Designer Yannik Zamboni: «Ich laufe nicht nur im Rock rum»

Ein Gespräch über rosa und blaue Überraschungseier und Mode als Sprache gegen den Strom

Yannik Zamboni (Bild: maisonblanche.swiss)
Yannik Zamboni (Bild: maisonblanche.swiss)

Er hat die Sendung «Making the Cut» mit Heidi Klum gewonnen. Seither sind Yannik Zambonis genderneutrale Kollektionen weltweit erhältlich und auf New Yorks Strassen wird er angesprochen.

Yannik, Glückwunsch zum Gewinn der dritten Staffel von «Making the Cut». Viele hätten gedacht, dass deine Mode zu avantgardistisch und intellektuell für eine solche Sendung ist… Ehrlich gesagt hatte ich die gleichen Sorgen. In den ersten beiden Staffeln waren meine Favoriten Sander und Gary, die beide die Kreativsten und Experimentellsten unter den Kandidaten waren. Sie haben es beide unter die Top 3 geschafft, aber eben nicht gewonnen. Damit hatte ich auch gerechnet.

Ist es dir leichtgefallen, in einer solchen Show mitzumachen? Tatsächlich kannte ich die am Anfang gar nicht. Ich bekam auf Instagram eine Anfrage von einer Casting-Agentin – die habe ich sofort gelöscht. Dann kam die gleiche Anfrage nochmal, allerdings von der Agentur direkt, und die hatte so viele Follower*innen, dass mir die Sache dann doch echt erschien. Also habe ich mir den Trailer von «Making the Cut» angeschaut – und als Heidi Klum darin sagte, dass man eine Million Dollar gewinnen kann, wurde ich hellhörig. Denn mit einer Million hat man als Künstler ein paar Sorgen weniger.

Berührungsängste mit der kommerziellen Ausrichtung der Sendung hattest du nicht? Nein, dazu machte ich mir keine Illusionen. Wir steckten mitten in Corona und allen Künstler*innen ging es schlecht. Manchmal muss man Dinge machen, um zu überleben, und ich dachte mir: Warum nicht das hier? Ausserdem kann man durch eine Teilnahme etwas verändern. Vielleicht trauen sich durch mein Dabeisein noch mehr kreative Köpfe, die nicht unbedingt mit dem Strom schwimmen, bei der Show mitzumachen. Das würde die Sendung interessanter machen.

Es ist einige Monate her, dass die neue Staffel von «Making the Cut» bei Prime Video ausgestrahlt wurde. Wie haben sich seither deine Karriere und dein Leben verändert? Sagen wir es so: Es ist kaum etwas gleichgeblieben, abgesehen von der Tatsache, dass ich bislang meinen Standort weiterhin hier in Zürich habe. Von Einzelanfertigungen bin ich in die industrielle Fertigung gegangen und habe momentan zwei Kollektionen, die bei Amazon erhältlich sind: meine Kollektionen Maison Blanche und mein Co-Brand rare/self. Im Herbst habe ich zum ersten Mal eine neue Kollektion an der New York Fashion Week gezeigt, und mit einem Parfümeur aus Mailand entwickle ich gerade eine Parfümlinie. Vorhin war jemand vom Kunstmuseum Zürich hier, die möchten Teile von mir kaufen, was zu Lebzeiten eine riesige Ehre ist. Zu sagen, dass sich alles verändert hat, ist also keine Übertreibung. In New York haben mich sogar Menschen auf der Strasse erkannt und angesprochen.

Yannik Zamboni (Bild: maisonblanche.swiss)
Yannik Zamboni (Bild: maisonblanche.swiss)

Hast du durch die Show etwas Neues gelernt über dich oder für deine Arbeit? Dass ich auf meine Intuition vertrauen kann und nicht wochenlang über eine Sache nachdenken muss. Die erste Eingebung ist oft die richtige. In der Show hatten wir nie viel Zeit, deswegen mussten wir schnelle Entscheidungen treffen. Die Erfahrung hat mir gezeigt, dass ich mich auf meine Menschenkenntnis verlassen kann.

