Trotz «maximaler Überschwänglichkeit»– Es bleibt sexuelle Gewalt!
Wollte Rubiales dem – vermutlich aus seiner Sicht minderwertigen – Frauenfussball den richtigen Rang zuweisen?
Spaniens Fussball-Verbandschef Luis Rubiales hat bei der Siegerehrung der spanischen Fussball-Weltmeisterinnen in Australien die Spielerin Jennifer Hermoso ungefragt auf den Mund geküsst. Er geriet stark unter Druck, viele fordern in Spanien einen Rücktritt. Der 46-Jährige verweigerte diesen Schritt am Freitag jedoch überraschend. Dazu der Kommentar*
Dieser Fall, der sich vor einer Woche nach dem Finale der Fussball-WM der Frauen in Australien abspielte (MANNSCHAFT berichtete), geht uns als queere Menschen, so scheint es, kaum etwas an. Was war passiert? Nach dem Endspiel, das die spanische Frauschaft mit berauschendem Fussball über ihre englischen Rivalinnen gewannen, gratulierte auch der spanische Fussballverbandschef Luis Rubiales den Spielerinnen – und küsste bei der Siegerinnenehrung den Star des Teams, Torfrau Jennifer Hermoso zunächst auf die Wangen, so weit. so üblich.
Dann aber, in seiner Begeisterung, nahm er ihren Kopf in die Hände und gab ihr einen Schmatzer ungefragt und ohne Widerstandsmöglichkeit auf den Mund.
In allen Kulturen der Welt ist die Geste des Kusses auf den Mund übergriffig, mindestens, ja, in Spanien ist dies gar ein Delikt sexueller Gewalt. Die Spielerin selbst gab hinterher zu Protokoll, es sei ihr nicht recht gewesen, auf diese Weise Gratulationen zu empfangen. Vor dem Spielende, das nur nebenbei, war Senor Rubiales, so die spanische Tageszeitung El País, beobachtet worden, wie er im Angesicht des nahenden Erfolgs sich zweimal ins Gemächt griff, um es wie bei einer sexuellen Machtgeste zu schütteln: ein Machoding, keine Frage.
In Spanien allerdings wurde aus dieser Affäre ein hochnotpeinliches Ding – Gott sei Dank nicht für die Kritiker*innen des machogeilen Kusses wider eine wehrlose Spielerin, sondern für den Mann, der für die Affäre selbst verantwortlich ist. Der sagte aber zunächst nur: Er habe keine «andere Wahl», als sich zu entschuldigen und «daraus zu lernen».
Er finde die Aufregung indes «idiotisch», sein Kuss sei «ohne kranke Intention in einem Moment maximaler Überschwänglichkeit passiert». Und das mag aus seiner Sicht sogar richtig sein: Er als Mann habe nichts dabei gefunden, den vermutlich aus seiner Sicht im Vergleich mit Männerfussball minderwertigen Frauenfussball durch den machtbewussten Kuss den richtigen Rang zuzuweisen.
Rubiales denkt sich Frauen nur als Heiratsobjekte Aber mehr noch: Es ist noch kein Gratulationskuss eines Verbandschefs irgendwo auf der Welt überliefert – wenn das Objekt des Kusses ein Mann (gewesen) wäre. Das, was Rubiales in «Überschwänglichkeit» machte, war eine Demonstration der Annahme, dass sein Gegenüber, eben eine weltmeisterliche Spielerin, heterosexuell orientiert sein müsse, denn später sagte er noch, er lade das Team in den Ferien ein – und dort wolle er Jennifer Hermoso heiraten. Ich möchte anfügen: Das ist so unfassbar heteronormativ gemeint, denn noch kein Verbandsmann hat einem Spieler, der zu einer Siegesmannschaft gehört, die Heirat angeboten. Rubiales denkt sich also Frauen nur als Heiratsobjekte, verkennend, dass auch in Spaniens Team lesbische Spielerinnen zum Erfolg beitrugen.
Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez, dessen Regierungen in den vergangenen Jahren wesentlich bessere Schutzrechte von Frauen und Queers vor sexueller Gewalt durchsetzte, sagte: «Was wir gesehen haben, ist inakzeptabel. Und die Entschuldigungen von Herrn Rubiales reichen nicht aus, ich würde sie als unangemessen bezeichnen, deshalb muss er weitere Schritte unternehmen, um klarzustellen, was wir alle gesehen haben.»
Dass es, wie oben argumentiert, überhaupt im spanischen Fussball nun zu diesem telegen belegten Machismo eine Debatte gibt, ist ein Zeichen von Emanzipation. Wie konservativ in Deutschland noch die Verhältnisse sind, belegt eine Äusserung vom Bayern-München-Aufsichtsratsmitglied Karl-Heinz Rummenigge, einst selbst vielfacher Nationalspieler. Er äusserte jüngst: «Ich glaube, man soll da nicht übertreiben.» Er kenne Rubiales gut: «Wenn man Weltmeister wird, ist man emotional. Und was er da gemacht hat, ist – sorry, mit Verlaub – absolut okay.»
Man fragt sich: Entschuldigen Gefühle, also Emotionen alles? Sieht er nicht den Unterschied zwischen herzlicher Umarmung und einem Kuss auf den Mund?
Ich würde nur diesen Schluss ziehen: Das nächste Mal, sofern etwa Spanien Weltmeister auch der Männer wird, 2026 in den USA bei der nächsten WM, möchten wir erleben, dass er – oder ein anderer dann am dem Verbandsthron – auch den Kapitän der spanischen Mannschaft auf den Mund küsst: Das wäre dann Gleichbehandlung. So aber war es nur – ein Akt sexueller Gewalt.
*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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