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Wie queer ist … Madonna?

Bereits ihr Ballettlehrer führte sie in die schwule Community ein

Madonna
Madonna 1990 in Dortmund (Foto: Franz-Peter Tschauner/dpa)

Madonna irritierte, faszinierte und inspirierte mit vielen ihrer Songs und Musikvideos. Sie machte queere Perspektiven sichtbar. Sie tat dies bereits auf dem Höhepunkt der AIDS-Pandemie und zu einer Zeit, als Pinkwashing noch nicht zum guten Ton gehörte.

Von Michael Louis

#1 Der Ballettlehrer
Alles begann in ihrer Jugend in Detroit. Ihr Ballettlehrer Christopher Flynn, selbst schwul, führte sie in die lokale Gay Community ein. Er bewegte sie dazu, ihr Studium an der Uni Michigan trotz Spitzennoten abzubrechen und nach New York zu gehen, um Tänzerin zu werden. Viel später drückte Madonna dies so aus: «Der erste schwule Mann, den ich getroffen habe, hiess Christopher Flynn –  der erste Mann, der mir sagte, dass ich der Welt etwas zu bieten hatte. In meiner Jugend fühlte ich mich immer wie ein Freak, und ich dachte, dass etwas mit mir nicht stimmte, weil ich nirgendwo so richtig hineinpasste. Aber als er mich in diesem Club mitnahm, brachte er mich an einen Ort, an dem ich mich zu Hause fühlte.»

#2 Songtexte
1990 erschien die Single «Vogue». Das Voguing entstammt den Ballsälen von Harlem. Besonders in der damals marginalisierten homosexuellen Szene war dieser körperlich sehr ausdrucksstarke Tanz beliebt. In «Vogue» zählt Madonna Personen auf, die auch in der queeren Szene als Vorbilder gelten: Greta Garbo, Marlon Brando, Bette Davis. In dem 2005 erschiedenen Song «Like it or not» kommt die Zeile vor: «This is who I am / You can like it or not / You can love me or leave me / Cuz I’m never gonna stop» [So bin ich / Du kannst das mögen oder nicht / Du kannst mich lieben oder mich verlassen / Weil ich nie damit aufhören werde]. Wenn sie auch nicht explizit queere Geschichten erzählt, bietet Madonna in ihren Songt aber unterschiedlichen Gruppen die Möglichkeit, ihre Texte aus ihren eigenen Situationen heraus zu singen.


#3 Performances
So sehr ihre Stimme und ihr Rhythmus radiotauglich sind, so stark bewegen sich die Videos und Bühnenshows im Bereich der Provokation – zumindest für den Mainstreamgeschmack. Im Video von «Justify my love» sind Personen zu sehen, die mit den Klischees der Geschlechterrollen der Mehrheitsgesellschaft spielen. MTV nahm daraufhin das Video aus dem Programm. Insbesondere das Video zu dem Song «Vogue» von David Fincher wurde zu einem Kultvideo in der queeren Szene. Zu sehen sind exaltiert tanzende Männer, die auch aus einem Schwulenmagazin stammen könnten. Die Feministin Camille Paglia würdigt, Madonna habe in ihren Videos androgyne, schwule, lesbische und trans Menschen, sowie Drag Queens sichtbar gemacht und SM-Sex in einer selbstbestimmten Form dargestellt.

#4 «Truth or Dare»
Ihr Dokumentarfilm «Truth or Dare» aus dem Jahr 1990, auch bekannt unter dem Titel: «In Bed with Madonna», zeigte den Backstage-Bereich ihrer «Blond Ambition World Tour». Zu sehen ist ein ungezwungener Umgang mit Homosexualität, der viele queere Menschen zu ihrem Coming Out ermutigte. Die Doku enthielt auch eine Szene mit zwei Tänzern, die sich küssten. Einer der beiden Tänzer, Gabriel, war überhaupt nicht damit einverstanden, dass die Kussszene gezeigt werden sollte. Dies enthüllte der Film «Express yourself – Die Tänzer der Queen of Pop» (Originaltitel: Strike a Pose) von Ester Gould und Reijer Zwaan von 2016. Der andere Tänzer der Kussszene, Salim, sagte später: «Es war 1990. Damals war es nicht cool, wenn Männer sich küssten. Heute ist das anders.» Madonnas Reaktion: «Ich habe ein Statement gesetzt!».

