Ab 2020 soll in Deutschland niemand mehr an AIDS erkranken

Das Ziel ist hoch gesteckt und ehrgeizig, aber „machbar“, wie es DAH-Pressesprecher Holger Wicht nennt: Ab dem Jahr 2020 soll in Deutschland niemand mehr an AIDS erkranken müssen. Unter dem Motto „Kein AIDS für alle!“ hat die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) heute Vormittag eine dreijährige Kampagne gestartet. Beim Auftaktsymposium in Berlin hielt die ehemalige Bundestagspräsidentin und Gesundheitsministerin Rita Süssmuth (CDU), die seit 2016 Ehrenmitglied der DAH ist, eine Keynote mit dem Titel „Das Ende von AIDS ist machbar“. 

Darin erinnerte sie an die großen Widerstände, denen sie vor über 30 Jahren begegnete. Weil sie damals stark auf Prävention setzte, wurde sie von Ministerkollegen als „naiv“ bezeichnet. Süssmuth wies auch daraufhin, dass bei allen Fortschritten etwa in Deutschland, wo der Fokus auf Aufklärung und Prävention liegt, auf Safer-Sex-Regeln wie dem Benutzen von Kondomen, dies in Ländern wie Polen und Russland leider nicht mehr selbstverständlich ist.

Über 1000 vermeidbare Erkrankungen jährlich

HIV muss nicht mehr zu AIDS führen, so die DAH. Trotzdem erkranken in Deutschland noch jährlich weit mehr als 1.000 Menschen an der Immunschwächekrankheit – meist, weil sie nichts von ihrer HIV-Infektion wissen. Knapp 13.000 Menschen leben in Deutschland unwissentlich mit HIV (wie man sich anstecken kann, weiß Dr. Gay). Andere Menschen hätten keinen Zugang zu HIV-Medikamenten. Sie alle liefen Gefahr, an AIDS zu erkranken.

„Dass Menschen eine potenziell tödliche Krankheit bekommen, die sich längst vermeiden lässt, dürfen wir nicht hinnehmen“, so DAH-Vorstandsmitglied Manuel Izdebski. „Bei rechtzeitiger Diagnose und Behandlung kann man heute mit HIV lange und gut leben. Mit vereinten Kräften möchten wir in Deutschland die Bedingungen schaffen, dass alle Menschen mit HIV frühzeitig von ihrer Infektion erfahren und eine Therapie erhalten. Die Medikamente verhindern dann auch die Weitergabe von HIV.“

[perfectpullquote align=“full“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““] Wir müssen unsere Anstrengungen verstärken. Ausgrenzung müssen wir entschieden entgegentreten, Versorgungslücken schließen.   [/perfectpullquote] Rita Süssmuth, die als Bundesgesundheitsministerin (1985 – 1988) den Beginn der HIV-/AIDS-Epidemie erlebt und die erfolgreiche deutsche Präventionsstrategie auf den Weg gebracht hat, erklärt:

„Das Ende von AIDS ist ein wichtiges historisches Ziel. Ich glaube fest daran, dass es uns gelingen kann. Wir müssen unsere Anstrengungen dafür noch verstärken. Ausgrenzung müssen wir entschieden entgegentreten, Versorgungslücken schließen.“

Holger Wicht im Gespräch mit den Kampagnengesichtern Regina und Maik (Foto: Kriss Rudolph)
Holger Wicht im Gespräch mit den Kampagnengesichtern Regina und Maik (Foto: Kriss Rudolph)

Auch die Bundesregierung verfolgt in ihrer Strategie BIS2030 unter anderem das Ziel, HIV-Spätdiagnosen zu vermeiden, um eine frühzeitige HIV-Behandlung zu ermöglichen.