Deine Mode hält sich fern von Gender-Konventionen, ist konzeptionell und experimentell und passt auf den ersten Blick eher nach Brooklyn oder Berlin als in die Schweiz. Und in einem Interview hast du gesagt, dass du zuhause eher nicht im Rock auf die Strasse gehen würdest. Hast du trotzdem vor, in der Heimat zu bleiben? Ich fühle mich sehr wohl in Zürich, und das Zitat mit dem Rock bezieht sich nicht auf die Stadt, sondern auf die Gegend, in der ich im Moment noch wohne, nämlich ausserhalb, in Baden. Wenn man dort als feminin wahrgenommen wird – also als das, was die Gesellschaft als feminin empfindet – kann es nachts schon mal gefährlich werden. Aber bei einem Event in Zürich, wenn ich nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahre, ist es keine Frage für mich, ob ich ein Kleid anziehe. Ich finde es anstrengend, dass ich mir darüber Gedanken machen muss, denn in New York, London oder Berlin würde ich einfach anziehen, worin ich mich gut fühle, und das war’s.

Trotzdem willst du bleiben? Es ist zu früh, das zu entscheiden. Momentan geschieht so viel und ich weiss nicht, was die Zukunft bringt. Deswegen will ich mich nicht festlegen. Ausserdem zeigt alles, was wir gerade mit Blick auf die Schweiz besprochen haben, dass es hier noch das Potential gibt, etwas zu verändern. Das ist für mich auch ein Ansporn. Natürlich kann man sich einfach verpissen, wenn einem das System nicht passt. Oder man kann versuchen, das System anzupassen.

Liest man sich die Texte auf deiner Homepage durch, wird schnell klar, dass du nicht nur Modedesigner und Künstler bist, sondern auch ein Aktivist mit Anliegen. Ja, das würde ich so sagen. Ich habe in der Mode meine Sprache gefunden, um zu kommunizieren, was mir wichtig ist. Andere gehen dafür in die Politik oder auf die Strasse. Ich mache Mode, mit der ich versuche, das umzusetzen, woran ich glaube. Und die Mode gibt mir eine Plattform, über diese Dinge zu reden.

Meine Mode ist für jede*n tragbar

 Dein Interesse an genderneutraler Mode und dem Auflösen von Geschlechterkonventionen, wann hat sich das entwickelt? Wenn ich Fotos von mir als Kind anschaue, habe ich damals schon die Schuhe, Kleider und Röcke meiner Mutter angezogen. Das wurde Verkleiden genannt, so wurde mir das beigebracht. Aber warum muss man kleinen Jungs vermitteln, dass sie sich verkleiden, wenn sie so etwas gerne tragen? Warum ist das nicht einfach ihr Geschmack und völlig in Ordnung, wenn sie auch so etwas schön finden? Warum soll sich ein Typ für Leder interessieren, aber nicht für Tüll? All diese Dinge sind nicht von Natur aus so, sondern gesellschaftlich anerzogen. Und das fängt unglaublich früh an, schon mit den Überraschungseiern im Supermarkt, die blau für die Jungs und rosa für die Mädchen sind.

Gerade weil deine Mode unkonventionell ist, gibt es sicherlich Leute, die sich fragen, wer das tragen soll, oder? Ich finde, dass meine Mode für alle tragbar ist. Nicht umsonst habe ich verschiedene Linien, und es kommt darauf an, wohin man geht. Ich selbst laufe nicht nur im Rock und riesigen, komplizierten Teilen herum, sondern möchte mich beim Arbeiten frei und gemütlich fühlen. Deswegen mache ich bei rare/self alltägliche Mode, mit vielen Hoodies und anderen Dingen, die man jeden Tag anziehen kann. Maison Blanche ist mehr High Fashion, aber auch da sind gerade in der Amazon-Kollektion die meisten Teile gut im Alltag tragbar, gewisse Teile eher beim Ausgehen. Und ich möchte auch noch eine High-End-Linie machen, die nur für Club Kids, Events und rote Teppiche ist.

