«As You Fucking Like It»: Shakespeare als Gender-Revolution
Am Deutschen Theater Berlin erlebt «Wie es euch gefällt» ein radikales LGBTIQ-Update
Regisseur Bastian Kraft hat die ohnehin schon queeren Elemente der genialen Shakespeare-Komödie von 1599 nochmals gequeert. Und wurde dafür vom Premierenpublikum bejubelt.
Schlägt man das Buch «A Little Gay History» auf, dann findet man in diesem Guide durch die LGBTIQ-Sammlung des British Museum in London auch einen Eintrag zu «Shakespearen Love». In dem wird darauf hingewiesen, dass Shakespeare (1564-1616) besonders in seinen Komödien Themen wie «Crossdressing und Gender-Ambiguität» behandle – «fast so, als würde er sagen wollen, dass Geschlecht etwas ist, was nur von den jeweiligen Umständen abhängt».
Als Beispiel wird speziell auf die Komödie «As You Like It» von 1599 eingegangen. Und darauf, dass in diesem Stück, das im Wald von Arden spielt, wohin verschiedene Charaktere geflüchtet sind vor den brutalen politischen Realitäten ihrer Zeit, die Figur der Rosalinde sich als Mann verkleidet. Um nicht als Flüchtling erkannt zu werden. Sie nennt sich Ganymede. Und als solcher trifft sie im Wald den Mann, den sie liebt: den Ritter Orlando. Der erklärt seinem neuen Freund, dass er in eine gewisse Rosalinde verliebt sei, aber nicht wisse, wie er sie für sich gewinnen könne. Also schlägt Ganymede vor, gemeinsam das Flirten zu üben, wobei er vorgibt, eine Frau zu sein, der Orlando den Hof machen soll. So als wäre es Rosalinde. Dabei kommt es zu einem intensiven erotischen Austausch, der stark von Homoerotik durchzogen ist.
Von den Puritanern verteufelt – von der LGBTIQ-Community gefeiert Diese homoerotische Bedeutungsebene wurde 1599 noch dadurch verstärkt, dass im Elisabethanischen Zeitalter Frauen nicht als Schauspielerinnen auftreten durften (MANNSCHAFT berichtete), d.h. die Rolle der Rosalind wurde von einem cross-dressed Jungen gespielt. Womit die doppelte, dreifache und sogar vierfache Gender-Brechung in «As You Like It» auf eine einsame Spitze getrieben wird – denn Rosalind wird von einem Jungen gespielt, der vorgibt eine Frau zu sein, die vorgibt Ganymed zu sein, der in die Rolle einer Ersatz-Rosalind schlüpft. Um am Ende Orlando zu heiraten. Zwar formal ganz «heteronormativ» (es waren ursprünglich trotzdem zwei Männer, die sich auf der Bühne das Ja-Wort gaben). Aber die Extraebene, die Orlando mit Ganymed gemeinsam durchlebt hat, bleibt Teil ihrer Beziehung, egal wer die Rollen spielt.
Kein Wunder, dass speziell diese Shakespeare-Komödie von späteren Generationen als besonders «problematisch» angesehen wurde, weil sie nicht ins Bild passte, was «Anstand und Sitte» betrifft – besonders im Zusammenhang mit dem Nationaldichter Shakespeare. Den jedes Schulkind in Grossbritannien lesen muss und der auf der gesamten Welt, bis heute, so etwas wie in Popstar der Literaturgeschichte geblieben ist. Und Shakespeare wusste als Autor und Theaterunternehmen ziemlich gut, «wie» es dem Publikum gefällt. Auch wenn er dafür von den Puritaner verteufelt und später immer wieder als moralisch «bedenklich» angeprangert wurde.
Die Schwulen-und-Lesbenbewegung der 1970er Jahre hat Shakespeare als Helden gefeiert (wer ist der mysteriöse junge Mann, dessen Schönheit er in seinen Sonetten besingt?). Die Feministen haben seine selbstbewussten Frauengestalten zelebriert. Und natürlich hat auch die Queer-Bewegung Shakespeare für sich entdeckt.