#5 «Erotica»
Das Album «Erotica» (1992) sollte einen Skandal auslösen. Dies galt noch mehr für das parallel erschienene Fotobuch «SEX» von Madonna mit sehr freizügigen Bildern von ihr. Es zeigte all das, was im Mainstream-Amerika verpönt war: Homosexualität, SM und Drogenkonsum. Madonna habe die Wut, die in den Songs des Albums spürbar war, von der queeren Community übernommen und für diese stellvertretend ausgedrückt, sagte Journalist Barry Walters. Sie habe die «Anderen» gezeigt: Queere, Schwarze, Third-Wave-Feminist*innen, Exhibitionist*innen und Kinkster*innen. Der Autor Sal Cinquemani erklärte: «Dies war nicht Madonnas kreativer Höhepunkt, aber eine ihrer gesellschaftlich wichtigsten Handlungen. Niemand anderes im Mainstream traute sich, so offen und angstfrei über Sex, Liebe und den Tod zu reden.»


#6 Verlust queerer Freunde
Madonna verlor mehrere Freunde, die an AIDS starben. Im Song «In this life» vom «Erotica»-Album singt sie in der ersten Strophe von einem 23-jährigen Freund, der gestorben ist. Gemeint war damit ihr Mitbewohner Martin Burgoyne, der 1986 starb. Der Künstler Keith Haring gehörte ebenfalls zum Freundeskreis von Madonna. Er wurde durch seine aus strichartigen und gezackten Männchen bestehenden Bilder bekannt. Auch er starb 1990 an AIDS. Und nicht zuletzt erlag ihr Ballettlehrer Christopher der Krankheit. An ihn erinnert Madonna in der zweiten Strophe von «In this Life».

#7  Der Kuss
Bei den MTV Music Video Awards 2003 küsste sie Britney Spears und Christina Aguilera. Gemeinsam sangen sie ein Medley aus «Like a Virgin» und «Hollywood». In der TV-Übertragung wurde jedoch nur der Kuss von Madonna und Britney gezeigt. Auch die Medienaufregung bezog sich dann vor allem auf diese beiden. Denn während sich Madonna Christina zuwandte, zeigte die Kamera das Gesicht von Justin Timberlake. Die Regie wollte seine Reaktion einfangen, da dessen Beziehung zu Britney kurz zuvor zu Ende gegangen war. Pünktlich zur Hochzeit in diesem Jahr von Britney mit ihrem jetzigen Mann wiederholten Madonna und Britney den Kuss 19 Jahre später noch einmal (MANNSCHAFT berichtete)

 

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#8 Ellens Coming-out
2012 erklärte Ellen DeGeneres, dass sie es auch Madonnas Unterstützung zu verdanken gehabt habe, dass sie 1997 ihr Coming Out hatte. Die Moderatorin spielte zu der Zeit die Hauptrolle in der Serie «Ellen». Sie wollte sich zuerst in der Serie und dann im realen Leben outen. Im Vorfeld zu diesem Schritt wurden die Gerüchte jedoch immer lauter, dass eine solche Erklärung bevorstehen sollte. Madonna rief daraufhin Ellen an und sagte ihr: «Ich stehe hinter dir, ich bin bei dir, ich unterstütze dich.» Diese verriet später: «Das hat mir sehr viel bedeutet.»

#9 Auftritte als Aktivistin
Madonna tritt jenseits musikalischer Auftritte gelegentlich öffentlich für die Rechte queerer Menschen ein. Sie äusserte sich 2009 in Rumänien gegen die Diskriminierungen queerer Menschen in dem Land. Ein Jahr später kritisierte sie öffentlich, dass ein männliches Paar in Malawi ins Gefängnis kam. 2011 setzte sie sich für die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe in New York ein. Bei einer Preisverleihung trat sie 2013 im Kostüm der amerikanischen Pfadfinder «Boy Scouts of America» auf. Sie wollte dafür werben, dass auch queere junge Menschen bei ihnen aufgenommen werden sollten. Und kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie performte sie im Jahr 2019 vor einem grossen Publikum auf der New York City’s World Pride.

Ich hätte ohne die queere Community keine Karriere machen können.

#10 Anerkennung durch die Community
2012 erklärte die Zeitschrift The Advocate Madonna zur grössten Gay Icon und 2019 wurde ihr der «GLAAD Media Advocate for Change Award» verliehen. Erste Anerkennung gab jedoch es bereits schon viel früher, wenn auch zum Teil ambivalent. Der US-Queer-Aktivist Michael Musto sagte bereits 1995, dass sich einerseits mancher in der queeren Community darüber ärgern würde, dass Madonna immer wieder schwule Attribute und auch Klischees für ihre Shows benutzte und sich diese so aneignete. Andererseits fand Musto es gut, dass queere Menschen so erst stärker sichtbar gemacht wurden. «Es gab uns das Gefühl, dass wir ihr zujubelten, während wir mit auf der Bühne standen – nicht von den billigen Plätzen aus.» Madonna selbst brachte diese gegenseitige Beziehung zwischen der Community und ihr in der Show von Ellen bereits 2010 auf den Punkt: «Die queere Community hat mich sehr unterstützt. Ich hätte ohne die queere Community keine Karriere machen können.»


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