«Wegen Homophobie beim Surfen entdecken es viele Queers so spät»
Gibt es die perfekte (bunte) Welle?
Locker und lässig – so das Image. Doch Surfen ist ein Machosport, in dem oft eine traditionelle Männlichkeit zelebriert wird. Immer mehr queere Surfer*innen törnt das ab, darum schliessen sie sich zusammen: online und auf dem Board. Dafür bekommen sie Applaus auch von überraschender Seite.
Wenn der Kanadier Rich Overgaard vom Surfen erzählt, überträgt sich seine Begeisterung sogar durchs Telefon: «Das Tolle ist die Herausforderung. Der erste Schritt ist, es bis hinter die Brandung zu schaffen.» Dort donnern die Wellen heran, gnadenlos, fast prügelnd und stets am Surfboard zerrend. Selbst für den gestandenen 41-jährigen Mann kann das noch schwierig sein, und das war es umso mehr für den jungen Rich, bei seinen allerersten Surferfahrungen. Irgendwann aber gelingt es, die Brecher liegen hinter einem.
«Und dann setzt du dich aufs Board, und lässt dich einfach einen Moment lang treiben. Du drehst dich um und blickst, je nachdem wo du gelandet bist, mal auf einen von Dschungel bewachsenen Strand und mal auf eine steile Felsküste. Vielleicht geht gerade die Sonne unter. Dann wird es oft ganz still, auch wenn man nicht der einzige Surfer vor Ort ist. Alle sitzen dann ehrfürchtig auf ihrem Board und schweigen.» Auf eine tiefe Art befriedigend sei das, gerade deshalb, weil diese Belohnung eben nicht anstrengungslos zu haben ist.
Die Surfwelt, sie könnte so schön sein, so idyllisch. Hin und wieder aber bekommt das scheinbar perfekte Bild einen kleinen Riss, durch den ein Stück trübe Realität einsickern kann. Denn als schwuler Surfer kann Rich die Welt da draussen eben doch nicht immer ganz vergessen. Hin und wieder taucht sie mit all ihren Problemen und Vorurteilen auf, zum Beispiel mit Machismo und Homophobie – auch unter Surfer*innen.
Aggressiver «Bro-Talk» Dem gerne gepflegten Image von Offenheit und maximaler Gelassenheit zum Trotz herrscht unter Surfern vielerorts eine ziemliche Machokultur vor, besonders, wenn Männer unter sich sind. Dann geht es schnell um «Respekt», im Wasser und an Land. Respekt? Klingt gut. Aber Homosexualität passt nicht dazu. «Diese Formen von teils aggressivem Bro-Talk sind so sehr Teil der Surfkultur, dass viele Surfer die Vielfalt, die um sie herum ist, geradezu übersehen», sagt Rich.
«Wenn Leute reden, bemerken sie oft nicht einmal, dass sie damit andere verletzen könnten. Sie machen das also nicht unbedingt mit Absicht. Aber Worte, Sätze, Einstellungen – manchmal rutschen diese Dinge einfach raus.» Sitzt er abends, nach dem Surfen, mit anderen beim Bier zusammen, kann das bei Rich für Unsicherheit sorgen. «Ich schätze dann ab: Hat der andere wirklich kein Problem damit, wenn ich jetzt von meinem Ehemann erzähle?»
Rich ist nicht der Einzige, den dieser Aspekt der Surfens nervt. Auch Marta dalla Chiesa aus Florianópolis in Brasilien hat diese Erfahrungen gemacht, wie sie der MANNSCHAFT berichtet: «Im Grossen und Ganzen ist die Surfkultur geprägt von Machismo und Chauvinismus, zum Nachteil von Schwulen und Frauen. Wie sehr genau, das hängt vielleicht ein bisschen von der jeweiligen Community vor Ort ab.»
Auch Glen Walsh, der in Venice Beach, einem Vorort von Los Angeles, in einem Häuschen fast direkt am Strand wohnt, konstatiert dasselbe Machismo-Problem, selbst in seiner Heimat Kalifornien. «Die Surf-Community ist macho, weil sie die Gesellschaft widerspiegelt, aus der sie kommt.» Mit anderen Worten: Homo- und Transphobie sind unter Surfer*innen ungefähr im selben Umfang verbreitet wie in der Gesellschaft insgesamt.
