppen innerhalb unserer Bewegung, die sich vorher nicht repräsentiert gefühlt haben, etwa nichtbinäre Menschen.
Werner: Der Fokus, die Inklusion und die Vielfalt haben sich seit den Anfängen stark verändert. 1978 ging es gegen das Schwulenregister. Der CSD hatte lange den Nimbus der Schwulendemo. Ich erinnere, wie eines Jahres ein neues Wort hinzukam: «schwul-lesbisch». Wir dachten: «Super, jetzt kommen die Frauen dazu.» Das war ein wichtiger Schritt. Und als ich im Vorstand war, kam allmählich Buchstabe um Buchstabe dazu. Das war 2012 noch nicht drin. LGBTIQ hat sich über die Jahre entwickelt. Eine Pride repräsentiert heute eine unglaubliche Vielfalt von Menschen. Katharina: Der Bedarf dazu war da. Verschiedene Gruppen sind stärker geworden, haben sich formiert und ihre Präsenz eingefordert.
Alexander: Auch wenn man an die Ursprünge denkt, waren in Stonewall trans Frauen of Colour ganz vorne dabei und in dieser Logik der Geschichte ergibt es absolut Sinn, dass trans Menschen ihr «T» eingefordert haben. Schlussendlich kämpfen wir gesellschaftlich und rechtlich für die gleichen Belange.
Katharina: Ich denke, die transgender Community war immer da, aber Schwule und Lesben standen mehr im Fokus.
Manche meinen, trans seien Männer in Frauenkleidern.
Die Macht des Mottos Alexander: Als ich 2019 das erste Mal auf der Pride war, sah ich nur Menschen mit dem breitesten Grinsen des Jahres. Es war das erste Motto, mit dem ich mich richtig identifizieren konnte – «Strong in Diversity». Deshalb habe ich angefangen, mich zu engagieren. Ich wollte meinen Teil der Community repräsentieren.
Werner: Die Mottowahl führt immer zu grossen Diskussionen. Die Aktualität ist für das Motto ein Treiber. Wir hatten die Abstimmung für die «registrierte Partnerschaft», die im Jahr 2000 eingeführt wurde, um die Stimmbevölkerung zu motivieren. Mit der «Ehe für alle» war es gleich. Wir hatten aber auch Themen wie «Hass», «Family Matters» oder «Diskriminierung am Arbeitsplatz», also allgemeinere Themen, die die Community beschäftigen. Dieses Jahr haben wir ein spezifischeres Thema mit «trans» gewählt.
Alexander: Damit schaffen wir es vielleicht, dass sich trans Menschen angesprochen fühlen und engagieren. Es ist auch ein Zeichen: Wir sind nicht nur schwul, lesbisch und bi, sondern auch intergeschlechtlich, trans, nichtbinär – und da gibt es gesellschaftlich viel zu tun. Sogar in der Community kursieren noch falsche Bilder. Als wir bei einem Vorstandsessen dem schwulen Hotelmanager sagten, dass das Motto «trans» sein würde, meinte er: «Cool, dann können wir uns verkleiden.»
Werner: Die Travestie. Manche meinen, trans seien Männer in Frauenkleidern. Aber das ist es ja nicht.
Katharina: Was ihr dieses Jahr in Zürich macht, ist wichtig, weil ihr den Fokus auf etwas legt, worüber die wenigsten etwas wissen. Viele verwenden Begriffe, die sie falsch verstehen – auch in unserer Community. Wir haben dieses Jahr ein allgemeines Motto gewählt: «Pride against hate – make love, not war!». Wegen Corona haben alle gelitten, jede Gruppe aus unterschiedlichen Gründen. Und wenn es Menschen schlecht geht, steigt ihre Aggression und richtet sich gegen kleinere Gruppen, wie eben LGBTIQ-Menschen. Wir haben vermehrt Hassangriffe mitbekommen. Deswegen war es uns wichtig zu sagen: «Pride gegen Hass». Und die Solidarität für die Ukraine hat auch damit zu tun, dass viele ukrainische Aktivist*innen bei der russischen Regierung namentlich auf der Abschussliste stehen. Das sind Menschen wie wir, die sich in ihrem Land für die richtigen Themen einsetzen.