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) erklärt in einer Videobotschaft, er unterstütze das Kampagnenziel „aus voller Überzeugung“: „Gemeinsam können wir es erreichen. Aufbauend auf den Erfolgen der letzten Jahre, aber auch in dem Wissen, dass bei uns noch viel zu tun ist.“

Der Minister warnt, Ausgrenzung führe dazu, dass Menschen aus Angst oder Scham nicht zum HIV-Test gingen. Besondere Anstrengungen seien außerdem beispielsweise in Haftanstalten und für Menschen mit Migrationshintergrund notwendig.

Deutschland kann mit gutem Beispiel vorangehen

Die DAH folgt mit ihrer Kampagne den Entwicklungszielen der Vereinten Nationen, nach denen die AIDS-Epidemie bis 2030 beendet werden soll. In Deutschland ist dieses Ziel früher erreichbar, weil die Voraussetzungen besonders gut sind: Die Zahl der HIV-Infektionen ist im internationalen Vergleich gering, HIV-Medikamente sind verfügbar und es gibt ein leistungsfähiges Gesundheitssystem.

„Wir wissen, dass Deutschland als gutes Beispiel vorangehen kann. UNAIDS ist an Ihrer Seite, um Sie zu unterstützen“, betont UNAIDS-Direktor Michel Sidibé in seiner Videobotschaft. Es sei der richtige Weg, Menschen zum HIV-Test zu motivieren, zu viele würden ihren HIV-Status nicht kennen.

Foto: DAH
Foto: DAH

Vor allem drei Gründe hielten Menschen vom HIV-Test ab:

  • Viele haben Angst vor einem positiven Ergebnis, die Folgen schätzen sie dramatischer ein, als sie sind. Sie wissen nicht, dass man mit HIV heute ein weitgehend normales Leben führen kann. Und sie haben Angst vor Diskriminierung und Schuldzuweisungen.
  • Andere ziehen nicht in Betracht, dass sie HIV haben könnten, weil sie HIV mit bestimmten Lebensweisen oder Gruppen wie schwulen Männern verbinden. Gerade diese Menschen habe ein hohes Risiko zu erkranken, wenn sie sich infiziert haben.
  • Ärztinnen und Ärzte haben HIV oft im entscheidenden Moment nicht auf dem Schirm (wie im Fall der Heterofrau Regina, eins der beiden Kampagnengesichter); einen HIV-Test anzubieten, fällt vielen schwer, weil damit das Thema Sexualität ins Spiel kommt.

Die Herausforderung auf den letzten Metern gegen AIDS liegt darin, sehr unterschiedliche Menschen zu erreichen. Die Kampagne „Kein AIDS für alle!“ wird darum passgenaue Unterstützung für verschiedene Zielgruppen anbieten. U.a. hat man dabei Drogengebraucher und Geflüchtete im Blick.

Passgenaue Maßnahmen vor Ort

Bei der Aktion „40 Orte – 40 Aktionen“ werden DAH-Mitgliedsorganisationen mit finanzieller Förderung durch den Verband in ganz Deutschland Projekte starten, die HIV-Tests fördern und für den Nutzen eines frühzeitigen HIV-Tests sensibilisieren. Die Kampagne ICH WEISS WAS ICH TU für schwule und bisexuelle Männer startet Ende Mai eine dreijährige Testkampagne mit zahlreichen Aktionen auf Christopher-Street-Day-Veranstaltungen und kostenlosen Testangeboten vor Ort. Schwulen und bisexuellen Männern empfiehlt die Deutsche AIDS-Hilfe, sich einmal jährlich testen zu lassen.

Im Zweifel zum HIV-Test

„Nur wer von seiner Infektion weiß, kann von den heute verfügbaren Therapien profitieren. Deswegen gilt für alle Menschen: Im Zweifel zum HIV-Test“, betont DAH-Vorstand Izdebski. „Genauso wichtig ist die Botschaft: Mit HIV kann man heute leben! Und wir brauchen ein offenes Klima, das es erleichtert, über HIV zu reden. Wir alle können etwas dafür tun, dass AIDS in Deutschland bald Geschichte ist.“

Das könnte dich auch interessieren