30 Jahre «Boulevard Bio» – mal Britney, mal Bundeskanzler
Vor 30 Jahren startete die Talk-Show von Alfred Biolek
Als Alfred Biolek im Juli starb, erinnerten sich viele auch an «Boulevard Bio». In der Gesprächssendung begegneten sich verschiedenste Menschen – und selbst Helmut Kohl kam. Vor 30 Jahren startete die Show, die auf fast 500 Ausgaben in zwölf Jahren kam. Von Gregor Tholl, dpa
Schon der Name der Sendung zergehe «wie Mousse au Chocolat» auf der Zunge, schwärmte Feinschmecker Alfred Biolek vor 30 Jahren, als seine ARD-Talkshow «Boulevard Bio» (7.8.) startete. Nach Formaten wie «Bio’s Bahnhof» oder «Mensch Meier» wollte Biolek, der vor kurzem (23. Juli) mit 87 Jahren starb (MANNSCHAFT berichtete), eine angenehme wöchentliche Gesprächssendung etablieren. Für ein Millionenpublikum als schwul geoutet wurde er erst ein paar Monate später in einer RTL-Talkshow vom Filmemacher und Aktivisten Rosa von Praunheim.
In der ersten «Boulevard Bio»-Ausgabe vom 7. August 1991 war der damalige Bundesinnenminister und heutige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble zu Gast. Zehn Monate nach dem folgenreichen Attentat sprach der CDU-Politiker über sein neues Leben im Rollstuhl.
Bioleks Talkshow, die vielen älteren TV-Zuschauern bis heute als die versöhnlichste Sendung dieser Art in der deutschen Fernsehgeschichte gilt, brachte es bis Juni 2003 auf 485 Ausgaben. Erst kam sie mittwochs, ab 1992 dienstags gegen 23 Uhr. Das Publikum liebte Bio mit all seinen Schrulligkeiten. Der steif durchgedrückte Oberkörper, die Stichwortkärtchen, das Räuspern, die «Ähs» – all das war Kult.
Die Themenpalette reichte von «Aids – der einsame Tod» bis etwa «Mythos Primadonna» mit Jessye Norman im Studio. Die Gästeschar war ebenso breit gefächert. Prominente wie Fussball-«Kaiser» Franz Beckenbauer, Schriftsteller Günter Grass, Modeschöpfer Karl Lagerfeld, Stargeiger und Dirigent Yehudi Menuhin oder der Dalai Lama nahmen bei Bio Platz. Auch Filmstars wie Gina Lollobrigida und Sir Peter Ustinov, der damalige Bundespräsident Roman Herzog, der Politiker Theo Waigel oder die Popsängerin Britney Spears kamen zu ihm. 1994 sendete Biolek aus Warschau und war beim damaligen polnischen Präsidenten Lech Walesa zu Gast im Palast.
Viele Fans fanden, dass Bio die interessantesten Gespräche mit eher unbekannten Menschen führte. Am 6. September 1994 stand er anlässlich seines 60. Geburtstags in seiner eigenen Sendung Rede und Antwort, Moderator an diesem Abend war der Entertainer Harald Schmidt.
Die Sendung wurde meist ein paar Stunden vor der spätabendlichen Ausstrahlung aufgezeichnet. «Der Vorteil ist, dass alle Beteiligten frischer sind als zum Sendetermin nachts um elf», sagte Biolek dazu. Es werde aber quasi «live versetzt» gesendet. «Nichts wird geschnitten, jeder Patzer bleibt drin.» So kam es zum Beispiel, dass Biolek den Rennfahrer Michael Schumacher als «Harald Schumacher» ankündigte. Dieser nahm Platz und sagte: «Sie dürfen mich Michael nennen.» Worauf Biolek entgegnete: «Ach, das ist aber nett.»
Im Februar 1996 war Hannelore Kohl zum Thema «Szenen meiner Kindheit» zu Gast. Sie fühlte sich offenbar so gut aufgehoben, dass sie ihrem Mann die Scheu vorm Unterhaltungsfernsehen nahm. 14 Jahre nach seinem Amtsantritt fand Bundeskanzler Helmut Kohl am 11. September 1996 erstmals den Weg in eine TV-Talkshow. Harte politische Fragen stellte Biolek natürlich nicht. Mit munteren Erzählungen über Schlägereien mit SPD-Fans in seiner Jugendzeit und sein persönliches Puddingrezept – 18 Eier für sechs Portionen – hatte Kohl die Lacher im Publikum auf seiner Seite. Er witzelte auch: «Ich könnte hier gut schlafen, vielleicht würde die Sendung dadurch gewinnen.»
Acht Monate nach dem Tod von Hannelore Kohl kam dann im März 2002 auch Peter Kohl zu Biolek – Thema der Sendung: «Schicksal Sohn».
Kritik erntete die Sendung vom 9. April 2002 aus Weimar, in der der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder und der russische Präsident Wladimir Putin ohne kritische Fragen ihre Männerfreundschaft präsentierten. Putin verriet, in seiner Zeit als KGB-Agent in Dresden gern «Radeberger» getrunken zu haben. Schröder sagte, ebenfalls Bier zu mögen – aber nur wenig zu trinken mit Blick aufs Gewicht.
Die Homosexuellen sind über manche Signale sehr irritiert.
Zwei Monate danach begrüsste Biolek – politisch ausgewogen – auch den Schröder-Herausforderer des damaligen Wahljahres, Edmund Stoiber. Bei ihm ging er für seine Verhältnisse geradezu auf Konfrontation, monierte schwulenfeindliche Aussagen auf der CSU-Website. «Die Homosexuellen sind über manche Signale sehr irritiert», sagte Biolek. Er, Stoiber, sei ja auch gegen eingetragene Lebenspartnerschaften. Warum eigentlich? «Es geht um ein geistiges Klima.» Stoiber wurde kleinlaut: «Jeder muss in seiner Fasson glücklich werden.»
In der Abschiedssendung vom 10. Juni 2003 betrat am Ende Fritz Pleitgen, damals Intendant des Westdeutschen Rundfunks (WDR), das Studio und stellte dem Talkmaster ganz in dessen Stil mit Karteikärtchen in der Hand Fragen wie «War’s schwer heute Abend?».
Im Blitzlichtgewitter und mit den Gästen Barbara Becker und Verona Feldbusch im Arm liess sich der Talkmaster dann vom Studiopublikum feiern. Er strahlte über das ganze Gesicht. Hinter seiner runden, getönten Brille schimmerten die Augen jedoch ein wenig feucht.
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