Braucht es Kommerz an den Prides?
Wenn es an der Pride plötzlich um Produkte und Sonderrabatte geht …
Unternehmen an der Pride sorgen für rote Köpfe. Sie missbrauchen die Pride als Werbefläche und die queere Community als Absatzmarkt. Dass das Problem komplizierter ist, findet allerdings der LGBTIQ-Aktivist Tobias Urech*.
Ein Kommentar von Tobias Urech, Milchjugend
Seit ein paar Jahren zeichnet sich eine immer heftiger werdende Debatte rund um die Pride ab: Es geht um Kommerz, um die Bedeutung der Pride, darum, wer teilnehmen darf, wer sichtbar ist und wer nicht, für wen gewisse Räume zugänglich sind und für wen nicht. Schlussendlich sind es Diskussionen, die LGBTIQ-Aktivist*innen auch das ganze Jahr über führen. Nur an der Pride verdichten sie sich zu einem toxischen Konzentrat, weil sich die verschiedensten Ecken der Community an einem einzigen Tag so nah sind, wie sonst nie.
Hauptthema ist bei vielen Diskussion – egal in welchem Erdteil – die zunehmende Sommerschlussverkaufsstimmung an der Pride. Da ein Sonderangebot und dort ein Spezialprodukt, das extra auf gutverdienende schwule Paare zugeschnitten ist. Letztes Jahr habe ich die Pride in New York besucht und war verblüfft, wie viele Unternehmen mit einem eigenen Wagen an der Parade präsent waren. Abgesehen davon, dass es sowieso seltsam war, von Eisengittern und am Rand stehend vom Umzug getrennt zu sein, glich das ganze Spektakel eher der Prime-Time eines Privatfernsehsenders.
Am Umzug in New York City schaut die Community zu, während die Unternehmen durch die Strassen ziehen:
Da kam zwar auch inhaltliches (auch das Privatfernsehen zeigt ab und zu gute Filme), dazwischen folgten aber elend lange Werbeblöcke, die so platt auf eine Zielgruppe zugeschnitten waren, dass die Absichten dahinter sofort klar wurden. In besonderer Erinnerung blieb der Slogan «unlimited Pride» von einem Mobilfunkanbieter. Unlimitiert, weil auch das beste Handy-Abo von jenem Telekommunikationsunternehmen unlimitierte Anrufe, SMS und Internet beinhaltet. Die Absicht dahinter – sich bei der Community als fortschrittliches Unternehmen beliebt zu machen – war so plump, dass es fast an Satire grenzte.
T-Mobile – in Europa besser bekannt als Deutsche Telekom – an der Chicago Pride 2018:
Das Problem ist also: Viele Unternehmen nutzen die Pride, um ihren Umsatz zu steigern, um zielgruppengerecht Werbung zu schalten an einem Event, der in seinen Ursprüngen eine Demonstration war und immer noch sein sollte. Die Pride verkommt zu einer gigantischen Werbefläche, besonders, wo das mitlaufen und mitdemonstrieren an vielen Prides gar nicht mehr möglich ist.
Ich will nicht, dass unser Kampf für gleiche Rechte in einer Gesellschaft in der Cis-Heterosexualität und Sexismus immer noch die Norm ist, von irgendwelchen (multinationalen) Unternehmen, die sich sonst einen Dreck um Gleichstellung, Feminismus oder den Kampf gegen Homo- und vor allem Transphobie kümmern, als Absatzmarkt verstanden wird. So ein schamloses Marketing, wie ich es an der NYC Pride gesehen habe, gehört meiner Meinung nach verboten.
Dennoch ist die Sache zwiespältig. Abgesehen davon, dass ich – okay, ich gebe es zu – total auf das ganze Regenbogenzeugs stehe, das es im Juni überall zu kaufen gibt, gibt es auch Unternehmen, denen ich ein gewisses Pride-Engagement und vielleicht auch ein gewisses Pride-Marketing abkaufe. Ich habe mich gefreut, als ich gesehen habe, dass eine Schweizer Airline ihr Logo auf Facebook in Regenbogenfarben getaucht hat. Und den Kommentarspalten zu urteilen, machen sie sich damit tatsächlich nicht nur Freunde, sondern auch Feinde. Wir leben in einer kapitalistischen Welt, das kann man natürlich doof finden (wie ich auch), aber so lange das so ist, setzt ein Regenbogenlogo trotzdem ein starkes Zeichen.
