Weihnachten ist unser Fest. Oder?
Als Mitglieder der LGBTIQ-Community verlassen wir an den Feiertagen das System unter Ordnung von heterosexuellen Paarschaften und Erbfolgen
Wenn wir Weihnachten schwul, lesbisch oder trans feiern, verlassen wir das System unter der Ordnung von heterosexuellen Paarschaften und Erbfolgen – und widmen uns jenen zu, die auf ihre Art ebenso einen Weg zu sich selbst gehen mussten und dies auch wollten. Insofern ist es das Fest der Wahlfamilie, schreibt Jan Feddersen, Vorstand des Queeren Kulturhauses Berlin, in seinem Samstagskommentar*.
Vor einiger Zeit, kurz vor Weihnachten, hörte ich auf meiner Mailbox die Nachricht eines nahen Freundes. Ruf mich mal zurück!, teilte er mir mit, sein Handy sei leider in die Badewanne gefallen, also kaputt, jedenfalls fahre er nun nach Hause. Ich tippte viele Tage mir die Fingerkuppen wund – aber er war zuhause einfach nicht erreichbar. Und das war auch nicht möglich, denn er war einfach nicht in der Stadt – sondern bei seinen Eltern. Er nannte mir also sein Reiseziel: seine Eltern. Und das war für ihn: zuhause. Ich fand das erst irritierend. Dann rätselhaft. Ehe ich fand: Ist mein Freund eine aussergewöhnlich unselbstständige Person, einer, der trotz mittleren Alters immer noch als Mittelpunkt seines Leben sein Elternhaus versteht?
Mit MANNSCHAFT wird der Dezember festlich
Ich bin mit 19 aus meinem Elternhaus gezogen und habe dieses nie mehr als mein Zuhause bezeichnet. Das konnte und kann immer nur da sein, wo ich wohne und es mir als erwachsene Person selbst heimisch gemacht habe. Auch zu Weihnachten. Als mein Vater noch lebte, sagte ich: Um Weihnachten herum besuche ich meinen Vater. Aber zum Fest selbst wollte ich nicht dorthin zurück, wo ich mich eben nicht zuhause fühlte – als schwuler Mann. Es war ja nicht so, dass ich meine Eltern gar nicht mehr sehen wollte – nur legte ich auf Distanz Wert, schon gar zu Weihnachten.
Ein Zuhause musste ich selbst schaffen, das verstand ich immer als nicht immer leichte, aber schöne Mühsal Weise, erwachsen zu werden. Eben nicht mehr nur Kind sein – und versorgt werden, als sei es wie immer. Genau das wollte ich mit meiner Volljährigkeit nie wieder. Man kann das als typisch schwules Autonomiestreben verstehen, als Fernbezieherei, die nicht mehr allzu nah werden soll, jedenfalls nicht im Hinblick auf die Familie der eigenen Herkunft.
Mir ist es immer unverständlich geblieben, warum gerade in Familien mit mehreren Kindern sich ausgerechnet die später schwulen oder lesbischen Teile um die Eltern, wenn diese alt sind, pflegend kümmern: Warum die aufopferungsvolle Sorge um jene, die es einem als Kind doch meist besonders schwer gemacht haben. Eine Liebesbeziehung kühlte ziemlich ab, als mir klar wurde, dass Weihnachten nichts meinen Freund daran hindern würde, sich zum Heiligen Abend auf den Weg zu seinen Eltern zu machen – nicht um diese zu hüten, sondern um selbst behütet zu werden.
Klar, oder: Das konnte keine Zukunft haben – von anderen Umständen mal abgesehen. Aber ist Weihnachten für unsereins ein Nichtfest? Ich möchte hier gar nicht von Religiösem sprechen – Weihnachten ist nur noch für eine Minderheit in unserer Weltgegend christlich aufgeheizt. Es ist schenken, beschenktwerden, miteinander sein, sich einander vergewissern, also pures Gutsein. Streit kann im Spiel sein, aber er dient vielleicht der Nähefindung – nicht der Entzweiung.
Weihnachten sei also familiär verstanden, es mit christlicher Brille zu lesen, ist möglich, aber nicht nötig. Es ist das Fest der Nähe, der Innigkeit, vielleicht auch mit jenen, in deren Kreis man selbst gross wurde, Mutter, Vater, Geschwister und sonstige Angehörige. Aber zunächst zählt das Eigene.
Das Weihnachtsgeschenk
Unsere Ausstellung Queer(ing) Xmas – Positionen der Zuneigung, die bis Anfang Januar im Berliner Sonntags-Club zu sehen ist und deren Weihnachtsfeier am Sonntag dortselbst mit Musik und Julklapp gefeiert wird, ist ein Zeugnis unseres neuen Selbstbewusstseins: Wir positionieren uns unter unseresgleichen – und unterwerfen uns nicht mehr dem, was sozialwissenschaftlich «Heteronormativität» genannt wird. Wir verlassen das System unter Ordnung von heterosexuellen Paarschaften und Erbfolgen – und widmen uns jenen zu, die auf ihre Art ebenso einen Weg zu sich selbst gehen mussten und dies auch wollten. Insofern ist Weihnachten, so sehe ich es, das Fest der wahlverwandtschaftlichen Familie.
Mein Mann und ich reisen derweil zum Fest nach Israel. Wir werden Pilger*innen treffen, die nach Bethlehem gehen möchten, um dort der christlichen Geschichte von Maria und Josef nachzuspüren. Sollen sie doch, ist doch okay. Wir haben derweil in Tel Aviv einen Heiligen Abend mit uns zweien – ein Werktag dort, nichts sonst. Wir beiden feiern dann auch – innig, wie immer: am Strand.
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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