Asheville – eine Stadt wie eine bunte Seifenblase

Mitten in den Wäldern im Osten der USA liegt ein Städtchen, wo Vielfalt gross geschrieben wird

Foto: Tobias Sauer
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Asheville im Hinterland North Carolinas gleicht einem Leuchtturm der Weltoffenheit in einem sonst überwiegend konservativen Staat. Man kommt sich dort fast vor wie in San Francisco. Das mussten wir uns einfach aus der Nähe ansehen.

Ekstatisch tanzt ein Mann mit freiem Oberkörper, wirft sich nach rechts, nach links, seine schulterlangen Haare fliegen durch die Luft. Schweiss glänzt sanft auf seinem Körper. Immer weiter treiben ihn und ein Dutzend weiterer Tänzer die zahlreichen Trommler an, sie sich zum wöchentlichen Drum Circle verabredet haben.

Foto: Tobias Sauer
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Im Pritchard Park, mitten im Zentrum der amerikanischen Stadt Asheville, sitzen die Schlagzeuger an diesem warmen Sommerabend in mehreren Reihen auf der einen Seite des kleinen, halboffenen Amphitheaters, während eine Traube von Zuhörern auf der anderen Seite steht und sich dazwischen die Tänzer verausgaben.

Vielfalt wird hier gross geschrieben An allen Tagen verbreiten Strassenmusiker überall in der Stadt gute Laune. Nicht nur Musiker fühlen sich von Asheville angezogen. Wer sich in ein Café an der Haywood Street im Stadtzentrum setzt und dem Treiben auf der Strasse zuschaut, entdeckt in kürzester Zeit allerlei interessante Gestalten: Einen Harley-Davidson-Fahrer, der statt einem Helm eine Art Pickelhaube trägt. Einen Radfahrer, dessen Zigarette eindeutig nicht nur Tabak enthält. Gepiercte und tätowierte junge Menschen mit Haarfarben von blond über braun und schwarz bis blau und grün. Und ausserdem natürlich immer wieder Mitglieder der LGBTIQ-Community, die händchenhaltend flanieren.

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In einer Stadt wie New York oder San Francisco wäre all dies vielleicht keiner Rede wert. Aber Asheville ist geradezu das Gegenteil der Küstenmetropolen. Mit ihren knapp über 90.000 Einwohnern gilt die Stadt für amerikanische Verhältnisse als relativ klein. Umgeben von den Bergen der Appalachen liegt sie zudem tief im Westen North Carolinas, einem ziemlich konservativen Staat.

Wie ein San Francisco des Ostens Als Philipp Gonder vor sechs Jahren für ein Studienjahr nach Asheville zog, hatte er nur in Andeutungen von der Stadt gehört. Ein Bekannter nannte sie «speziell», ohne genauer zu erklären, was er damit meinte. Doch in Asheville angekommen, fielen Philipp schnell einige Unterschiede zur Uni in seiner Heimatstadt Trier auf. Ihn überraschte die Vielfalt an seinem College, darunter die vielen trans Personen, die mit ihm studierten. Neu gewonnene Freunde wiederum identifizierten sich als gender-neutrale «Fairies», um dann in fantasievollen Kostümen oder gleich ganz nackt in den Wäldern um Asheville herum tanzen zu gehen.

«Die Stadt wirkte wie eine Seifenblase», erinnert sich Philipp. «Wie ein San Francisco des Ostens.» Doch warum hat sich gerade Asheville zu so einem schillernden Hot Spot der Liberalität entwickelt? Zumal in einem Bundesstaat, den Bruce Springsteen vor ein paar Jahren wegen der LGBTIQ-feindlichen Gesetze boykottierte (MANNSCHAFT berichtete).

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Beliebt bei Künstler*innen Eine Erklärung könnten die Colleges selbst sein. Doch Philipp glaubt, dass die Ursachen tiefer liegen und in der kulturellen Geschichte der Stadt zu suchen sind. Schon seit Jahrzehnten kommen Künstler nach Asheville, um sich in der dicht bewaldeten Berglandschaft weitab der Metropolen zu neuen Werken inspirieren zu lassen. Auch Philipp hat in seinem Jahr in Asheville eine Schriftstellerin kennengelernt, die genau aus diesem Grund in die Stadt gezogen ist.

