Druck durch Passing oder: Die Rückkehr von Kurt Cobain
Anastasia Biefang über die innere Stärke, nicht mehr in ein emotionales Loch zu fallen, wenn ihr Aussehen als männlich gelesen wird
Die Frage des Passings kann trans Personen gehörig unter Druck setzen. Zur Hölle damit, schreibt Anastasia Biefang in ihrer Kolumne*. Sie schneidet ihre Haare und lässt ihren Bart wachsen.
«Schau mal, da ist Kurt Cobain.» Nein, ich leide weder an Halluzinationen noch ist die ewige Stimme des Grunge auferstanden. Jemand hat mich einfach mit ihm verwechselt. Gut, ich habe mir die letzten Wochen einen Bart wachsen lassen und meine dunkelblonden Haare auf Kinnlänge geschnitten. Da darf diese Verwechslung ruhig passieren. Halb so wild.
Mittlerweile habe ich die innere Stärke, nicht mehr gleich in ein tiefes, dunkles und abgrundtiefes emotionales Loch zu fallen, wenn mein Aussehen als männlich gelesen wird. Meistens. Die Idee zum Bart war keine überlegte Handlung, sondern eine aus Faulheit, während ich mit Corona krank im Bett lag und keine Energie hatte, mich täglich zu rasieren. Der Bart wuchs – ein selbstverständlich natürlicher Vorgang – und ich liess ihn stehen. Seit vier Wochen nun. Mir gefällt er und meiner Frau auch. Damit hätte ich es auch belassen können. «Bist du in der Detransition?»
«Ist das der Weg zurück?» «Ganz schön männlich die Aufmachung.» Die verschiedenen Arten der Blicke, die mir entgegenschlugen, verdienen zusätzlich ein ganzes Buchkapitel. Da steckte so viel mehr drin als in den obenstehenden Worten. Auch nicht schlecht war der verdutzte und zugleich schockierte Blick eins testosterongestählten, sich mackerhaft gebenden Jünglings, der mir auf der Sonnenallee entgegenkam.
Bewundernd auf meine Brüste starrend, setzte er gedanklich bereits zu einem formvollendeten und sicherlich coolen Spruch an und erstarrte kurz auf Augenhöhe. Dass er nicht jäh stolperte und sich dabei die Nase brach, grenzte an ein Wunder. Schnell eilte er von dannen, sicherlich heute noch innerlich gequält sich fragend, wie dies alles zusammenpasste und ihn womöglich auch noch erregt hat. Einfach herrlich.
Ich habe genug davon, ständig daran gemessen zu werden, wie weiblich ich auf Dritte wirke. Welche Attribute an mir, an meinem Körper, mich in der Fremdwahrnehmung als Frau bestätigen und welche den Hinweis auf meine Nicht-cis-Natur geben. Ich bin es endlich satt, auch sechs Jahre nach meinem Coming-out mich in meinem Frausein oder meiner Weiblichkeit beweisen zu müssen. Ich bin froh, endlich an dem Punkt angekommen zu sein, dieser Bestätigung durch andere nicht länger zu bedürfen. Jahrelang hat mich das Gefühl, nicht äusserlich als Frau bestehen zu können, in meiner Identität zurückgehalten.
Das Passing beflügelt ein Bild vom Frausein, dem ich nie entsprechen konnte und niemals werde.
Die Frage nach dem eigenen Passing setzte mich jahrelang unter Druck, bestimmte mein Denken und Handeln und beflügelte ein Bild vom Frausein, dem ich nie entsprechen konnte und niemals werde. Und dieses Gefühl wurde mir auch durch die eigene Community vermittelt. Überzogene und oftmals überkommene Weiblichkeit galt als Massstab des Bestehens. Ein immenser Druck, welchem ich mich selbst aussetzte. Zugleich machte er mich in meinem Transsein auch unsichtbar. (Kolumnistin Stephenie Vee experimentierte mit einer App, die ihr als trans Frau mehr Selbstvertrauen schenkte.)
Er zwang mir gesellschaftliche Vorstellungen einer festen und binären Geschlechtlichkeit auf. Mein Dasein, meine Identität wurde reduziert auf stereotype Vorstellungen. Vorstellungen, die cis Menschen grossenteils in ihren sozialisierten Annahmen von Frau und Mann bestärkten und ihnen Verhaltenssicherheit geben bei der visuellen Einordnung ihres Gegenübers.
Der Bart ist mein Schlag der Befreiung, meine Emanzipation. Er ist Ausdruck meiner Freiheit und meines gewachsenen und gereiften Selbstbildnisses. Er macht mich als trans Person noch sichtbarer als je zuvor und ebnet hoffentlich neue Gedankenwege und Vorstellungen über das selbst empfundene und zugeschriebene Geschlecht. Und meine Nichtanpassung, mein momentaner Ausdruck als gender-nonconforming, nimmt mir nicht mein Frausein.
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder eine Glosse zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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