Der Regisseur Bastian Kraft bringt nun mit seiner «As You Fucking Like It»-Version ein besonders zugespitztes Queer Reading dieser genialen Komödie auf die Bühne der Kammerspiele des Deutschen Theaters Berlin.
Vier Darsteller*innen für eine Rolle Zugespitzt ist diese bei der Premiere vom Publikum gefeierte Version deshalb, weil sie das Gender-Spiel und die vierfache Brechung der Figur der Rosalind dadurch verdeutlicht, dass die Rolle von vorherein mit vier unterschiedlichen Darsteller*innen besetzt ist – und zwar jeweils gegen ihr vermeintlich «natürliches» Geschlecht. Womit die Dekonstruktion nochmal einen Zacken verschärft wird.
Praktisch heisst das, gleich zu Beginn treten nacheinander vier Rosalinden vor vier verschiedene Theatervorhänge, um sich dem Publikum vorzustellen (Bühne: Peter Baur). Weil zur Premiere Helmut Mooshammer erkrankt war, sprang Regisseur Bastian Kraft kurzentschlossen selbst ein und präsentierte sich – wie alle anderen auch – im herrlichsten Rosa (Kostüme: Jelena Miletić).
Gwyneth Patrow verkaufte später Wachskerzen-mit-Vaginageruch, in phallischem Format
Inspiriert ist diese Kleiderfarbe vom Outfit, das Gwyneth Paltrow bei der Oscar-Verleihung trug, als sie für ihre Darstellung als cross-dressed Schauspieler in «Shakespeare in Love» ausgezeichnet wurde. Entsprechend kommt Caner Sunar als Paltrow-Rosalinde mit Oscarstatue in der Hand rein. Und erklärt dem Publikum die Hintergründe: zu «Shakespeare in Love», zu den Darsteller*innenkonventionen der Elisabethanischen Zeit, zu den Wachskerzen-mit-Vaginageruch, die Patrow später verkaufte (in phallischem Format!) usw.
Neben Bastian Kraft und Caner Sunar als «Männern» in der Frauenrolle, treten Regine Zimmermann und Lisa Hrdina als «Frauen» in der Ganymede-Kostümierung auf. Und spielen diesen Teil der Rolle mit himmelschreiend komischen Macho-Übertreibungen. Während Kraft und Sunar spiegelbildlich die vermeintlich «weiblichen» Teile der Rolle als theatralisch übertriebene Version von Femininität vorführen – aber dies so liebevoll tun, dass das Lachen über sie eher unsere etablierten Vorstellungen von Gender hinterfragt, als die Figur(en) lächerlich zu machen. Ein gelungener Balanceakt.
Videoeinspielungen und Musik Natürlich kommen in Shakespeares «As You Like It» mehr Figuren vor als nur Rosalinde. Es ist, im Original, keine One-Woman-Show, egal wer diese Rolle spielt. Der Kunstgriff bei Kraft ist, dass er alle anderen Figuren drumherum, die für die Handlung wichtig sind, über Videoeinspielungen zeigt (Video: Jonas Link). In denen wiederum die vier Darstellenden auf der Bühne in jeweils neuen Kostümierungen/Masken zu sehen sind, während die real auf der Bühne stehenden Schauspieler*innen den Text sprechen, mit immer wieder neu verstellten Stimmen. Auch hier wird in Bezug auf Geschlecht alles dekonstruiert: Lisa Hrdina ist ein hinreissender Orlando mit blonder Perücke und Bartstoppeln. Ebenso hinreissend ist Regine Zimmermann als einfältiger Schäfer Silvius. Der ist verliebt in die Schäferin Käthchen, die wiederum von Caner Sunar als dunkelhaarige Bitch mit viel Kajal um die Augen gespielt wird (Maske: Meike Hildebrand und Heike Küpper).
