Take That: «Auch wir sind gescheitert, haben Scheisse erlebt»
Gary Barlow, Mark Owen und Howard Donald im Interview mit MANNSCHAFT+
Gary Barlow, Mark Owen und Howard Donald hocken eng und einträchtig auf einem Sofa in London. Voller Enthusiasmus sprechen sie per Zoom über ihr neues Take-That-Album «This Life», das Älterwerden, psychische Gesundheit, Bienen und Boxer.
Es ist Montagmittag. Hattet ihr ein entspanntes Wochenende? Gary: Am Wochenende haben wir die Beine tatsächlich hochlegen können. Jetzt sind wir ausgeruht, putzmunter und in allerfeinster Verfassung, um es mit dir aufzunehmen. Howard: Ich hatte nicht frei, Jungs. Ich war als DJ unterwegs, in Derby. Mark: Echt? Howard: Ja, bis zum frühen Sonntagmorgen. Ich muss aber sagen, Platten aufzulegen ist für mich keine Arbeit, ich mache das, weil ich Spass daran habe. Weniger lustig war die Fahrerei, dreieinhalb Stunden im Auto hin und am nächsten Tag zurück. Aber ich hatte keine Wahl. Meine Frau meinte, ich müsse um 13 Uhr wieder zuhause sein, sonst wolle sie die Scheidung. (lacht)
Warst du pünktlich? Howard: Knapp zu spät. Daher darf ich verkünden: Ich bin jetzt Single. (lautes Gelächter von allen dreien)
Man muss schon sagen, das wirkt sehr harmonisch, wie ihr da zusammenhockt. Müsst ihr euch gerade tierisch zusammenreissen, oder mögt ihr euch wirklich so gern, wie es aussieht? Gary: Wir sind beste Freunde. Wir kennen uns seit mehr als dreissig Jahren, wir haben alles miteinander geteilt. Dennoch langweilen wir uns nie, wenn wir zusammen sind. Wir sind wie die drei Räder eines Dreirads, jeder von uns ist wichtig, damit es funktioniert. Wir sind eine richtige Mannschaft. Howard: Wenn wir uns sehen, haben wir uns immer noch viel zu erzählen. Ich finde auch, je älter wir werden, desto stärker wird das Band, das uns zusammenhält. Mark: Wir haben gelernt, wie wertvoll Take That für uns ist. Was wir erreicht haben und noch immer erreichen, wissen wir heute viel mehr wertzuschätzen. Unsere Band ist etwas Besonderes, Einmaliges.
Ihr habt «This Life» zum Grossteil in den USA aufgenommen. Euer Produzent Dave Cobb, der auch schon mit Lady Gaga gearbeitet hat, war mit euch nicht nur in Nashville im Studio, sondern auch in der Provinz, in Savannah/Georgia. Wie wares dort? Mark: Toll. Ich lebe ja mit meiner Familie seit Jahren in Los Angeles, aber die Zeit dort unten am Atlantik, die war richtig klasse. Wir sind zusammen Fliegenfischen gewesen, haben gemeinsam gekocht und uns viel unterhalten.
Die neuen Lieder wie die erste Single «Windows» klingen schön organisch und ungekünstelt. Nicht nach hysterischem Pop, sondern fast ein wenig altmodisch, so wie die Bee Gees. Wolltet ihr zurück zur Quelle? Gary: Wir könnten das jetzt im Nachhinein so verkaufen. So nach dem Motto, hey, wir waren in Amerika, wir haben mit Dave Cobb gearbeitet, wir klingen nach Folk und Country. Aber in Wirklichkeit gab es ihn nicht, den grossen Masterplan. Wir hatten 2019 die grosse «Odyssee»-Tournee gespielt, dann kam die grosse Vollbremsung und wir sahen uns zwei Jahre lang so gut wie nicht. Als wir wieder loslegten, stellten wir fest, wie sehr wir es lieben, uns täglich zu sehen und Songs zu erarbeiten. Irgendwie entwickelten unsere Stücke so einen Hauch von Nashville, und wir kontaktierten Dave, weil er einer der besten Produzenten für diese Art von natürlicher Popmusik ist.
Wie eine Hymne klingt das finale Lied auf dem Album, «Where We Are». Ihr zitiert euch sogar selbst und singt «We’ve Come so far». Wolltet ihr eurem Klassiker «Never Forget» eine besondere Ehre zuteilwerden lassen? Gary: Ja, doch vor allem steckt in dem Lied, dass wir uns selbst ein bisschen feiern. Das haben wir verdient. (lacht) Wir sprechen in «Where We Are» davon, wie aussergewöhnlich es ist, was wir seit über drei Jahrzehnten erleben. Und wie dankbar wir den Menschen sind, die unsere Lieder auch zu ihren Liedern gemacht haben.
Wir haben eine wunderbare Freundschaft.