Natürlich steckt dahinter Marketing-Kalkül. Aber – und das geht meiner Ansicht nach viel zu oft vergessen – so sind vor allem an den kleineren Prides (zu denen ich auch Zürich zähle) die Wagen von Unternehmen nicht selten auf Initiative von dort angestellten Queers entstanden, die sich für LGBTIQ-Sichtbarkeit am Arbeitsplatz einsetzen. So in Zürich beispielsweise die Gruppe von einem ansässigen Internetgiganten. Und klar: Man kann Leute doof finden, die bei einer internationalen Datenkrake arbeiten, die bei einer Bank arbeiten und Kredite für die Abholzung von Regenwäldern vergeben. Dagegen, finde ich, müssen wir kämpfen. Ich frage mich aber, ob wir diesen Kampf an der Pride austragen müssen? Ausgerechnet auf dem Rücken einer Community, die noch andere Kämpfe zu führen hat?
Vielleicht müssen manche von uns akzeptieren, dass es in unserer Community auch Banker*innen, Polizist*innen, usw. gibt und vielleicht ist es ein gesellschaftlicher Fortschritt, dass auch Mitglieder unserer Community genauso bürgerlich, kapitalistisch, spiessig, you name it, sein dürfen, wie die Heteros. Und dass sie vielleicht tatsächlich auch ein Recht darauf haben, an einer Pride teilzunehmen.
Vor 50 Jahren die Unterdrückerin, jetzt mittendrin: Die Polizei von New York City:
Dass ich finde, wir sollten keinen erbitterten Kampf auf dem Rücken der Pride ausführen, heisst aber nicht, dass wir keine Solidarität einfordern sollten. Im Gegenteil: Wir müssen über unsere queere Identität, den kleinsten gemeinsamen Nenner, an unsere privilegierteren Brüder bis Schwestern in guter Stellung appellieren und unsere Position klar machen. Sie sollen sich gefälligst dafür einsetzen, dass Homo- und Transphoben in aller Welt der Geldhahn zugedreht wird, dass Transmenschen eingestellt werden (deren Arbeitslosenquote in der ach so fortschrittlichen Schweiz immer noch rund acht Mal (!) höher ist, als der landesweite Durchschnitt).
Dafür, dass nicht nur Männer in die Chefetagen gespült werden (egal, ob heterosexuelle oder homosexuelle), sondern eben auch (lesbische) Frauen. Dafür, dass sie sich für queere Geflüchtete, ja Geflüchtete überhaupt, einsetzen. Dafür, dass es echte Veränderungen gibt und nicht nur ein bunteres Logo einmal im Jahr. Und das dürfen wir unsere privilegierteren Brüder bis Schwestern auch spüren lassen. Sie sollen hören, dass wir Forderungen stellen. Wir müssen laut sein und frech.
Die Milchjugend an der Zurich Pride 2018:
Und ja, vielleicht ist es ein bisschen naiv von mir, zu glauben, dass diese Forderungen erhört werden von den gutverdienenden, tanzenden Muskelschwulen auf den Wagen des Kapitals. Aber da jene Weltrevolution, die alle Diskriminierung und den Kapitalismus verschwinden lässt, bis heute nicht in Sichtweite ist, bleibt es die beste Lösung, unsere Forderungen an jenem Tag zu präsentieren, an dem wir uns friedlich von Angesicht zu Angesicht begegnen und an dem sich unsere Filterblasen so stark berühren, wie sonst nie im Jahr.
Ich möchte nicht wieder von Auseinandersetzungen beim Wagen einer grossen Bank lesen und auch nicht darüber spekulieren, welche Gruppe sich jetzt genau wie fest danebenbenommen hat. Denn besonders in den aktuellen politischen Zeiten, wo sich rechte Kleinstparteien auf demokratischen Wege Gehör mit ihren lächerlich rückwärtsgewandten Meinungen verschaffen, wo Info-Stände von LGBTIQ-Jugendlichen im offenen Zürcher Kreis 4 bei helllichtem Tage angegriffen werden, möchte ich in den Zeitungen davon lesen, wie wir uns solidarisch gegen Ewiggestrige verbünden und für eine offene Gesellschaft kämpfen. Ganz im ursprünglichen Sinn der Pride, wo sich queere People of Color, Transfrauen, Drag Queens, Butch-Lesben, schwule Stricher gegen die New Yorker Polizei auflehnten.
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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