Kätchen ist ebenfalls in den hübschen Wald-und-Wiesen-Neuling Ganymed verliebt – und am Ende geschockt, als dieser sich als «Frau» zu erkennen gibt. (Aus Frust heiratet Käthchen dann Silvius.) Und die Gwyneth-Paltrow-Rosalinde erklärt dem Publikum, dass jetzt zwar heteronormative Konventionen gewahrt werden. Aber: Da niemand wirklich der*die ist, der*die sie*er äusserlich scheint, gelten solche Konventionen nicht. Jedenfalls nicht wirklich. Denn «Die ganze Welt ist eine Bühne», wie der berühmte Monolog aus «As You Like It» besagt, und jede*r spielt darauf eine Rolle, die sich immer wieder verändert. Je nach Situation und Lebensalter.
Die Videoeinspielungen geben der Aufführung eine Lebendigkeit, die all jene freuen wird, denen Theater sonst zu statisch ist
Die Art und Weise, wie Bastian Kraft die Videoeinspielungen in seine Inszenierung einbaut (Licht: Thomas Langguth), ist nicht nur bravourös, sondern gibt der Aufführung eine Lebendigkeit, die all jene freuen wird, denen Theater sonst zu statisch ist – zu wenig wie Kino oder Netflix. Hier wird Shakespeare durch Filmelemente merklich animiert. Dazu kommen viele Musikeinlagen (Musik: Pollyester), die das Ganze teils in Richtung Musical schieben, was nochmals für Auflockerung sorgt. In München lief derweil gerade eine ebenfalls sehr queere Version der Shakespeare-Komödie «Twelfth Night» als Musical unter dem Titel «Was ihr wollt», inszeniert von Stefan Huber, aber ohne die Radikalität von Bastian Kraft. Hier ist der Trailer aus Bayern:
DIe ungebrochene Genialität des Barden von Stratford-upon-Avon Vermutlich geniesst man diese Version von «As You Fucking Like It» mehr, wenn man die Shakespeare-Vorlage zumindest ungefähr kennt. Weil Kraft in seiner anderthalb Stunden dauernden Fassung nicht alle Handlungselemente zeigt. Man versteht zwar trotzdem, was los ist. Aber Details muss man sich vielfach selbst zusammenreimen.
Durch die Komprimierung ist auch das homoerotische Liebesspiel zwischen Orlando und Ganymed-als-Ersatzrosalinde nicht in dem Umfang zu erleben, wie bei Shakespeare ursprünglich vorgesehen. Das kann man bedauerlich finden, weil die Darstellenden-plus-Videos in der entsprechenden Szene wirklich über sich hinauswachsen. Und die Aufführung zum Funkeln bringen.
Das Erstaunliche an dieser «As You Fucking Like It»-Aufführung ist, dass dieses über 400 Jahre alte Stück die Neuinterpretation problemlos aushält. Mehr noch, es scheint, als sei alles, was Kraft & Co. aus dem Shakespeare-Text rausholen, schon immer dort angelegt. Was nur die Modernität des Barden von Stratford-upon-Avon belegt. Da sein Oeuvre so umfangreich ist, hat jedes Zeitalter sich die Stücke und Themen herausgezogen, die jeweils besonders aktuell schienen.
Dass das im Jahr 2022 – in Berlin wie anderswo – die Frage nach Genderklischees ist, überrascht nicht. Der Trick bei Shakespeare (ebenso wie bei Kraft und Dramaturgin Franziska Trinkaus) ist, dass er typische Merkmale von «Männlich» und «Weiblich» nicht im Sinn von Nicht-Binarität aushebelt, sondern sagt: jeder kann diese Merkmale für sich benutzen, sie immer wieder wechseln, sie für sich anpassen, sich selbst damit permanent neu erfinden, eine*n neue*n Liebhaber*in damit immer wieder neu umgarnen. So wie er*sie es will. «As You Fucking Like it» eben!
Die Inszenierung läuft, mit englischen Übertiteln, bis 31. Dezember 2022. Weitere Informationen finden sich auf der Webseite des Theaters hier.
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