Schwuler Schüler (15) wehrt sich gegen Diskriminierung auf Klassenfahrt
Tim möchte mit seinen besten Freunden ein Zimmer teilen. Problem: Seine besten Freunde sind Mädchen. Der Schuldirektor ist dagegen.
Tim aus Greifswald ist schwul. Seine Eltern wissen es, seine Mitschüler wissen es, vermutlich die ganze Schule. Er ist 15 und beginnt nach den Sommerferien am Alexander-von-Humboldt-Gymnasium die 10. Klasse. Im Herbst soll es auf Klassenfahrt gehen, zu englischen Gastfamilien nach Oxford. Eigentlich ein Grund zur Freude. Tim möchte mit seinen besten Freunden in ein Zimmer kommen. Problem: Seine besten Freunde sind Mädchen.
Alle, auch unsere Eltern, waren damit vollkommen einverstanden, erklärt Tim. „Plötzlich sitze ich im Zimmer des Direktors, und er argumentiert rücksichtslos mit ‚Deine Homosexualität ist kein triftiger Grund dafür, dass du mit Mädchen in ein Zimmer darfst. Ein triftiger Grund wäre beispielsweise, wenn du von den Jungs gemobbt werden würdest.‘
Mobbing hat viele Gesichter. Im Gespräch mit der Mannschaft erzählt Tim, dass sich die Jungs in seiner Klasse seit seinem Coming-out anders verhalten. Mit einigen war er vorher befreundet. Aber dann brachen sie den Kontakt ab.
Für Tim fühlte sich seine Homosexualität zu dem Zeitpunkt falsch an, sagt er. „Warum darf jeder mit seinen Freunden in ein Zimmer, außer ich? Ich muss mit den Jungs in ein Zimmer, mit denen ich nicht zurechtkomme. Ich darf zuschauen, wie jeder mit seinen Freunden in ein Zimmer kommt.“
Die Zimmeraufteilung für die Klassenfahrt nimmt übrigens eine Agentur vor, sagt Tim. Nach der Intervention des Direktors wird sie seinem Wunsch nun nicht mehr entsprechen.
Wenn dir langweilig ist, kannst du ja ein Buch lesen.
Von den Lehrern wurde ihm geraten, „keinen großen Aufstand“ zu machen. Es wäre ja nicht schlimm, er sei ja nur nachts da. „Und wenn dir langweilig ist, kannst du ja ein Buch lesen“, wurde ihm geraten. Empathie sieht anders aus.
Keine Extrawürste bitte!
Tim suchte Hilfe bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS). Doch man teilte ihm mit, dass es dafür keine gesetzliche Regelung gebe und dass man dagegen nichts unternehmen könne. Zwar rief die ADS beim Direktor an, stieß aber auch auf taube Ohren. Der Schuldirektor meinte, dass dieser „Spezialwunsch“ nur weitere Wünsche durch andere Schüler hervorrufen würde, erzählt Tim.
Tim wandte sich an Birgit Hesse, die SPD-Schulministerin von Mecklenburg-Vorpommern, doch der E-Mail-Kontakt sei abgebrochen. „Es kam mir so vor, als würde sie meine Anfrage ignorieren“, sagt Tim. Eine Nachfrage der Mannschaft blieb unbeantwortet. Auch Tims Schuldirektor Ulf Burmeister ist uns bisher eine Antwort schuldig.
Tim findet, dass die strenge Einteilung nach Geschlechtern überalteten heteronormativen Regeln folgt. „Diese Sicherheitsvorkehrungen werden schließlich nur getroffen, um Geschlechtsverkehr mit dem anderen Geschlecht zu unterbinden. Doch ich bin nun mal nicht heterosexuell, habe es gefühlt tausende Male gesagt. Trotzdem werde ich rücksichtslos abgewiesen“, sagt er.
Tim fühlt sich nicht ernst genommen. Er hat das Gefühl, man möchte sich nicht in seine Lage versetzen. Darum hat der Schüler eine Petition gestartet, die aktuell 350 mal unterschrieben wurde. Darin wirft der 15-Jährige weitere Fragen auf:
„Wie soll sich ein LGBTIQ* verhalten, wenn er sich gar nicht bei den Lehrern outen möchte? Was soll ein Mädchen/Junge tun, die/der vom gleichen Geschlecht dafür gemobbt wird, da sie/er zu ihrer/seiner Orientierung bzw. zu ihrer/seiner Präferenz steht? (in der heutigen Zeit ist dies noch sehr oft der Fall) Warum sollte es überhaupt möglich sein, eine solche Regelung zu finden? Jährlich kämpfen Millionen von LGBTIQ*s auf Christopher Street Day um mehr Akzeptanz und darum, beachtet/gehört zu werden. Warum wird also bei jedem Schüler/bei jeder Schülerin pauschal angenommen, er/sie sei heterosexuell?“
Direktor droht mit Zwangspraktikum
Was, wenn das alles nicht hilft? Tims Schuldirektor hat ihm seine Alternativen aufgezeigt: Entweder er geht mit auf Klassenfahrt und nimmt ein Zimmer mit drei Jungs – oder er bleibt zu Hause und macht ein einwöchiges Praktikum.
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