Gerade erst habe ich irgendwo gelesen, dass ihr euch von nun an nie wieder auflösen würdest. Ist das wahr? Gary: Wir haben auf absehbare Zeit nicht vor, uns zu trennen. Warum sollten wir das auch tun? Nochmal dreissíg Jahre, und wir sind Anfang achtzig. Das ist doch kein Alter mehr. (lacht)
Seit 1990, eurem Gründungsjahr, habt ihr unvorstellbar viel zusammen erlebt. Es gab nicht nur Triumphe und Enttäuschungen rund um Take That, sondern auch persönliche Höhe- und Tiefpunkte für euch alle drei. Kann man sagen, dass ihr auf «This Life» euer bisheriges Dasein aufarbeitet? Mark: Ich denke, so ehrlich und so offen wie auf diesem Album waren wir noch nie. Jeder von uns hat seinen eigenen Erfahrungsschatz, ausserdem gibt es natürlich den gemeinsamen, und wir öffnen hier unsere Schatztruhe. Gary: Es geht um das Leben an sich, um all das Schöne und das Traurige, ums Hinfallen und Wiederaufstehen. Ich kann nicht genau sagen, wie von aussen auf unser Leben geschaut wird, aber: Selbst, wenn alles immer leicht und fantastisch aussieht, war es das nicht immer. Auch wir sind gescheitert, haben Scheisse erlebt. Mit einer gewissen Reife gucken wir uns dieses Leben an und schreiben darüber. Was den Versuch angeht, das Leben zu meistern, sind wir drei auch nur Menschen wie alle anderen. Jeder von uns hat seine Dämonen.
Ihr seid mittlerweile alle jenseits der Fünfzig. Ist das ein gutes Alter, um zu reflektieren und mehr Nostalgie zuzulassen? Howard: Es ist definitiv ein gutes Alter, um nicht mehr um den heissen Brei herumzureden. Owen: Das Leben besteht aus Veränderung und aus Bewegung. Es wäre ziemlich trist, wenn dem nicht so wäre. An manchen Tagen willst du das kleine Mauerblümchen sein, das sich als Knospe im Beet versteckt, an anderen Tagen möchtest du aufblühen und dass eine Biene ein paar deiner Pollen mitnimmt. Auf einmal ist das Feld voller Blumen, die aussehen wie du. Donald: Mark, willst du gerade verzweifelt eine Schlagzeile liefern? (lacht)
Wer ist denn der «patched-up champion», der geflickte Held, aus eurem Song «The Champion»? Mark: Wir selbst natürlich. Die Idee für den Song kam mir, nachdem ich noch einmal den ersten «Rocky»-Film angeschaut hatte. Im Kampf gegen Apollo Creed hat der Trainer in Rockys geschwollenes Augenlid geschnitten, damit dieser wieder was sehen konnte. Am Ende hat der arg lädierte Rocky triumphiert. Ich denke, diese Geschichte kann man auf uns übertragen. Auch wir haben manchen Treffer kassiert, aber wir sind nie liegen geblieben.
Um mentale Gesundheit geht es in einer Reihe von Songs. In den eher dunklen «Mind Full Of Madness» oder «Days I Hate Myself» – aber auch in «March Of The Hopeful» und «Keep Your Head Up». Gary: Zum Glück ist es heute kein Tabu mehr, über diese Themen in einem Pop-Song zu sprechen. Mark: Wenn es einen roten Faden auf der Platte gibt, dann die Erkenntnis, dass man sich nicht unterkriegen lassen sollte. Es geht immer weiter, man kann Dinge ändern, man darf nie aufhören, an sich zu arbeiten. Mein Sohn Elwood ist jetzt 17 und damit so alt wie ich, als ich in die Band kam. Er wird seinen eigenen Weg gehen, aber ich finde die Idee ganz schön, ihm ein paar meiner Erfahrungen und Weisheiten mitzugeben.
Welche sind das? Mark: Dass es sich immer lohnt zu kämpfen. Ich sage nur: Rocky! Howard: Und dass man auch nachsichtig zu sich selbst sein muss. Wir geben zwar immer unser Bestes, aber nicht immer ist das Ergebnis so toll, wie wir es wünschen. Menschen sind fehlbar. Gary: Jungs, ich sage euch, es kommt auf die innere Einstellung an. Es ist okay, morgens im Bett bleiben zu wollen, und hin und wieder kann man diesem Wunsch ruhig nachgeben. Aber an jedem Tag, an dem ich aus der Kiste krieche, denke ich, dass es sich lohnt, immer und immer wieder aufzustehen.
Take That
Gary Barlow (52, drei Kinder von einer Frau), Mark Owen (51, drei Kinder von einer Frau) und Howard Donald (55, vier Kinder von drei Frauen) touren nächstes Jahr und haben ihr neues Album «This Life» (das erste seit sechs Jahren) im Gepäck – aufgenommen mit dem Produzenten Dave Cobb (Lady Gaga) in Nashville und in Savannah/Georgia. Der Sound ist warm. Vieles, etwa die erste Single «Windows», klingt zart und handgemacht.
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