Das hat Konsequenzen, die über verletzende Sprüche und zerstörte Momente an Traumstränden hinausgehen. Robby, ein Freund von Glen, beobachtet, dass das Fehlen queerer Vorbilder viele am Surfen Interessierte davon abhalte, ihren Wunsch jemals in die Realität umzusetzen. «Es ist wie bei anderen hier in Amerika als cool geltenden Sportarten, American Football zum Beispiel: Viele Schwule trauen sich gar nicht erst, damit sich als Surfer zu versuchen.» Und wenn doch, sind sie meist viel älter als der Durchschnitt der Surfanfänger*innen. «Ich denke, diese homophobe Atmosphäre ist einer der Gründe, warum viele Queers erst so spät das Surfen für sich entdecken, oft mit über 30, manchmal sogar erst mit über 60», sagt Marta aus Brasilien, wo seit zwei Jahren ein offen homofeindlicher Präsident herrscht (MANNSCHAFT berichtete).
«Oft geht es bei Jüngeren um das Thema Selbstbewusstsein. Viele erzählen mir, dass sie sich vorher einfach nicht getraut haben zu surfen. Vielleicht wollten sie es versuchen, aber sie hatten dann Angst vor dem Surflehrer, oder davor, blossgestellt zu werden. Sie hatten Sorge, nicht sie selbst sein zu können.»
Mit traditioneller Männlichkeit verbunden Auf diese Art und Weise entsteht ein sich selbst erhaltener Kreislauf. Gerade weil die Kommunikationsformen so abschreckend wirken können, bleiben vor allem jene dabei, die sich von diskriminierenden «Bro-Talk»-Äusserungen nicht betroffen fühlen. Verstärkt wird das noch durch einen Mechanismus, der auch aus vielen anderen Sportarten bekannt ist, und der unter anderem in dem im Jahr 2014 erschienen Film «Out in the Line-Up» analysiert wurde, der die Situation queerer Surfer*innen in aller Welt beleuchtet. Als traditionell mit Männlichkeit verbundener Sport suchen Sponsoren, die ihre Produkte bewerben und gut vermarkten möchten, nach Persönlichkeiten, die diesem Bild entsprechen. Für Männer bedeutet dies: Athletisch und heterosexuell sollen sie ein klassisches Männlichkeitsbild bedienen. Frauen hingegen sollen vor allem für Heteromänner attraktiv sein. Wer diesen Klischees nicht entspricht, bekommt seltener lukrative Werbeverträge angeboten und ist zugleich weniger präsent. Im Ergebnis ist der auf den ersten Blick so offene und entspannte Surfsport deutlich weniger divers, als viele zunächst vermuten würden.
Mit diesem Befund wollen sich allerdings immer weniger queere Surfer*innen zufriedengeben. In den letzten Jahren haben sie mehrere Gruppen gegründet – ein nicht ganz leichtes Unterfangen, ist Surfen doch letztlich ein Individualsport, der an sich ohne Gruppenbildung und aufwändige Verabredungen funktioniert. Gleichzeitig aber besteht unter vielen queeren Surfer*innen durchaus der Wunsch, sich zusammenzuschliessen. «Es ist wichtig, andere schwule Surfer kennenzulernen, mit denen man diese spezifischen Erfahrungen teilt», sagt Robby aus Los Angeles.
Einen ersten grossen Versuch wagte vor zehn Jahren das Netzwerk Gaysurfers.net, in dem sich erstmals queere Surfer*innen aus der ganzen Welt zusammenfanden und aus dem auch der Film «Out in the Line-Up» hervorging. Flexibler aber als eine vergleichsweise feste Gruppe und dadurch leichter zugänglich und heutzutage beliebter sind soziale Medien wie Instagram. Dort gibt es seit Anfang dieses Jahres das Profil Gay Surfers. Eingerichtet hat es Rich, der damals gerade aus dem Urlaub in Mexiko kam und dann, kaum zurück im kalten Kanada, mit einer Erkältung im Bett lag. Gelangweilt wischte er durch seine Urlaubsfotos und stolperte dabei auch über ein älteres Album mit Schnappschüssen von einem Surfurlaub in Nicaragua. «Plötzlich dachte ich: Meine Güte, wieso findet man eigentlich so gut wie keine schwule Surfer auf Instagram?»
