Abba – der klassische Traum von übersehenen queeren Aschenputtels

Warum waren wir – stolze Homos, die wir sind – immer so ergriffen von der schwedischen Band?

Foto: Schilling/dpa
Foto: Schilling/dpa

Es war das musikalische Comeback 2021: Abba haben ihr erstes Album seit 40 Jahren herausgebracht. Die Band wurde auch für einen Grammy nominiert: Der Song «I Still Have Faith In You» könnte in der Kategorie «Record of the Year» gewinnen – der erste Grammy für die schwedischen Stars. Warum aber, fragt unser Autor in seinem Kommentar*, waren Queers immer extra ergriffen von Abba?

Plötzlich war es soweit, der promotionelle Vorlauf begann ja erst im Spätsommer: Abba is back. Annafrid Lyngstad und Agnetha Fältskog mit den beiden Männern Björn Ulvaeus und Benny Andersson. «Voyage» heisst ihr neulich veröffentlichtes Album (MANNSCHAFT berichtete). Zehn Lieder sind lanciert worden, vom – mein Favorit, weil leicht und luftig – «Just A Notion» bis zu einem Weihnachtslied namens «Little Things». Man kann die Scheibe (so sagte man früher zu Tonträgern, vor der digitalen Zeit) einfach so laufen lassen, es klingt wie Abba. Und zwar wie immer, nicht wie ein Alterswerk, was ja auch angemessen wäre, alle vier sind ziemlich rüstige Mitten-in-den-Siebziger, eine Altersstufe, die sie früher zu Greisen gemacht hätte. Aber heute sehen sie gealtert, aber doch ziemlich frisch aus.

Das andere grosse Comeback feierte im Jahr 2021 Hape Kerkeling

Zu diesem Comeback – ist es überhaupt eines, waren sie denn je weg? – ist technisch und werblich alles gesagt. Dass sie nicht mehr live auftreten werden, dass sie stattdessen als jetzige Personen die Performances der Lieder – auch ihrer Klassiker – eingeübt haben und dabei gefilmt wurden, so dass sie nächstes Jahr in London als eine Art Avatare auftreten können, dass sie außerdem immer noch so sind und klingen wie einst. Es ist, muss ich feststellen, der einzige neue Tonträger, den ich random beim Kochen hören kann, und es klingt immer wie – eben: Abba. Das ist zumal in der Vorweihnachtszeite von adventlich stimmender Seligkeit, das ist wie immer, und zugleich sehr heutig. „Voyage“ ist ein Reisevorschlag, eine zu uns selbst, zu dem, was war, was mit dieser Musikgruppe auch besonders gut gelingt, weil in der melancholisch gefärbten dunklen Jahreszeit der prinzipiell auch melancholische Sound der vier Schwed*innen perfekt passt.

Mischt man die zehn «Voyage»-Lieder mit einem Mix der Abba-Klassiker von einst – von «Dancing Queen» über «Fernando» bis zu «The Winner Takes It All» und «I Do I Do I Do» -, wird körperlicher fast spürbar, dass da eine Band, musikalisch verantwortlich: alle vier, aber die zwei Männer als Komponisten und Texter eben besonders, nicht vor sich hin gerunzelt ist, ein bisschen verwelkt, aber noch schön. Das Album jedenfalls ist in den meisten Ländern in die höchsten Regionen der Charts emporgeschnellt, vielmehr bleiben sie dort bis heute, im Popgeschäft eine lange Zeit.

Zu Abba muss aber gefragt: Warum ist sie die wichtigste Band geworden, weshalb funktioniert sie generationenübergreifend, aus welchen Gründen hatte sie immer auch Fans in den Heavy-Metal-Musikerszene – und woran liegt es, dass sie nie von irgendwem ernsthaft gehasst wurden? Noch wichtiger zu fragen ist: Warum waren wir, stolze Homos, die wir sind, extra-ergriffen von Abba? (So auch unser Rezensent)

Meine These: Weil die zwei Frauen und zwei Männer eben keine Sex-Drugs-&-Rock’n’Roll-Band waren, weil sie nie billig waren, sondern von ästhetischer Klasse, weil sie keine Hotelzimmer zerlegten und die Nächste im Kreis von Groupies durchsoffen und -kifften, sondern eher zum stillen Mineralwasser neigten, weil der Bühnenjob – und sie standen oft auf der Bühne bis Ende der Siebziger – zehrt, stresst und fertig macht, in ihrem Fall von Australien und Japan nach Europa, Amerika …

Aber dass Queers sie liebten, war eben dies: Dass da zwei Paare so etwas wie eine gute Gesamtfamilie repräsentierten, dass sie freundlich und respektvoll waren, nie ausfällig und skandalös, höchstens skandalös unprätentiös. Scheu und bescheiden sie alle vier – keine Avantgardsoldat*innen, sondern Weltklassemusiker*innen, die wegen ihrer harmonisch sattelfesten Musik ohne Biederkeit gemocht werden konnten, Traumgefässe waren, Projektionsfläche eines besseren Lebens. Und zwar eines in Familien, in denen man sich als Homo aufgehoben zu fühlen glaubte, in den Tagträumen. Wer «Dancing Queen» zur Welt brachte, konnte kein Haufen schlechter Menschen sein. Abba – das ist der klassische Traum von übersehenen Aschenputtels, die wir Homos in unseren Familien oft bis meist waren, respektiert und anerkannt zu werden.

Abbas «Voyage» erinnert uns daran, dass wir mal Träumen hatten und haben und dass sie gelebt werden können, in Würde bis ins höhere Alters. Weinen wir ein bisschen, wie «Just A Notion» zu «Little Things»: Es ist die Musik zum Fest. Frohe Feiertage allen, ob religiös oder nicht: Irgendwo wartet für alle eine Krippe, aus der heraus wir wie neu geboren emporsteigen können. Und danach, ganz Abba, am 31. Dezember, nach all dem «The Way Old Friends Do», ein hymnisches Lied wie zu jedem Jahreswechsel: «Happy New Year».

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