Supreme Court kippt Abtreibungsrecht: Auch Eheöffnung auf Prüfstand?
Vor einem halben Jahrhundert feierten Frauen überall in den USA ein Abtreibungsurteil des Obersten Gerichtshofs. Bis heute galt die Entscheidung als Meilenstein, weil sie Abtreibungen bis zur Lebensfähigkeit des Fötus erlaubte. Nun ist sie Geschichte.
Der Oberste Gerichtshof der USA hat nach fast einem halben Jahrhundert das liberale Abtreibungsrecht in den Vereinigten Staaten gekippt. Die weitreichende Entscheidung hat schwerwiegende Konsequenzen für Schwangere im Land. Der mehrheitlich konservativ besetzte Supreme Court in Washington machte am Freitag den Weg für strengere Abtreibungsgesetze frei – bis hin zu kompletten Verboten in einzelnen Bundesstaaten. US-Präsident Joe Biden nannte die Entscheidung einen «tragischen Fehler». Einige fürchten, dass künftig auch die Ehe für alle oder das Recht auf Verhütung auf den Prüfstand kommen könnten.
Grosses Entsetzen löste eine Stellungnahme des ultra-konservativen Richters Clarence Thomas aus. Er schrieb, dass auch Entscheidungen, die das Recht auf Verhütung, die gleichgeschlechtliche Ehe oder Sex unter gleichgeschlechtlichen Partnern verankern, auf den Prüfstand gehörten. Die restlichen konservativen Richter*innen betonten allerdings, dass das aktuelle Urteil diese Präzedenzfälle nicht infrage stelle. Biden warnte mit Blick auf Thomas vor einem «extremen» und «gefährlichen» Weg, den das Gericht einschlage.
Die Empfehlung von Thomas, bestimmte Entscheidungen zu überdenken, hat weder die Kraft eines Präzedenzfalls noch zwingt sie seine Kolleg*innen am Obersten Gerichtshof, die von ihm vorgeschlagenen Massnahmen zu ergreifen, heisst in eine Einordnung von CNBN. Aber es sei eine implizite Einladung an konservative Politiker*innen in einzelnen Staaten, Gesetze zu verabschieden, die mit früheren Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs in Konflikt geraten könnten, mit dem Ziel, dass dieses Gericht diese Urteile möglicherweise rückgängig machen.
Seit die von Ex-Präsident Trump bestimmte konservative Richterin Amy Coney Barrett dem Supreme Court angehört (MANNSCHAFT berichtete), sind die Chance für einen Rollback an höchster Stelle gestiegen. Zuvor hatten bereits die Richter Clarence Thomas und Samuel Alito die Eheöffnung von 2015 abgelehnt und erklärt, sie sollte aufgehoben werden (MANNSCHAFT berichtete).
Das Urteil zum Abtreibungsrecht gilt als politisches Erdbeben – es werden massive Proteste erwartet. In etwa der Hälfte der Bundesstaaten dürfte es nun zu weitgehenden Einschränkungen bis hin zu Verboten von Schwangerschaftsabbrüchen kommen. «Die Verfassung gewährt kein Recht auf Abtreibung», heisst es in der Urteilsbegründung. Die Entscheidung ist keine Überraschung: Anfang Mai war ein Entwurf dazu öffentlich geworden. Daraus ging bereits hervor, dass das Gericht so entscheiden will. Das Urteil ist nun so drastisch wie erwartet.
Es gibt in den USA kein landesweites Gesetz, das Schwangerschaftsabbrüche erlaubt oder verbietet. Abtreibungen sind aber mindestens bis zur Lebensfähigkeit des Fötus erlaubt – heute etwa bis zur 24. Woche. Dies stellte bisher ein Urteil des Obersten US-Gerichts von 1973 sicher, das als Roe v. Wade bekannt ist. Ein weiteres Urteil von 1992, Planned Parenthood v. Casey, bestärkte die Rechtsprechung weitgehend und passte sie an. Der Supreme Court hat diese Entscheidungen nun gekippt.
Die heutige konservative Mehrheit im obersten US-Gericht hielt sich mit Schelte an den Vorgängern nicht zurück. «Roe war vom Tag seiner Entscheidung an ungeheuer falsch und auf Kollisionskurs mit der Verfassung. Casey hat seine Fehler fortgesetzt», heisst es in der Begründung. Die «Befugnis zur Regelung» des Abtreibungsrechts würden nun an das Volk und seine gewählten Vertreter zurückgegeben – sprich an die Bundesstaaten.
Doch warum beschäftigte sich das Gericht überhaupt mit dem Thema? Hintergrund ist ein Abtreibungsgesetz aus dem Bundesstaat Mississippi, das fast alle Abtreibungen nach der 15. Schwangerschaftswoche verbietet – ein Gesetz, das nach der bisherigen Rechtssprechung eigentlich verfassungswidrig war. Der konservativ regierte Bundesstaat hatte das Oberste Gericht angerufen, den Fall zu überprüfen. Dass sich das Gericht überhaupt damit beschäftigte, war bereits als Zeichen gewertet worden, dass Roe v. Wade gekippt werden könnte.
Die Entscheidung sieht nun vor, es den Bundesstaaten zu überlassen, wie sie ihr Abtreibungsrecht regeln. Dies gilt als besonders drastisch. Einige Staaten haben bereits Gesetze vorbereitet, die sofort in Kraft treten können, wenn die bisherige Rechtssprechung kippt – sogenannte Trigger Laws. Es sind vor allem die erzkonservativen Staaten im Süden und mittleren Westen, die Abtreibung ganz oder fast komplett verbieten wollen.
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