Kurzerhand füllte Rich selbst die Lücke – mit Erfolg. Schon kurz nach seinen ersten Posts meldeten sich andere queere Surfer*innen und fragten, ob er nicht auch ihre Fotos teilen wolle. Heute hat Gay Surfers knapp 1000 Follower*innen. «Mittlerweile habe ich auch Geschichten von Leuten gehört, die sich über den Feed kennengelernt haben und entweder schon gemeinsam surfen gegangen sind oder dies fest vorhaben», freut sich Rich. Genau das sei sein Ziel: Der Vereinzelung entgegenzuwirken und Verbindungen zwischen queeren Surfer*innen herzustellen.
Vernetzung durch soziale Medien Einer, der davon profitiert, ist Marc Lehmann, ein Berliner Surfer. Auch er hat sich über Richs Instagram-Gruppe mit anderen queeren Surfer*innen vernetzt und hofft, die digitalen Kontakte bald in Treffen in der realen Welt zu übersetzen. «Ich würde gerne einmal diese Erfahrung machen und dann schauen, ob das was für mich sein könnte», sagt er im Gespräch mit der MANNSCHAFT.
Gleichzeitig entstehen weltweit einige Initiativen, die konkret im realen Leben für Vernetzung von LGBTIQ-Surfbegeisterten sorgen. So ist Glen einer von weltweit nur sehr wenigen Surflehrer*innen als solcher offensiv präsent, um gezielt Queers anzusprechen. Zu Glens Schüler*innen zählt Eddie, der via Instagram zum ersten Mal von dieser Möglichkeit hörte. Wie so viele andere war Eddie vom Surfen sowohl fasziniert als auch eingeschüchtert. «Mich hat diese Macho-Dude-Atmosphäre immer abgeschreckt», erinnert er sich. Surfstunden bei einem schwulen Surflehrer erschienen ihm daher als eine gute Möglichkeit, seinen Traum vom Surfen endlich zu realisieren.
Neben Kursen bei queeren Lehrer*innen bieten spezielle Events wie Surfwochen oder Surfcamps die Gelegenheit zu Begegnungen und Austausch. Vorreiterin ist Marta aus Brasilien, die bereits seit sieben Jahren immer im März Gay Surf Brazil organisiert. Den Anstoss lieferte – auch bei ihr – eine Vorführung von «Out in the Line-Up.» Anfänger*innen wie Fortgeschrittene treffen sich bei Gay Surf Brazil in der Nähe der als liberal geltenden Küstenstadt Florianópolis, um gemeinsam mit einem Lehrer an ihrer Surftechnik zu arbeiten. Dazu filmen sie sich auch in den Wellen, analysieren anschliessend gemeinsam die Videos und überlegen, wie sie ihre Surf-Technik noch verbessern könnten. «Alle können immer noch etwas lernen» ist Marta überzeugt. Zu den Teilnehmer*innen zählen neben vielen schwulen Männern einige lesbische Frauen. Auch heterosexuelle Allys sind hin und wieder dabei.
Mit der Community zu mehr Selbstbewusstsein Ein paar Flugstunden näher an Mitteleuropa organisiert die Polin Magdalena Wysocka neuerdings die Gay Surf Week Europe. Die Idee kam der passionierten Surferin, die gemeinsam mit ihrem Freund auf der Kanareninsel Fuerteventura eine Surfschule betreibt, als schwule Freunde ihr von den fehlenden Vernetzungsmöglichkeiten berichteten. Tagsüber steht das Surfen auf dem Programm. Acht Teilnehmer*innen teilen sich dabei eine*n Surflehrer*in. Je nach Wind, Wetter und Gezeiten geht es an sandigere oder felsigere Surf-Spots. Abends bleibt Zeit für Entspannung, gemeinsame Abendessen in Restaurant oder ein paar Drinks an der Bar. Dass der Fokus auf dem Surfen liegt, dafür garantiert schon Fuerteventura selbst, ist die Insel doch deutlich mehr für ihre Strände, den Wind und die Wellen bekannt, als für ihr Nachtleben – ganz im Gegensatz zum Partyhotspot Gran Canaria ein paar Dutzend Kilometer weiter westlich im Atlantik. Teilnehmer*innen lernen bei all diesen Kursen mehr als nur, wie sie die nächste Welle noch besser erwischen können.
