«Shwule Grüsse vom Balkan» (32) – Vom Fälscher zum Spielball

In Rio trifft Jascha einen alten Bekannten

Rio (Foto: Antonia Felipe/Unsplash)
Rio (Foto: Antonia Felipe/Unsplash)

Neues aus unserer Kolumne «Shwule Grüsse vom Balkan»: Jascha ist befördert worden. Er ist jetzt Spion.

Was bisher geschah … 

«Wo zum Teufel steckst du?», brüllt Aleksandar in sein Smartphone, als ihn Jascha, sein Ex, anruft. Dieser ist neuerdings für den internationalen Rohstoffkonzern Alpminera tätig – offiziell als persönlicher Assistent des CEO, inoffiziell als Industriespion. «In Rio», hält sich Jascha kurz und trocken. «Rio? Bist du high?» «Keine Sorge, Aleks», beruhigt ihn Jascha, während er in seinem Ipanema rührt, den er in einer Strandbar an der Copacabana bestellt hat. «Ich habe einen neuen Job und bin deshalb in Rio.» «Wie, neuen Job? Bei wem? Und was für einen Job denn?», fragt Aleks etwas verdattert und besorgt.

Funkstille.

«Jascha, bist du noch dran?», vergewissert sich Aleks. Jascha holt indessen Luft, setzt ein Lächeln auf wie jemand, der eine schnöde Waschmittelwerbung mit übereifrigem Elan bespricht, und antwortet: «Ja, ich bin noch dran. Ich bin neuerdings der persönliche Assistent des CEO von Alpminera, dem internationalen Rohstoffkonzern, der in der Schweiz sitzt.» «Aha. Und wie kommst du dazu? Du hast bis vor Kurzem noch Pizzas ausgeliefert.» Jascha bemerkt Aleks’ Misstrauen und entgegnet halb wahr, halb gelogen: «So war es auch: Ich lieferte eine grössere Bestellung aus, nachdem ich dich das letzte Mal gesehen hatte – und zwar direkt beim CEO von Alpminera. Er hatte mich als den «News-Fälscher» erkannt. Und so führte das eine zum anderen.»

Wieder Funkstille. Aleks überlegt.

«Ok, ich freue mich für dich. Kann ich das überhaupt? Ich meine, gefällt dir der Job wirklich? Was für Aufgaben hast du?» Aleks ist hin- und hergerissen, will aber Jascha in seinem neuen Job unterstützen. «Ja, ich bin zufrieden. Ich kümmere mich um Termine und Events weltweit, die den CEO betreffen. So komme ich weltweit rum: zuerst Rio und dann Peking, ehe ich nach Zürich zurückkehre», beschwichtigt Jascha Aleks.

«Das klingt ziemlich spannend. Ich hoffe, dieser Job gibt dir nach der Fälschungsgeschichte wieder etwas Auftrieb und gute Kontakte. Und natürlich hoffe ich für dich, dass dir dabei ein paar schnucklige Typen begegnen», grinst Aleks ins Smartphone, als Jascha abrupt das Gespräch beendet: «Danke, ja, ich melde mich wieder. Ich muss nun los, hab’ einen Termin mit einem Eventmanager.»

Funkstille zum Dritten.

Während Aleks kopfschüttelnd und schulterzuckend sein Smartphone in den Standby-Modus schickt, trifft Jascha seinen ersten Kontaktmann in der Strandbar. Dieser heisst Gustavo und reicht Jascha die Hand. Jascha erwidert und nimmt dabei einen Hauch von homoerotischen Schwingungen wahr: «Angenehm, freue mich, dich kennenzulernen, Gustavo.» Dieser tut so, als hätte er Jaschas Flirtversuch nicht registriert und fährt fort: «Du triffst dich in einer halben Stunde mit deinem Informanten in der Innenstadt am Carioca Square. Dort befindet sich eine Art Rondelle mit einer Uhr. Dein Informant wartet dort auf dich und gibt dir weitere Anweisungen.»

Jascha begreift, dass sein Job immer mehr demjenigen eines Spions und nicht demjenigen eines CEO-Assistenten gleicht. «Wie heisst denn mein Informant?», will er von Gustavo wissen. «Mehr kann ich dir dazu nicht sagen. Geh dahin, dann erfährst du mehr», zwinkert ihm Gustavo zu. Jascha, noch ganz im Flirtmodus, hält Gustavos Arm fest: «Aber wir beide sehen uns noch, ja?» Gustavo blickt auf seinen Arm und auf Jaschas Hand, die darauf liegt, und zwinkert ihm erneut zu: «Es liegt ganz in deiner Hand, meu Amor!» Immer noch von Gustavo fasziniert lässt Jascha ihn gehen. Dieser wirft ihm einen Kussmund zu und tippt auf seine Armbanduhr: Es ist Zeit für den Termin am Carioca Square.

Am Carioca Square angekommen hält Jascha Ausschau nach seinem Informanten. Niemand kommt. Jascha dreht Runde um Runde um die Rondelle, bis ihm jemand von hinten auf die Schulter klopft. Er dreht sich um und erstarrt, als ihm sein Informant gegenübersteht. «Schön, dich wiederzusehen, Jascha.» Jaschas Gesichtszüge entgleisen in dem Moment. Seine Hautfarbe wechselt, als trüge er Gene von Kraken oder Leguanen in sich.

«Alen … Was machst du denn hier?», stammelt Jascha seinem Gegenüber entgegen. Alen ist Aleks’ Bruder und Fussballnachwuchsstar, dessen HIV-Infektion Jascha als Boulevardjournalist öffentlich geoutet hatte. «Nun ja, ich habe auch Beziehungen, wie du vermutlich ahnst. Eine davon besteht zum Sponsor der Fussballnationalmannschaft, Alpminera. Und nun bist du mein Spielball und nicht ich deiner.»

*Wir schreiben in dieser Kolumne «shwul» statt «schwul», um den Balkan-­Slang wiederzugeben. Weitere Hintergründe zur Kolumne «Shwule Grüsse aus dem Balkan» erfährst du im Interview mit dem Autor Predag Jurisic

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