EuGH-Urteil falsch übersetzt: Kein Asyl für queere Geflüchtete!
Der Fehler konnte inzwischen bereinigt werden
Die deutsche Übersetzung des betreffenden EuGH-Urteils zum sogenannten «Diskretionsgebot» wurde nach Hinweis von LSVD und QueerBase korrigiert.
In Deutschland und Österreich werden nach wie vor relativ häufig Asylanträge von LSBTI-Geflüchteten abgelehnt und Klagen abgewiesen, indem die Asylsuchenden auf die vermeintliche Möglichkeit eines «diskreten» Lebens im Herkunftsland verwiesen werden. Vor diesem Hintergrund sind der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) und Queer Base auf einen Übersetzungsfehler des Urteils des Europäischen Gerichtshofs zum sogenannten «Diskretionsgebot» (EuGH, Urteil v. 7.11.2013, Rs. C‑199/12 bis C‑201/12) gestossen, der nach dem Hinweis der Organisationen nun korrigiert wurde.
Geflüchtete LGBTIQ würden nun hoffentlich auch in Deutschland und Österreich eher zu ihrem Recht auf Schutz kommen, erklärt Patrick Dörr, Mitglied im Bundesvorstand des LSVD. «Das Schlupfloch durch den Übersetzungsfehler im grundlegenden Gerichtsurteil zum ‚Diskretionsgebot‘ ist gestopft.» Der LSVD erwartet nun, dass sich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und Gerichte endlich an die geltende Rechtsprechung hielten. Das BAMF steht immer wieder in der Kritik, wenn es um den Umgang mit queeren Geflüchteten geht (MANNSCHAFT berichtete).
Die korrekte Übersetzung stelle nun klar, dass bei queeren Geflüchteten grundsätzlich kein diskretes Verhalten bezüglich ihrer sexuellen Orientierung vorausgesetzt werden könne und dürfe. «Ein offenes Leben ist der Massstab, an dem es einzuschätzen gilt, welche Verfolgungsgefahr geflüchteten LSBTI-Personen in ihrem Herkunftsland drohen würde. Für die Beurteilung einer Verfolgungswahrscheinlichkeit ist es somit auch unerheblich, ob die geflüchtete Person bei der Rückkehr in das Herkunftsland selbst offen und geoutet oder ‚diskret‘ leben wird. Wir fordern das BAMF nun auf, in seinen internen Vorgaben klarzumachen, dass solche Verhaltensprognosen bei queeren Geflüchteten nicht mehr angestellt werden dürfen.» Dies hätte erhebliche positive Auswirkungen auf zukünftige Asylverfahren geflüchteter LGBTIQ, so Dörr.
«Wenn BAMF Entscheider*innen oder Richter*innen in ihren Entscheidungen weiterhin die Verfolgungswahrscheinlichkeit beurteilen und hierbei davon ausgehen, dass Asylbewerber*innen ihre Homo- bzw. Bisexualität im Herkunftsland geheim halten oder Zurückhaltung beim Ausleben ihrer Sexualität üben, so widerspricht dies klar der Rechtsprechung. Solche Entscheidungen sind rechtswidrig. Gegen sie sollte mit Rechtsmitteln vorgegangen werden.»
Im Jahr 2013 hatte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in einem richtungsweisenden Urteil die Anwendung des sogenannten «Diskretionsgebots» auf homosexuelle Antragsteller*innen für unzulässig befunden, also festgelegt, dass bei der Prüfung von Asylanträgen die zuständigen Behörden nicht erwarten können, dass Asylbewerber*innen ihre Homosexualität in ihrem Herkunftsland geheim halten oder Zurückhaltung beim Ausleben üben. Die Asylbehörden und Gerichte in Deutschland und Österreich entschieden trotzdem immer wieder, dass schwule, lesbische und bisexuelle Asylbewerber*innen sogar in die schlimmsten Verfolgerstaaten wie Iran und Pakistan zurückkehren sollten, und stellten hierzu oft eine Prognose über das zukünftig „diskrete“ Verhalten der Antragsteller*innen an.
Der LSVD und die österreichische Beratungsstelle Queer Base haben im Mai 2021 den EuGH nach eigenen Angaben auf zwei hierfür mitverantwortliche Übersetzungsfehler in dem EuGH-Urteil hingewiesen. Der EuGH habe daraufhin die Fehler bei der Übersetzung des niederländischen Originals ins Deutsche korrigiert. In der nunmehr korrekten Übersetzung sei eindeutig ersichtlich, dass es nicht nur um die Frage der Zumutbarkeit von Geheimhaltung der sexuellen Orientierung gehe. Auch eine Beurteilung der Verfolgungswahrscheinlichkeit anhand einer Prognose über ein zukünftig womöglich «diskretes» Verhalten sei bereits unzulässig.
Die bisherige deutsche Übersetzung des EuGH-Urteils lautet: «Bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft können die zuständigen Behörden von dem Asylbewerber nicht erwarten, dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden.»
Neue deutsche Übersetzung nach Korrektur (kursiv): «Bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft können die zuständigen Behörden vernünftigerweise nicht erwarten, dass der Asylbewerber seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden.»
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