Die Kritik am Kommerz Werner: Das Wort «Kommerzialisierung» würden wir nie in den Mund nehmen. Wir organisieren eine Demo und ein Festival. Und das Festival hat Gratiseintritt. Doch es verschlingt Geld und dafür brauchen wir Sponsoren. Ich war schon an anderen Festivals, etwa in Stockholm, wo das Gelände eingezäunt ist und man einen Eintrittsband kauft. Die Frage ist, möchten wir diesen Weg gehen oder ein grosses Festival haben mit freiem Eintritt? Aber deshalb verkaufen wir nicht unsere Seele. Wir bestimmen die Kriterien, welche Firma wir als Sponsoren annehmen: Wie ist ihre Firmenkultur? Wie fühlen sich die Mitglieder unserer Community behandelt? Es kann nicht jede Firma kommen.
Alexander: Wir lehnen auch Sponsoren ab, wenn wir finden, dass sie nicht zu unserer Community passen. Wir haben eine Grenze gezogen zwischen Demo und Festival. Man kann nur das Festival sponsoren, nicht die Demo, weil sie politischen Charakter hat und diesen auch behalten soll. Mit dem Sponsoring wollen wir das Festival allen zugänglich machen, denn durch die gesellschaftliche Diskriminierung sind breite Teile unserer Community beruflich nicht gut gestellt. Auf Social Media hat jemand eine interessante Rechnung aufgestellt: Wenn von den sieben Prozent der Bevölkerung, also 600 000 queeren Personen in der Schweiz, nur drei Prozent bei uns Mitglied werden würden und 30 Franken Beitrag zahlen, hätten wir jährlich 540 000 Franken zur Verfügung und wären im Prinzip unabhängig.
Werner: Da würden wir nicht Nein sagen.
Alexander: Man kann sich streiten, ob es das Festival braucht oder ob die Demo reicht. Mit einem Festival erreichen wir aber definitiv mehr Aufmerksamkeit für unsere Anliegen. Werner: Schon früher beim CSD hat man sich nach der Demo auf einer Wiese getroffen. Es ist unser Naturell, dass wir gern zusammen feiern. Und die Pride ist unser grosses Zusammenkommen im Jahr.
«Wir sind nicht dankbar. Wir gehen für unsere Rechte demonstrieren.»
Katharina: In Wien hat uns die Community kritisiert, weil zu viele Unternehmen präsent waren. Seither vergeben wir keine reine Werbefläche mehr, sondern verlangen konkrete Taten im Austausch. Wir lehnen Firmen ab, wenn uns ihre Werbeagentur kontaktiert oder ihre Marketingleitung anstatt die Personal- oder Diversity-Abteilung. Wir kooperieren mit Unternehmen, die die Community unterstützen wollen, und das müssen sie, indem sie ganzheitlich bei der Pride mitmachen. Wir holen sie zu Podiumsdiskussionen, stellen ihnen Fragen zu «Pinkwashing» oder warum sie nur im Juni die Fahne hissen. Die Unternehmen feiern die Pride so oder so, weil Diversity für sie ein Thema ist, denn man weiss aus Studien, dass Mitarbeitende produktiver sind, wenn sie offen über ihr Privatleben reden können. Warum also kooperieren wir nicht mit ihnen, bleiben im Austausch und klären sie auf, wenn sie es noch nicht sind? Wir finanzieren uns zu 30 bis 40 Prozent durch die Stadt Wien und der Rest ist Sponsoring und enorm viel ehrenamtliche Arbeit.
Werner: Die Stadt unterstützt euch?
Katharina: Ja, wir haben uns das Konzept von Madrid und Stockholm angesehen, mit uns verglichen und der Stadt Wien vorgerechnet: Wenn 300 000 Teilnehmer*innen nur 100 Euro ausgeben, bringen sie 30 Millionen. Wir hatten früher die Haltung, dass wir dankbar sein müssen, am Rathausplatz sein zu dürfen oder Unterstützung zu bekommen. Diese Haltung lehne ich mittlerweile ab. Wir sind nicht dankbar. Wir gehen für unsere Rechte demonstrieren. Wir machen die Stadt diverser. Wir sind eine starke Bewegung, von der auch andere einen Nutzen haben. Also warum sollten wir Bittsteller*innen sein? Die Aktivist*innen, die sich ehrenamtlich bis zur Erschöpfung engagieren, verdienen Anerkennung und Entlastung. Es braucht bezahlte Positionen und Menschen, die ihnen Arbeiten abnehmen.