Ich denke an alle Randgruppen, zu denen ich mich auch zähle

Hast du also schon beim Design bestimmte Zielgruppen im Hinterkopf? Ich möchte für Menschen entwerfen, die etwas mit Mode ausdrücken möchten. Und ich denke an alle Randgruppen, mit denen ich zu tun habe und zu denen ich mich auch zähle, all die Aussenseiter und die, die gegen den Strom schwimmen. Da wenden viele ein: Aber das ist so eine kleine Nische! Dabei sind doch alle diese Randgruppen zusammen genommen viel grösser als der Normcore. Es gibt so viele Menschen, die sich nicht in der Norm akzeptiert fühlen. Sei es wegen der Sexualität oder des Geschlechts, der Hautfarbe oder der Religion.

maison blanche
maison blanche

Yannik Zamboni

Im Kanton Basel geboren arbeitete Yannik zunächst als Model sowie im Marketing bei Firmen wie Procter & Gamble, bevor er sich dazu entschloss, an der Fachhochschule Nordwestschweiz Modedesign zu studieren. Anschliessend absolvierte er die Berufsprüfung zum Fashion-Spezialisten an der Schweizerischen Textilfachschule (STF) in Zürich, wo er aktuell auch sein Atelier hat.

Im September 2020 gründete der heute 35-Jährige sein eigenes Label Maison Blanche, das nicht nur auf Mode in Weiss, sondern vor allem auf «all gender inclusive»-Entwürfe und Nachhaltigkeit setzt. Als «queer anti fashion» bezeichnet Zamboni seine Arbeit auf der eigenen Homepage. Seit seiner erfolgreichen Teilnahme an der Show «Making the Cut» mit Heidi Klum und Tim Gunn sind Kollektionen von ihm weltweit auf Amazon erhältlich.

Du hast früher als Model gearbeitet. Hat dich diese Zeit inspiriert? Ich habe mit 18 Jahren als Model angefangen und die Arbeit bis fast 30 gemacht, davon sechs Jahre hauptberuflich. Inspiriert hat mich das nicht, aber geprägt. Mir wurde schnell klar, dass man als Model – zumindest auf dem Niveau, auf dem ich gearbeitet habe – nicht viel zu sagen hat. Eigentlich gar nichts. Und dass letztlich alle gleich aussahen: ein ganzer Katalog weisser Boys mit dem gleichen Stil, dem gleichen Look und den gleichen Massen. Das fand ich unheimlich schade und langweilig. Aber das schien sonst kaum jemanden zu interessieren – wie auch sonst alles, was in der Modeindustrie schiefläuft, meistens ignoriert wird. Obwohl jeder weiss, wo die Probleme liegen, von Diversität bis Nachhaltigkeit. Mich hat es angespornt, etwas anders zu machen, als ich mit 28 Jahren beschloss, nochmal bei null anzufangen und Modedesign zu studieren.

Vorhin hast du betont, dass du auch Geld verdienen möchtest mit deiner Mode. Wie oft kommt es vor, dass du bei deinen Idealen, Anliegen und gesellschaftspolitischen Botschaften Abstriche machen musst? Sicherlich komme ich in Situationen, in denen ich merke, dass sich eine Sache nicht so umsetzen lässt, wie ich mir das wünsche. Meine Mode soll «all gender inclusive» sein. Aber wenn ich ein enges Teil auf den Körper designe, muss ich mich entscheiden: Lasse ich im Schritt Platz oder nicht? Lasse ich für einen Busen Platz oder nicht? Oder denken wir ans Thema Nachhaltigkeit. Es gibt noch nicht alle Wunschmaterialien auf dem Markt. In ein Jackett nach klassischer Verarbeitung gehören zum Beispiel Klebeeinlagen – und die gibt es noch nicht mit biologisch abbaubarem Klebstoff. In solchen Fällen muss ich Abstriche machen und eine Lösung finden. Und gewisse Dinge produziere ich noch nicht, weil ich zu keinem Ergebnis komme, hinter dem ich hundertprozentig stehen kann.

Ich würde gerne eine Bademoden-Kollektion machen. Aber noch gibt es kein einziges nachhaltiges Material dafür, das ohne Kunstfasern auskommt. Niemand möchte in einem gestrickten Leinenhöschen baden gehen, das danach sechs Stunden nass bleibt. Also warte ich, bis sich die Green Chemistry mehr bei der Natur abguckt.

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