Coming-out in der Schule? So verschieden sind die Erfahrungen
Mittlerweile gehen wieder fast alle zur Schule, selbst im Freistaat Bayern fängt am Montag das neue Schuljahr an. In der aktuellen Ausgabe der Mannschaft (September) befassen wir uns mit dem Thema Vielfalt im Unterricht und damit, wie Lehrer in der Schule mit Mobbing umgehen. Gerade erst hat das Kinderhilfswerks Unicef einen Bericht vorgelegt, wonach jeder zweite der 150 Millionen Teenager zwischen 13 und 15 Jahren weltweit im vergangenen Monat in oder in der Nähe der Schule Mobbing erlebt hat oder im vergangenen Jahr in eine Schlägerei verwickelt gewesen ist. In so einer Atmosphäre überlegt man sich zweimal, ob man ein Coming-out wagt. In Deutschland will man jetzt mit „Respekt Coaches“ gegen Mobbing vorgehen.
Mobbing findet oft auch aufgrund der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität statt. Noch immer gehören „schwul“ oder „Schwuchtel“ zu den beliebtesten Schimpfwörtern auf den Schulhöfen. Aber wie oft werden queere Schüler beschimpft? Verhalten, Einstellungen und Wissen zu LGBTIQ und deren Einflussvariablen wurde von Dr. Ulrich Klocke von der Humboldt-Universität Berlin in einer Befragung durchgeführt und im Jahr 2012 unter dem Titel „Akzeptanz sexueller Vielfalt an Berliner Schulen“ veröffentlicht.
Die Hälfte der Sechstklässler*innen und ein Drittel der Neunt-und Zehntklässler*innen haben über andere gelästert, weil sie für lesbisch oder schwul gehalten wurden
62% aller Sechstklässler*innen und 54% aller Neunt- und Zehntklässler*innen gaben laut Klocke an, in den vergangenen 12 Monaten mindestens einmal „schwul“ oder „Schwuchtel“ als Schimpfwort verwendet zu haben. Auch „Lesbe“ war als Schimpfwort verbreitet, bei den Sechstklässern immerhin zu 40%. Die Hälfte der Sechstklässler/innen und ein Drittel der Neunt-und Zehntklässler/innen haben laut der Studie über andere gelästert, weil sie für lesbisch oder schwul gehalten wurden.
Bei einer Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) unter Lehrkräften, die Ende 2017 veröffentlicht wurde, kam sogar heraus, dass lediglich 6, 2 Prozent in den letzten 12 Monaten gar keine homo- oder transphoben Bemerkungen von Schülerseite mitbekommen haben. Angesichts dieser Lage ist es wenig verwunderlich, dass bei unserer Umfrage zum Coming-out auf mannschaft.com die Mehrheit sagte, dass sie ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität lieber nicht an die große Glocke hängen, so lange sie zur Schule gehen bzw. gingen.
Wir haben prominente Schwule gefragt, wie sie ihr Coming-out oder ihr Schwulsein an der Schule erlebt haben. Z.B. Jochen Schropp, der in Hessen groß geworden ist, und Kevin Kühnert, der Ur-Berliner.
Jochen Schropp (Moderator/Schauspieler): „Geschichten habe ich einige. Die erste fand in der Grundschule statt. Wir hatten eine Austauschklasse für die wir in der dritten Klasse ein Vorstellungsvideo drehten. Ganz kreativ, mit vielen Ideen. Ich war der Ansager, so wie es früher im Fernsehen üblich war. Allerdings waren es damals eher Ansagerinnen… Ich erinnere mich noch gut an Birgit Schrowange, die ich als mein Vorbild wählte. Am zweiten „Drehtag“ wurde ich allerdings ausgetauscht. Ob es an meiner eher weiblichen Interpretation lag, weiß ich natürlich nicht. Weh tat es trotzdem.
Ich wurde geschubst, bekam das Bein gestellt, wurde im Schwimmbad unter Wasser getaucht.
Gehänselt wurde ich dann einige Jahre später in der Unterstufe. Das Schimpfwort für die Mädels war „Nutte“, für die Jungs „Schwuchtel“. Vielleicht zuckte ich einmal zu oft zusammen, als man mich so nannte. Jedenfalls wurde ich so über Monate beschimpft. Oft, dass es niemand anderes mitbekam, so dass ich mich damit extrem alleine fühlte. Sprechen wollte ich nicht darüber, immerhin wollte ich niemanden drauf stoßen, dass ich wirklich schwul sein könnte. Ich wurde geschubst, bekam das Bein gestellt, wurde im Schwimmbad unter Wasser getaucht. Lediglich meinen Eltern erzählte ich von meinen Sorgen, weil ich die Tränen vor ihnen nicht zurückhalten konnte. Bis ich mit 16 als Austauschschüler in den USA einen Neustart wagen durfte, war es eine harte Zeit für mich.“
Kevin Kühnert (Juso-Chef): Der beste Beleg dafür, wie entspannt es bei mir im bürgerlich-liberalen Berlin-Steglitz an der Schule war, ist vermutlich die Tatsache, dass ich gar nicht mehr genau sagen kann, wie das damals alles ablief. Ich war mit 15 oder 16 bei meinen Eltern out und etwa in dieser Zeit wussten es dann auch am Gymnasium alle, die es wissen wollten. Ich musste mich dafür nie vor meine Klasse stellen und das alles umständlich erklären. Es war einfach so und wurde wie selbstverständlich akzeptiert. So war das Klima an meiner Schule eigentlich immer. Wir hatten zu dieser Zeit auch ein schwules Paar in der Oberstufe, was alles nochmal deutlich vereinfacht hat, weil der Wow-Effekt längst bei allen verpufft war. Auch einzelne Lehrer waren out. Insofern hat mir meine Schulzeit tatsächlich sehr geholfen – auch wenn das bei uns sicherlich alles andere als repräsentativ ablief.
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