Foto: Tobias Sauer
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Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass mindestens die queeren Künstler*innen früher oder später im O.Henry‘s auftauchen. Denn die Bar ist nicht nur selbst nach einem Schriftsteller benannt, sondern auch der wichtigste queere Treffpunkt der Stadt. Schwule sind zu Gast, Lesben, Männer im Fummel, Drag Queens und trans Personen.

«Alle Buchstaben unseres Alphabets», sagt Derick Boyd, der Besitzer. Passend dazu hängen an der Wand die Fahnen der queeren Subcommunitys, von der Trans- über die SM- bis zur Bärenflagge. Eröffnet wurde das O.Henry‘s schon im Jahr 1976, es ist damit die älteste Gay Bar in North Carolina. Rosie Coates war damals Teil des Gründungsteams.

Jillian Kelly (links) und Kim Allen tauschten gutbezahlte Jobs an der Börse von Chicago gegen das einfache Leben in Asheville. (Bild: Tobias Sauer)
Jillian Kelly (links) und Kim Allen tauschten gutbezahlte Jobs an der Börse von Chicago gegen das einfache Leben in Asheville. (Bild: Tobias Sauer)

Dragqueens verfolgten die Angreifer Dass die Zeiten damals andere waren, schlechtere zumal, erfährt man, wenn man Rosie nur wenige Minuten zuhört. «Wenige Meilen ausserhalb der Stadt wohnten die Rednecks mit ihrer Südstaatenflagge am Haus», erinnert sie sich. «Wir hatten immer einen Baseballschläger in der Bar, um uns im Fall der Fälle verteidigen zu können.»

Tatsächlich kam es zu Übergriffen, einmal wurde gar eine Rauchbombe ins O. Henry‘s geworfen. «Es waren damals die Dragqueens, die die Angreifer noch auf der Strasse verfolgten», sagt Rosie. Mittlerweile geht es friedlicher zu, der Baseballschläger ist eingemottet. Stattdessen rechnen Derick und Rosie zum 32. Pride Festival in Asheville Ende September mit mehr als 10’000 Besuchern. An dieser Entwicklung haben Rosie zufolge die queeren Bars entscheidenden Anteil. Sie wurden zu Fixpunkten der Szene und lockten auf diese Weise immer mehr Neuankömmlinge an. Vielleicht beschreibt eine Kombination der Theorien zu Ashevilles Popularität unter Künstler*innen und der LGBTIQ-Community die Realität am besten. So jedenfalls klingt die Erklärung von Jillian Kelly und Kim Allen. Das Paar betreibt in Asheville seit fünf Jahren den Imkereiladen «Bee Charmer», verkauft Honig, Wachskerzen und Kosmetik. Eigentlich stammen Jillian und Kim aus Chicago. Beide haben an der dortigen Börse als Wertpapierhändlerinnen gearbeitet, bis ihnen ihre Arbeit sinnentleert erschien. Auf der Suche nach einem anderen Wohnort fühlten sie sich schnell zu Asheville hingezogen. «Die Stadt war schon immer aufgeschlossen», sagt Kim und verweist auf Autor*innen wie Thomas Wolfe und Zelda Fitzgerald, die einst in Asheville lebten, und auf die Galerien im River Arts District. Zugleich suchten die beiden nach Ausgleich in der Natur, wollten in den Bergen wanden und biken.

Regenbogen statt Südstaatenflagge Jillian und Kim sind nicht die einzigen Neubürger*innen, die den Mix aus Offenheit, Kultur und Natur zu schätzen wissen. Seit dem Jahr 2000 ist die Bevölkerungszahl Ashevilles um rund ein Drittel gestiegen. Durch den Zuzug verändert sich nicht nur die Stadt, beobachtet Rosie Coates, die Gründerin der Bar O.Henry’s. Auch das Umland wandelt sich. Denn weil die Mieten steigen, ziehen mittlerweile viele Leute in die Vororte. Die Zeiten, in denen dort die Südstaatenflaggen hingen und Rauchbomben gebastelt werden, sind vorbei. Stattdessen wird in diesem Jahr in Hendersonville, rund 30 Autominuten ausserhalb der Stadt, der erste Pride gefeiert. Nur einen Drum Circle, den gibt es lediglich in Asheville. Noch, jedenfalls.

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