Alexander: Diese Förderung ist ein wichtiger Punkt, den ich sicher in die nächste Vorstandssitzung mitnehme. Die Umsätze kommen. Allein die Läden, die an der Strecke liegen, sehen während der Parade aus wie geplündert. Wir kennen die Bitthaltung gut. Wir dürfen froh sein, wenn wir die Bewilligung bekommen. Werner: Ja, und undenkbar, dass wir einen Franken aus der Stadtkasse sehen.
Die Frage der Zukunft Werner: Ich bin überzeugt, dass die Pride eine Zukunft hat. Schon wegen unserer Sichtbarkeit. Immer noch werden Menschen beleidigt oder beschimpft, bloss weil sie zur Community gehören. Der Kampf ist noch nicht gewonnen. Wir müssen uns zeigen und weiterhin für unsere Rechte und Integrität einstehen als vollwertiger Bestandteil der Gesellschaft.
Alexander: Als trans Mensch kann ich sagen: Alles haben wir noch nicht erreicht. Wir hatten vorletztes Jahr das «Ja zum Schutz vor Hass», da sind trans Menschen im Gesetzesprozess zur Antidiskriminierungsstrafnorm hinten runtergefallen. Und nur weil es die gesetzlichen Rahmenbedingungen gibt, heisst das nicht, dass es in der Gesellschaft leicht ist. Oft hört man noch: «Komm, stell dich nicht so an. Das hast du doch gewusst, als du schwul, lesbisch, trans ‹geworden› bist.»
Katharina: In Österreich sind wir in der Gesetzgebung noch nicht angekommen. Wir haben das Blutspendeverbot für schwule Personen. Oder Menschen dürfen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung immer noch diskriminiert werden. Ein Taxifahrer darf mich als Lesbe aus dem Taxi schmeissen. An den Schulen haben wir Eltern, die verhindern wollen, dass die Kinder aufgeklärt werden – das ist zum Glück gesetzlich nicht möglich, aber die Lehrer*innen haben dann eine Schere im Kopf und zögern, umfassenden Aufklärungsunterricht zu machen. Wir wollen auch die Jungen schützen, dass etwa intergeschlechtliche Kinder richtig begleitet werden.
Werner: Das sind alles Schwachpunkte, die zu eliminieren sind. Und deshalb müssen wir uns als Pride-Organisator*innen auf die Fahne schreiben, dass wir nicht zu einer Tourismus-Festveranstaltung verkommen. Wenn ich sehe, wie die halbe Community nach Gran Canaria fliegt, um dort eine «Pride» zu feiern. Meine Fresse. Das ist purer Kommerz, reiner Tourismus, um die Community anzulocken. Dort gibt es keine einzige Parole. Das macht mich zornig, wenn unter dem Label «Pride» solche Anlässe organisiert werden.
Alexander: Sogar, wenn einmal alles erreicht wäre, bräuchte es die Pride noch als Vorbild, als Anlaufstelle, damit man eine Zugehörigkeit hat. Die Pride wird immer ihre Daseinsberechtigung haben.
Katharina: Ja, und eine Stadt, die eine Pride unterstützt, wird sich generell für eine fairere Gesellschaft einsetzen, ob für eine heterosexuelle Frau, die sich für Gleichberechtigung einsetzt, oder für Menschen mit Behinderungen. Für eine Gesellschaft, in der alle Platz haben. Werner: Ich bin in die Organisation gegangen, als ich pensioniert wurde. Die Jungen haben meine Hochachtung, wenn ich sehe, wie sie arbeiten, in der Ausbildung stecken und ihre wenige Freizeit für die Community hergeben. Das berührt mich und stimmt zuversichtlich, dass die Jungen den Karren weiter reissen.
Alexander: Du bist dankbar dafür, dass wir es jetzt weiterführen, aber wir sind auch dankbar für eure Vorarbeit, wegen der wir heute stehen, wo wir stehen.
Die Pride Parade in Tel Aviv 2022 führte bei vielen Teilnehmenden zu Ernüchterung (MANNSCHAFT-Kommentar).
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