«Carmen Curlers» – Emanzipation durch Lockenwickler
Dänische Serie begeistert auf Arte
Arte zeigt die Serie «Carmen Curlers». Dabei geht es um die Erfindung der elektrischen Lockenwickler. Es ist eine schräge Komödie, die trotz der biederen Zeit, in der sie spielt, sehr emanzipiert daherkommt.
Wer erfolgreich sein will, braucht eine Idee, auf die bisher noch nie jemand gekommen ist. Das sagt sich Axel Byvang im Dänemark der 60er Jahre. Dass ein junger Fernsehgeräte-Verkäufer ausgerechnet Lockenwickler für Frauen erfinden will, wo er doch weder mit Mode, Frisuren, Erfindungen und Unternehmertum Erfahrung hat, nimmt ihm natürlich keiner ab. Seine Frau nicht, seine Freunde nicht und auch sonst niemand. Sein TV- und Radiogeschäft läuft ohnehin schlecht, da wird er es wohl kaum mit Lockenwicklern schaffen, sagen eigentlich alle um ihn herum.
Bis er auf den schwulen Friseur Frans trifft. Der macht mit, denn er weiss, dass Dauerwellen im Salon ewig lange dauern und sehr teuer sind und er kennt sich mit Frisuren aus, was Axel nicht tut. Der allerdings hat etwas, das ein Unternehmer dringend braucht: Beharrlichkeit und Durchhaltevermögen, manche sagen auch Nervensägenqualitäten. Axel denkt sich: was man nicht hat, kann man sich besorgen. Geld, Mitarbeitende, und eben Ahnung von Frisuren.
Dabei schafft es Anders Hee Mortensen, der Axel spielt, dies wunderbar durch eine Mischung aus Liebenswürdigkeit, Charme und irren Blicken eines Draufgängers darzustellen. Ein bisschen lustig ist natürlich, dass Mortensen, der zuletzt auch in King’s Land mit Mads Mikkelsen zu sehen war, selber ein Lockenkopf ist, obwohl er die Lockenwickler bei sich dann gar nicht nutzt. Mortens Figur Axel bezirzt nicht nur die Geldgeber, sondern auch potentielle Mitarbeiterinnen. Er verbeisst sich wie ein Terrier in die Waden seiner Gegner oder unwilliger Banker, wenn die nicht bereit sind, ihm Geld zu geben. Und er setzt sogar sein Haus, sein Vermögen und seine Ehe aufs Spiel.
Schliesslich bekommt er den Kredit, aber es klappt längst nicht gleich alles bei seiner Erfindung. Erst ist das Produkt schlecht, dann wollen die Leute es nicht haben. Doch Axel bleibt dran. Alles ändert sich, als Axel die Personengruppe gezielt in den Blick nimmt, für die das Produkt überhaupt erfunden wurde, nämlich Frauen. Zwar wollte er das Produkt eigentlich «Axel Curlers» nennen, doch seine Frau Towe bringt ihn auf den richtigen Weg, als sie ihre Bedenken anmeldet: «Ich glaube Frauen mögen nichts in ihrem Haar, das Axel heisst».
Die Serie zeigt, wie sich einzelne Personen aus ihren Verhältnissen, die sie als bedrückend empfinden, herauskämpfen. Das, was aus unternehmerischer Sicht bei Axel und seiner Firma «Carmen Curlers» gezeigt wird, sieht man auch in den Lebensläufen der anderen Hauptcharaktere. Alle befreien sich von den Fesseln des muffigen, steifen Lebens. Da ist neben dem Chef Axel eben Frans, der es doch mit der handgemachten Dauerwelle im Salon anfangs eigentlich noch ganz schön findet. Und doch merkt er unterschwellig, dass das nicht alles gewesen sein kann im Leben.
Da ist auch Birthe, eine Bäuerin auf dem Hof ihres konservativen Mannes. Der nun allerdings schwer erkrankt und für eine Behandlung selbst bezahlen soll. Daraufhin ergreift Birthe die Initiative und wird berufstätig. Zuerst in Axels TV-Laden und hinterher in der Lockenwickler-Fabrik. Am Ende wird sie erfolgreicher als so mancher Mann. Axel, Birthe, Frans und die anderen lassen sich nicht unterkriegen von denen, die ihnen ihren Erfolg nicht gönnen und immer fiesere Mittel anwenden, um den Aufbau der Fabrik zu verhindern.
Und auch die Schattenseiten der damaligen Zeit werden deutlich gezeigt. Homosexualität fand öffentlich erst gar nicht statt und wurde privat vor sich selbst weggeleugnet. So auch bei Frans. Durch die Arbeit bei Carmen Curlers trifft er dann aber einen Fotografen, der gerade in Paris gearbeitet hat. Dieser zeigt ihm, wie frei man in der kulturellen Szene leben kann. Doch gleichzeitig erkennt man auch, wie schwer es für Frans ist, sich aus seinem gewohnten Umfeld zu lösen. So wird für die Zuschauenden klar, unter welchen Spannungen Frans lebt.
Ähnliches gilt auch für Frauen in jener Zeit. Viele von ihnen mussten Zuhause und am Arbeitsplatz Gewalt erleben. Ihre Männer bestimmten den Alltag, selbst wenn sie erkennbar nicht in der Lage waren, auch nur ihren eigenen zu bewältigen. Carmen Curlers zeigt, wie einzelne Frauen den Mut finden, daraus auszubrechen. Und gleichzeitig sieht man in der Serie auch ganz verschiedene Frauen. Es gibt solche die, wie Birthe, ein neues Leben wollen, aber auch jene, die sich vor der Freiheit fürchten. Auch hier ist die Serie keineswegs oberflächlich.
In der Welt von «Carmen Curlers» bricht das alles auf, meist ohne grosse Streitereien und Kämpfe, sondern, weil die Figuren einfach ihre Wege gehen. Das geht auch in den nächsten Generation weiter: Birthes Sohn will nicht den Hof übernehmen, sondern Rockstar werden. Die Tochter will nicht heiraten – eine unerhörte Vorstellung damals. Und Axel bringt seinem Sohn bei, das Träumen nicht zu verlernen. Bei all dem dürfte manchem Zuschauenden klar werden, wie viel von dem auch heute noch, oder heute wieder, relevant ist.
Die Serie ist schnell, lebendig und frisch gemacht. Sehr aufwändig sind auch die Kulissen und Kostüme ganz im Stile der Zeit. Es gibt auch Musical-Tanzeinlagen, was die Erzählstruktur etwas aufbricht. In Dänemark war die Serie dann 2023 auch der grosse Hit. Die Darsteller von Frans, Nicolai Jørgensen, und von Birthe, Maria Rossing, sind in dem Jahr mit einem Danish Film Award ausgezeichnet worden.
Zwei Jahre später hat es die Serie nun auch nach Deutschland in die Arte-Mediathek geschafft. Bisher umfasst die Serie zwei Staffeln, von denen beide dort zu sehen sind, wobei aber nur die erste auf deutsch synchronisiert ist.
Und wie man auf Anders Hee Mortensens Instagram Profil sehen kann, ist die dritte Staffel bereits in Arbeit.
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