Coming-out-Day: Mein bisexueller Ehemann Stefan
Am 11. Oktober ist Coming-out-Day: So haben Menschen auf ein Coming-out reagiert
Sich zu outen ist das eine – die Reaktion darauf das andere. Wie erleben Menschen das Coming-out einer nahestehenden Person? Und was passiert danach? Die Community teilt ihre Geschichten.
Sie sind sprachlos, verwirrt und haben Fragen. Sie stellen sich stolz neben und hinter einen. Sie nicken kurz mit dem Kopf und nehmen das Coming-out unbeeindruckt zur Kenntnis. Menschen reagieren unterschiedlich auf das Coming-out einer Person, die ihnen nahesteht.
Dieses Jahr möchten wir von Familienmitgliedern und Freund*innen wissen, wie sie das Coming-out eines geliebten Menschen erlebt haben und was es bei ihnen ausgelöst hat. Im ersten Teil dieser Serie erzählt Friederike über die offene Ehe mit dem bisexuellen Stefan:
Was will der denn von mir?
Friederike
Friederike, Heidelberg Ich lernte Stefan in der Uni kennen und dachte zuerst: «Was will der denn von mir? Der ist doch schwul.» Aber wir verliebten uns. Am Semesterende küssten wir uns und Stefan sagte mir: «Ich habe lange nicht mehr geküsst, also eine Frau.»
Die Liebe zwischen uns erlebte ich wie zu meinen vorherigen heterosexuellen Männern, bloss dass der Sex anders war, ungeübter. Nach einem halben Jahr wurde uns klar, dass der Sex, den wir miteinander hatten, kein zentrales Element unserer Beziehung war und dass wir unsere sexuellen Begehren primär ausserhalb unserer Beziehung ausleben wollten: Stefan mit Männern und ich mit Männern. Seitdem haben wir stabile Nebenbeziehungen, sozusagen Sexabschnittspartner. Wir sind nicht eifersüchtig oder besitzergreifend.
Ich bin neugierig und sowieso tolerant; es tauchten auch mal Ex-Freunde von Stefan auf oder wir haben seine Geburtstage mit vier schwulen Männern aus seiner vorherigen Bekanntschaft verbracht. Irgendwie ist das halt so.
Was wir voneinander nicht bekommen können, holen wir uns woanders. Aber emotional suchen wir keine andere Person. Uns verbindet etwas Wertvolles, ein Gesamtpaket, das uns glücklich macht. Wir empfinden Liebe füreinander – und da sind auch unsere zwei gemeinsamen Kinder.
Als sich ein grosses Geburtstagsfest von Stefan näherte und er damit rechnete, dass seine sexuelle Orientierung zur Sprache kommen könnte, wollte er, dass unsere beiden Söhne von ihm erfahren, dass er bisexuell ist. Sie waren damals zehn und zwölf. Sie waren unbeeindruckt und spielten einfach weiter. Als wir sie fragten, ob sie selbst schon wüssten, ob sie auf Jungs oder Mädchen stehen, antwortete Elia, unser Älterer: «Nö, Hauptsache die Person kann gut kochen.»
Heute erinnert sich Elia, 23-jährig, daran, dass die Botschaft für ihn nichts Einschneidendes gewesen sei und unspektakulär, weil die Familie schon immer eine liberale Haltung gelebt habe. Elia sagt auch, dass er das Bild einer traditionellen Heterobeziehung weniger verinnerlicht habe. Er wisse, dass auch eine offene Beziehung funktionieren könne. Im Alltag trage er dennoch unterbewusst eine Heterobrille. Er geht also automatisch davon aus, dass seine Gegenüber auch Heteros sind.
Ohne es bagatellisieren zu wollen, bisher haben wir keine negativen Reaktionen erhalten. Doch natürlich gehen wir mit dem Thema nicht hausieren, sondern sprechen es in einem Kontext an, in dem absehbar ist, wie das Gegenüber reagiert.
Stefan und ich sind nun seit 32 Jahren zusammen und in dieser Zeit hat er viele Dinge mir zuliebe getan, die ihm eine unerwartete Fülle an Gefühlen schenkten. Für mich war immer klar, dass es mich nur mit Kindern gibt, aber für Stefan passten sie nie in die schwule oder bisexuelle Identität. Doch dann war er ab der ersten Sekunde ein liebender Vater und wurde dadurch zu einem glühenden Verfechter der Elternschaft. Über all die Jahre hat Stefan eine erstaunliche Veränderung durchlebt.
Zwei Tipps zum Coming-out Im 13-minütigen Video «Familie zerbrochen: Mein Papa war heimlich schwul» sprechen Vater Andreas und Sohn Raphael über das Coming-out nach 15 Jahren Ehe, drei Kindern und schwerer Alkoholsucht. Reporter Timm begleitet die beiden beim CSD, an den Andreas seinen Sohn zum ersten Mal mitnimmt. Wie kommt Raphael mit dieser Seite seines Vaters klar?
Das Buch «Endlich frei! Der queere Coming-out-Ratgeber» macht Mut zum Coming-out. Dieser Ratgeber ist ein stärkender Wegbegleiter: Persönliche Geschichten aus der LGBTIQ-Community zeigen, dass es ganz unterschiedliche Coming-outs gibt und geben darf. Zudem bietet es Informationen zu der Geschichte der queeren Bewegung und einen Überblick über queere Begriffe. Schritt für Schritt hilft ein Reflektionsteil, das eigene Coming-out zu planen, zu gestalten und gut vorzubereiten – oder Menschen zu unterstützen, die sich gerade outen.
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