50 Jahre «Sesamstrasse» in deutscher Sprache
Auch Dirk Bach ist Teil der Geschichte
Das Krümelmonster, Grobi und natürlich Ernie und Bert – Millionen Menschen im deutschsprachigen Raum sind mit ihnen gross geworden. Ob sie Ernie und Bert für ein schwules Paar halten oder nicht: 2023 wird ordentlich gefeiert.
Von Carola Große-Wilde, dpa
Verträumt summt Ernie «Mein Hut, der hat drei Ecken» und schaut in der Gegend herum. Plötzlich kommt ein geheimnisvoll aussehender Mann im Trenchcoat vorbei. «Hey, Du!» raunt er Ernie zu und schaut sich dabei verschwörerisch um. Ob er etwas kaufen möchte, fragt er Ernie. «Was verkaufen sie denn?», antwortet Ernie fröhlich und der geheimnisvolle Verkäufer öffnet verstohlen seinen Mantel und zeigt ihm eine Acht, flüstert immer wieder «Psst!» und «Genau!». «Warum soll ich mir denn eine Acht kaufen?», denkt sich Ernie, doch der Mann lässt nicht locker: Dann wisse er immer, wie viele Arme eine Krake habe, wann es Frühstück gibt, wie viele Ruderer ein Achter hat.
An diesen Clip und zahlreiche andere – wie etwa den tollpatschigen Grobi als Kellner, Kermit als rasender Reporter oder das Kekse verschlingende Krümelmonster – müssen vermutlich Millionen Menschen denken, die seit den 1970er Jahren mit der «Sesamstrasse» aufgewachsen sind. «Der, die, das, wieso, weshalb, warum?»: 18.30 Uhr war «Sesamstrassen»-Zeit. «Ich habe die Sesamstrasse geliebt und jeden Abend auf meine gestreiften Popstars Ernie und Bert gewartet – vorm Fernseher im ebenfalls gestreiften Schlafanzug. Was für ein anarchisches Fernsehglück!», erinnerte sich «Tagesthemen»-Moderatorin Caren Miosga (53) bei der Aufzeichnung der Jubiläumssendung.
Für zwei Tage galten Ernie und Bert sogar als schwul, der «Sesamstrasse»-Autor Mark Saltzman hatte sie geoutet. Es sei aber missverstanden worden, erklärte Saltzman später. (MANNSCHAFT berichtete). Auch von offizieller Seite wurde klargestellt: Die beiden seien Puppen und hätten keine sexuelle Orientierung.
10 Jahre zuvor hatte es sogar eine Online-Petition gegeben, die verlangte, dass die beiden Figuren endlich heiraten sollten. Fast 11.000 mal wurde die Petition damals unterschrieben.
Erstmals ausgestrahlt wurde die «Sesame Street», so der Originaltitel, am 10. November 1969 im US-Fernsehen. Die Idee, eine Sendung speziell für Vorschulkinder zu machen, hatte die amerikanische Fernsehproduzentin Joan Ganz Cooney. Sie konnte den legendären Puppenspieler Jim Henson für die Sendung gewinnen. «Er hasste die Idee, ein Kleinkinderstar zu sein, aber dann hat er an seine eigenen Kinder gedacht und zugesagt», erinnerte sich Cooney. Die neue Kindersendung richtete sich an sozial schwächere Familien und spielte in einer fiktionalen Strasse mitten in New York, mit rauchenden Gullys und scheppernden Mülltonnen.
Es gibt weltweit Adaptionen: In der südafrikanischen Version «Takalani Sesame» kämpft eine HIV-positive Figur gegen die Verbreitung von AIDS. Kami ist eine pelzige gelbe fünfjährige Puppe, die sich HIV als Ergebnis einer verdorbenen Bluttransfusion zugezogen hat, die sie als Säugling erhalten hat. Kami tritt auch in «Sesame Square» auf, der nigerianischen Ausgabe der Show.
Als in Deutschland ab 1973 synchronisierte Original-Folgen ausgestrahlt wurden, protestierte ein Bündnis aus Eltern, Erzieher*innen und Wissenschaftler*innen gegen das Flair der amerikanischen Strassenszenen, das mit der Lebenswelt deutscher Kinder nichts gemein habe. Am 2. Januar 1978 startete eine «deutsche Sesamstrasse» als Rahmenhandlung, die der Norddeutsche Rundfunk (NDR) federführend produzierte. Der ORF zeigte die «Sesamstrasse» nicht, bekannt wurden die Figuren aber auch hier.
Neben einer neuen Kulisse gab es auch zwei neue Puppen: den leichtgläubigen Bären Samson («uiuiuiuiui») und die altkluge Tiffy, die zusammen mit Schauspiel-Stars wie Henning Venske, Liselotte Pulver, Uwe Friedrichsen oder Horst Janson auftraten. Einige Jahre lang trat auch Dirk Bach in der «Sesamstrasse» als tapsiger, liebenswürdiger Zauberer Pepe auf.
«Die Wahrnehmung und Stärkung der Eigenkompetenz, eine positive Wertevermittlung und ein unmittelbarer Bezug auf die Lebens- und Erfahrungswelt der Vorschulkinder hierzulande sind Grundlage aller Geschichten der Sesamstrasse seit 50 Jahren», sagt NDR-Redakteur Holger Hermesmeyer. Damit das Angebot zeitgemäss bleibe, habe der NDR die «Sesamstrasse» vielfach weiterentwickelt. Beispiele seien die Reihe «Eine Möhre für zwei» mit den Puppen Wolle und Pferd, ebenso die Ernie-&-Bert-Songs mit Prominenten – von Herbert Grönemeyer über Helene Fischer bis Jan Delay.
Standen früher noch Zahlen und Buchstaben im Vordergrund, stehen heute eher soziales und emotionales Lernen auf dem Programm. «Leitfragen sind zum Beispiel: Wie gehe ich mit mir und meinen Mitmenschen um? Oder: Wer bin ich? Welche Gefühle habe ich?», sagt Hermesmeyer. Auch Themen wie Natur- und Umweltschutz, Klimawandel, Ernährung, Diversität, Leben mit Behinderung oder Krankheit werden passend für die Zielgruppe der Drei- bis Sechsjährigen aufbereitet. Etliche Proteste handelte sich der NDR ein, als er 2003 die Sendung von ihrem angestammten Vorabendplatz ins Morgenprogramm verlegte.
«Die Basics bringt dir die Sesamstrasse bei: das Ding mit dem Zählen, was ist fern, was ist nah, alle diese Sachen», erinnert sich Comedian Torsten Sträter. «Ich mochte besonders gerne Oskar aus der Mülltonne. Den hab ich sehr geliebt», sagt der 56-Jährige. Schauspielerin Meltem Kaptan lernte mit der Sendung mehr als nur die deutsche Sprache: «Pädagogisch wertvoll war die Sesamstrasse und wir hatten den Auftrag, dass wir als Migrationskinder gutes Deutsch lernen sollten», erinnert sich die 42-Jährige. «Das war so das Leben, was du dir als Migrantenkind gewünscht hast: alle bunt, jeder ist unterschiedlich, aber es funktioniert – alle leben ohne Streit zusammen.»
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