Gerade Anfänger*innen machen zwar schnell auch grosse technische Fortschritte, sagt Marta, die Organisatorin von Gay Surf Brazil. Doch mit der verbesserten Technik und vor allem dank der Erfahrung, keinesfalls alleine als queere Surfer*in zu sein, wachse schnell auch das Selbstbewusstsein. Einige Surfer*innen sind von dieser Erfahrung so begeistert, dass sie versuchen, jedes Jahr wieder dabei zu sein.
Auch Glen freut sich über Zuspruch – besonders von einer Gruppe, die er zunächst gar nicht auf dem Schirm hatte: heterosexuelle Frauen. Die, so hat er bemerkt, haben offenbar oft ebenfalls keine Lust auf «Bro»-Sprüche und Anmachversuche von ihren Surflehrern. Am meisten beeindruckt hat ihn aber die Geschichte einer anderen Surf-Schülerin. Die damals 18-jährige trans Frau lebte in Kansas, vier Flugstunden von der Pazifikküste entfernt. Nach einem Suizidversuch ins Krankenhaus eingeliefert, beschloss sie gemeinsam mit ihrem Vater, sobald wie möglich endlich ihren grossen Traum umzusetzen und das Surfen zu lernen. Als sie sich in Venice Beach dann das erste Mal durch die brechenden Wellen kämpfte und es schliesslich schaffte, auf dem Board die Wellen zu reiten, konnte sie ihr Glück kaum fassen und strahlte über das ganze Gesicht. Ein Anblick, der Glen, damals vor Rührung den Tränen nahe, bis heute nicht aus dem Kopf geht. Surfen, es kann in der Tat so paradiesisch sein. Jedenfalls, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.
Queere Surfschule
Am Strand von Venice Beach in Los Angeles bietet Glen Walsh als schwuler Surflehrer Einzel- und Gruppenkurse an. Interessierte müssen sich allerdings noch etwas gedulden: Momentan ist die touristische Einreise in die Vereinigten Staaten wegen der Corona-Pandemie verboten.
Surfer Gays auf Instagram
Einen einfachen Weg zur Vernetzung bietet dieses Insta-Profil. Eingerichtet hat es der Kanadier Rich Overgaard Anfang des Jahres.
Kurse und Camps
Die Auswahl ist überschaubar: Der Klassiker ist Gay Surf Brazil. Wenn die Corona-Pandemie dem Team keinen Strich durch die Rechnung macht, geht die nächste Auflage vom 9. bis 18. April 2021 über die Bühne. Wer nicht ganz so weit reisen möchte, kann auch die im Herbst geplante Gay Surf Week Europe auf Fuerteventura buchen. Auch hier gilt: Wegen der Corona-Pandemie sollte man unbedingt die Daten checken.
Unterstütze LGBTIQ-Journalismus
Unsere Inhalte sind für dich gemacht, aber wir sind auf deinen Support angewiesen. Mit einem Abo erhältst du Zugang zu allen Artikeln – und hilfst uns dabei, weiterhin unabhängige Berichterstattung zu liefern. Werde jetzt Teil der MANNSCHAFT!
Das könnte dich auch interessieren
Liebe
Prinzen verloben sich: «Wir alle verdienen ein Ende wie im Märchen»
Musik, Tanz und ein Kuss: In einer märchenhaften Disney-Kulisse verlobte sich ein schwules Paar in Spanien vor einer jubelnden Menge.
Von Newsdesk Staff
Schwul
Schweiz
«Genau definieren, was eine Frau ausmacht»
Sauna-Einrichtungen wissen nicht, wie sie mit trans Gästen umgehen sollen
Von Newsdesk Staff
News
TIN
Deutschland
«Ein fatales Signal»: Was queeren Organisationen jetzt droht
Die geplante Haushaltskürzungen in Deutschland treffen die queere Szene hart. Viele stehen im neuen Jahr vor grossen Herausforderungen. In Köln gibt es allerdings noch etwas Hoffnung.
Von Carolin Paul
Jugend
News
Politik
Coming-out
Dänischer Profi-Handballer: «Ich bin schwul»
Villads Raahauge Jensen will ein Vorbild sein
Von Newsdesk Staff
Sport
Schwul