Das dunkle Geheimnis des Stonewall Inn – in den Händen der Mafia

Eine Razzia vor 50 Jahren markiert den Beginn jenes Aufstandes, der als Geburtsstunde der modernen queeren Bürgerrechtsbewegung gilt

Am frühen Morgen des 28. Junis 1969 versperren Polizisten den Zugang zur Stonewall Bar in New York. (Copyright: Fair use, Joseph Ambrosini)
Am frühen Morgen des 28. Junis 1969 versperren Polizisten den Zugang zur Stonewall Bar in New York. (Copyright: Fair use, Joseph Ambrosini)

Angesichts staatlicher Repression und ständiger Konflikte betrieb Ende der 1960er-Jahre nur die Mafia Bars wie das Stonewall Inn, die sich an ein schwules Publikum richteten. Sie konnte zur Not die Polizei schmieren. Doch für die Gäste hatte das Vergnügen einen hohen Preis.

Mitten im Song stoppt die Musik, plötzlich gehen die Lichter an. Tänzer unterbrechen abrupt ihre Bewegungen, die Go-Go Boys in goldfarbenen Oberteilen suchen hektisch nach ihren unauffälligen Alltagsklamotten. Um 1:20 Uhr in der Früh ist die Party an jenem 28. Juni 1969 zu Ende. Die Polizei stürmt das Stonewall Inn. Doch die Razzia markiert zugleich den Beginn jenes Aufstandes, der bis heute als Geburtsstunde der modernen queeren Bürgerrechtsbewegung gilt.

Mit Platz für über 200 Gäste war das Stonewall Inn damals der grösste schwule Clubs New Yorks und der gesamten USA. Hier, und im Unterschied zu vielen anderen Bars und Clubs, durften Männer eng miteinander tanzen, sich berühren und küssen. Insofern war das Stonewall Inn für viele ein Ort der Freiheit. Und zugleich ein Ort der Repression. Denn aufrecht erhalten wurde diese Freiheit durch die Mafia – die jedoch nicht davor zurückschreckte, sich hemmungslos an ihren eigenen Gästen zu bereichern.

Angst vor Outing trieb Menschen in den Selbstmord Voraussetzung dafür war die rigide Gesetzeslage. In 49 der 50 amerikanischen Bundesstaaten war schwuler Sex verboten, auch in New York . Die Polizei machte regelrecht Jagd auf Schwule, setzte auch Spitzel ein. Versteckte Mikrofone und einseitig durchsichtige Spiegel in öffentlichen Toiletten kamen zum Einsatz. Wer erwischt wurde, und das waren im Jahr 1966 jede Woche rund 100 Männer, hatte mit drastischen Konsequenzen zu rechnen. Weil der Name und das angebliche Vergehen öffentlich gemacht wurden, drohten der Verlust von Arbeitsplatz und Wohnung. Viele Familien und Freunde wandten sich ab. Immer wieder nahmen sich Menschen das Leben, die ein unfreiwilliges Coming-out fürchteten.

Auch potentielle Treffpunkte der Community waren den Behörden ein Dorn im Auge. In den USA blieb der Verkauf von Alkohol nach dem Ende der Prohibition streng reglementiert. Über eine Schankerlaubnis entschied die State Liquor Authority (SLA). Sie stellte Bedingungen auf, die die Bars zu erfüllen hatten. Eine davon: Die Lokale mussten «ordentlich» geführt sein. Galt eine Bar als Treffpunkt Homosexueller, erfüllte sie diese Bedingung nach Ansicht der SLA grundsätzlich nicht. Zwar erklärte schon Anfang 1968 ein Richterspruch, dass eine schwule Bar nicht per Definition als unordentlich geführt gelten konnte, doch blieb noch einige Zeit unklar, was dieses Urteil nun genau bedeutete. Im Juni 1969 waren deshalb Bars wie das Stonewall Inn weiterhin von der Mafia geführt.

In diesem Umfeld wagte es nur die Mafia, Homo-Bars zu eröffnen. Ed Murphy, der Kopf der Bande hinter dem Stonewall Inn, der zugleich als Doppelagent auch für das FBI arbeitete, erkaufte sich das Wohlwollen der Polizei durch regelmässige Schmiergeldzahlungen. Im Falle des für das Stonewall Inn zuständigen 6. Polizeibezirks gab die Mafia monatlich 1.200 Dollar in schwarze Kassen. Die Polizei revanchierte sich, indem sie vor Razzien die Besitzer warnte.

