5 Jahre danach: Ist Orlando schon vergessen?
Die Antwort auf die Opfer und die Toten von homophober und transfeindlicher Hassgewalt ist skandalöse Friedhofsruhe der Regierung
An diesem Samstag jährt sich zum 5. Mal das Massaker im queeren Club «Pulse» in Orlando. Was hat sich seither verändert? Frei und sicher leben, das bleibt für Lesben, Schwule und trans Menschen vielerorts weiter ein unerfüllter Wunsch. Der Samstagskommentar* von Axel Hochrein.
Vor fünf Jahren, am 12. Juni 2016, erschütterte der bis heute schlimmste Gewaltakt gegen Homosexuelle und trans Personen unser aller Leben. Ein einzelner Attentäter erschiesst im Nachtclub Pulse in Orlando 49 Menschen und verletzt weitere 68 Menschen schwer. Das «Pulse», in welchem sich hauptsächlich die LGBT-Community trifft und feiert, wird zum Ort unbegreiflichen Terrors und Leid. Auch wenn der Täter von der Polizei erschossen und somit keine endgültige Aufklärung seiner Beweggründe möglich war, besteht kein Zweifel, dass dies ein Akt homophoben und transfeindlichen Hasses war. Laut Medienberichten äusserte sich der Täter schon früher homophob und erklärte vor der Tat seine Sympathie mit dem sogenannten «Islamischen Staat» und dessen gewaltverherrlichenden Ideologie. Die richtet sich immer auch gegen Lesben, Schwule und Transgender, denn sie sind ein Sinnbild für das Ideal einer offenen und pluralen Gesellschaft, beruhend auf Selbstbestimmung und Respekt.
Dem weltweiten Entsetzen über die Tat, folgen globale Solidaritätsbekundungen und spontane Gedenkveranstaltungen, die Wahrzeichen vieler Städte wurden in der Folge in Regenbogenfarben angestrahlt, so auch das Brandenburger Tor in Berlin. Schon am 17. Juni, nur einen Tag nach der Gewalttat, verabschiedete der UN-Sicherheitsrat einstimmig eine Stellungnahme, die den Anschlag verurteilte und feststellte, dass die Opfer gezielt wegen ihrer fehlenden Heteronormativität ausgesucht worden waren. Als Lehre und Auftrag für die Politik wird die Akzeptanzsteigerung für die LGBTIQ Community beschworen und die Bekämpfung von homophoben und transfeindlichem Hass, Ausgrenzung und Gewalt versprochen.
Fünf Jahre nach der Schreckensnacht von Orlando sind diese Versprechen nicht nur noch immer unerfüllt, sie scheinen vergessen. Dieses harte, aber objektive Resümee gilt nicht nur für die USA, wo ein Präsident Trump genau das Gegenteil von dem gemacht hat, was notwendig gewesen wäre. Noch ist sein Nachfolger Biden damit beschäftigt, alle gegen die LGBTI-Community gerichteten Anordnungen aufzuheben und zu beseitigen. Der empörte Blick über den Atlantik ist aber unnötig. Denn das Urteil des sächsischen Oberlandesgerichts von vor vier Wochen hat den ebenso skandalösen Umgang mit homophoben und transfeindlichen Hass- und Gewaltverbrechen gegen Lesben, Schwule und trans Menschen in unserem Land deutlich dokumentiert.
Am 4. Oktober 2020 wurden in der Innenstadt von Dresden Thomas und Oliver L., ein schwules Paar, von einem Islamisten mit zwei Messern angegriffen (MANNSCHAFT berichtete). Dabei wurde einer der Männer des Paares getötet, der andere schwer verletzt. Obwohl sehr schnell nach der Tat Anzeichen für ein homosexuellenfeindliches Tatmotiv vorliegen, wird von der sächsischen Polizei, Staatsanwaltschaft und Innenministerium verschwiegen, dass es sich um ein mögliches LGBTIQ-feindliches Hassverbrechen gehandelt haben könnte. Erst durch Medienrecherche und nachdem die die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernommen hatte, wurde die tödliche Homophobie als Motiv genannt. Ein zufälliges Versagen von Landesbehörden? Nein, vielmehr ein weiterer Beleg für das konsequente Verschweigen und Wegschauen bei LGBTI-feindlicher Hasskriminalität in unserem Land.
Was wir totschweigen, gibt es nicht, ist die Devise.
Als Anfang Mai Bundesinnenminister Seehofer die Zahlen zur Politisch-Motivierten Kriminalität für 2020 vorstellt, wird eine Zahl in der Pressekonferenz nicht erwähnt (MANNSCHAFT berichtete). Um fast 40% ist die Zahl der Straftaten, die sich gegen die sexuelle Orientierung bzw. gegen das Geschlecht/sexuelle Identität von Menschen richtet, gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen. Was wir totschweigen, gibt es nicht, ist die Devise. Anders ist es nicht zu erklären, dass Gewalt gegen LGBTIQ noch nie Thema einer deutschen Innenministerkonferenz war. In der Realität werden allerdings tagtäglich in Deutschland Menschen angepöbelt, bedroht und angegriffen, weil die Täter*innen ihren Hass auf Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans und inter Menschen in Gewalt ausleben. Und das hat Auswirkungen auf unser Leben und Verhalten. In der letzten LGBTI- Umfrage der EU-Grundrechte- Agentur gaben 45% der Befragten an, es zu vermeiden mit Partner*in der Öffentlichkeit Händchen zu halten (MANNSCHAFT berichtete).
Frei und sicher in Deutschland leben, das bleibt für Lesben, Schwule und trans Menschen weiter ein unerfüllter Wunsch. Die Antwort auf die Opfer und die Toten von homophober und transfeindlicher Hassgewalt ist die skandalöse Friedhofsruhe unserer Regierung bei dem Thema. Den Sonntagsreden nach Vorfällen wie in Dresden, folgen keine Taten. Viele effektive und praktische Verbesserungen zum Schutz könnten einfach umgesetzt werden, sowohl in der Prävention und Strafverfolgung als auch in der Gesetzgebung.
Dieses politische Verhalten ist nicht fahrlässig, sondern absichtlich. Nur so ist es auch zu erklären, dass der erneute Anlauf, die sexuelle Identität verfassungsrechtlich gegen Diskriminierung in unserer Verfassung zu schützen, in dieser Legislatur erneut gescheitert ist. Es ist zu spät, für die Opfer von Orlando, Dresden und vielen anderen Orten der LGBTIQ-Feindlichkeit. Aber nicht zu spät, endlich damit anzufangen, dafür zu sorgen, dass es keine weiteren Opfer mehr gibt.
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder eine Glosse zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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