Der illegal ausgeschenkte Alkohol war stark verwässert

Ziel der Mafia war es allerdings nicht, einer bedrängten Minderheit einen Ort der Freiheit zur Verfügung stellen, auch wenn genau dies das Stonewall Inn für viele New Yorker Schwule jener Jahre war. Stattdessen ging es ums Geld. Viel investiert hatten die neuen Eigentümer also nicht, als sie das ehemalige Restaurant Stonewall Inn, das seit Mitte der 1960er-Jahre nach einem Brand leer stand, übernahmen. Ein paar Sperrholzplatten versperrten nun den Blick durch die Fenster, notdürftig wurden die Wände schwarz gestrichen. Hinter der Haupttheke gab es kein fließendes Wasser. Gäste berichten, wie das Spülwasser, in dem die Gläser gesäubert wurden, im Laufe des Abends eine immer unansehnlichere Farbe annahm. Sogar ein Ausbruch von Hepatitis in der Community wurde auf das verschmutzte Wasser zurückgeführt . Und während die Gäste für die Drinks überteuerte Preise zahlten, war der illegal ausgeschenkte Alkohol stark verwässert.

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Geschäftsmodell: Erpressungen Dies jedoch waren Kleinigkeiten im Vergleich zum Schicksal einiger der Gäste, die sich nach Feierabend von der Wall Street aus in Richtung Christopher Street aufmachten. Arbeitete man etwa für eine große Anwaltskanzlei oder Investmentbank, qualifizierte einen dies in den Augen der Mafia zu einem besonders lohnenswerten Ziel: Einerseits verdiente man gutes Geld. Andererseits hatte man viel zu verlieren. Und war damit ein ideales Opfer für perfide Erpressungen – die Haupteinnahmequelle der Mafia.

Die Aktivitäten des Organisierten Verbrechens blieben in New York freilich nicht unbemerkt, wenn auch die Erpressungen in den Augen der Politiker nicht das drängendste Problem waren. Immer wieder, besonders in Wahljahren, versprachen sie, den Kampf um Sicherheit und Ordnung zu verstärken. Damit gerieten sowohl Mafiosi wie die Schwulen gleichzeitig ins Fadenkreuz. Auch 1969 wurde in New York gewählt. Da allen die Verfilzung zwischen dem 6. Polizeibezirk und der Mafia offenkundig war, holte man Hilfe von aussen – und versetzte den als unbestechlich geltenden Polizeioffizier Seymour Pine von Brooklyn aus zur Sittenpolizei nach Manhattan.

David Carter ist Stonewall-Historiker (Foto: Washington College)
David Carter ist Stonewall-Historiker (Foto: Washington College)

Schnell erkannte Pine die herausgehobene Stellung des Stonewall Inn innerhalb der mafiösen Strukturen New Yorks. Schon am 24. Juni 1969, einem Dienstag, liess Pine deshalb das Stonewall Inn durchsuchen. Doch die Eigentümer gaben sich unbeeindruckt: «Mach nur, morgen haben wieder eh wieder geöffnet.“ Pine, in seiner Ehre angegriffen, kehrte vier Tage später zurück. Mit mehr Männern, einem förmlichen Durchsuchungsbeschluss, und vor allem, diesmal ohne den lokalen Polizeibezirk vorab zu warnen.

«Es ist fast komisch», sagt der Stonewall-Historiker David Carter, „Pine wollte alles richtig machen, und doch ging alles schief.» Er hatte nicht bedacht, dass die Bar freitagabends voller Gäste sein würden. Der ständigen Polizeischikanen überdrüssig gaben diese zunächst Widerworte bevor ihr Protest rasch eskalierte. Bald flogen die ersten Bierdosen, kurz darauf auch Steine.

Pine und seine Männer flohen in die gerade erst geräumte Bar, verbarrikadieren sich und konnten nur durch die eilig herbeigerufene Bereitschaftspolizei befreit werden. Die ganze Nacht hindurch sowie in den kommenden Tagen wurde die Gegend um das Stonewall Inn zum Schauplatz im Kampf zwischen queerer Community und Staatsmacht.

Demo gegen Polizei und Mafia Das Ziel der Demonstranten war allerdings keineswegs einfach ein Ende der Razzien. Stattdessen verlangten sie, etwa auf einem Flyer am 29. Juni: «Mafia und Polizei: Raus aus den Schwulenbars!» Schwule Aktivisten wie Craig Rodwell befürwortete die Gründung von unabhängigen Bars und Clubs und riefen zum Boykott des Stonewall Inn auf. Weder dieser Protest noch die hohe öffentliche Aufmerksamkeit taten der Bar gut, die sich nun gezwungen sah, tatsächlich nur noch alkoholfreie Getränke auszuschenken. Drei Monate nach der Razzia schloss sie ihre Türen.

Der Einfluss der Mafia allerdings endete damit nicht. Ed Murphy gründete 1972 das Christopher-Street-Festival-Committee und setzte sich erfolgreich dafür ein, die neuen, jährlichen Pride-Demonstrationen von nun an in der Christopher Street enden zu lassen. Erneut ass und trank die Community damit in Bars, die in der Hand der Mafiosi waren. Das Stonewall Inn selbst öffnete Ende der 1980er erneut in einem Teil der ehemaligen Räumlichkeiten und unter historischem Namen. Diesmal, soweit man weiss, ohne Verbindungen zur organisierten Kriminalität.

 

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