«Tatort» aus Zürich: Mord an schwulem Schoggifabrikanten
Offenbar war der Firmenchef depressiv und wurde von der eigenen Familie nie akzeptiert
Dass manche auf der Schokoladenseite des Lebens geboren werden und manche nicht, ist Grundthema des Schweizer «Tatorts». Um Schokolade geht es auch im neuen Einsatz, den das Ermittlerinnen-Duo fast nicht überlebt: Ein schwuler Schokoladenfabrikant wird ermordet. Von Christiane Oelrich, dpa
Ein Schokoladenfabrikant wird tot in seiner Villa in Zürich gefunden – offensichtlich erschossen oder erschlagen. Ein Machtkampf in der Firma? Ein Erbstreit? Eine Beziehungstat? Eine Erpressung? Der Kreis der Verdächtigen ist gross, ziemlich oft stellt Kommissarin Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) die immer gleiche Frage: «Was haben Sie am Samstagabend gemacht?»
Die Schweiz schickt im «Tatort»-Fall «Schoggiläbe» – also Schokoladenleben, auf hochdeutsch etwa: auf der Sonnenseite geboren – zum zweiten Mal Grandjean und ihre Partnerin Tessa Ott (Carol Schuler) ins Rennen um die Gunst des Sonntagabend-Publikums. 7,45 Millionen haben im Oktober eingeschaltet.
Grandjean, die es aus kleinen Verhältnissen mit einem Jurastudium nach oben geschafft hat, fühlt sich sichtlich unwohl im Reichen-Milieu des Schoko-Fabrikanten Hans-Konrad Chevalier. Ott ist dagegen ganz in der Nähe privilegiert aufgewachsen und kennt die Chevaliers sogar. Gemeinsamen decken beide den Machtkampf zwischen Chevaliers Mutter Mathilde (Sibylle Brunner) und seiner Tochter Claire (Elisa Plüss) auf, und sie finden den Stricher (Csémy Balazs), mit dem der schwule Chevalier ein Verhältnis hatte. Offenbar war der Firmenchef depressiv und suizidal. Seine Homosexualität wurde von der eigenen Familie nie akzeptiert.
Alleine gegen den Schoggi-Giganten Läderach
Natürlich ist alles komplizierter als im ersten Moment gedacht. Seit der Mordnacht untergetaucht ist die Haushälterin von Chevalier, eine junge Ausländerin ohne Arbeitserlaubnis. Mathilde hat die Zeugung von Claire mit mehr Einsatz organisiert, als das Mädchen ahnt, um trotz schwulem Sohn die Familiendynastie aufrechtzuerhalten. Zu allem Überfluss ist Claire auch noch ist mit dem Anwalt ihres Vaters verlobt, der ganz eigene Pläne für die Zukunft der Firma hat. Auch den Stricher verbindet mehr als nur Zuneigung mit Chevalier.
Während Grandjean und Ott das Knäuel der Spuren entwirren, geraten sie in eine tödliche Gefahr. Ott versagt in der kritischen Situation. Sie bringt sich und ihre Kollegin in Lebensgefahr, weil sie es nicht übers Herz bringt zu schießen. Ermittler im wahren Leben dürften bei dieser Darstellung kritisch hinschauen. Das «Tatort»-Duo kassierte bei seinem Debüt im vergangenen Oktober schon Häme, weil Grandjean den Waffenholster falsch herum trug. Der Griff der Waffe zeigte nach hinten – für die Kommissarin wäre es unmöglich gewesen, zu ziehen.
Eines ist auch im zweiten «Tatort» mit diesem Duo klar: grün sind sich die beiden noch nicht. Zwischen ihnen liegt immer Rivalität und Spannung in der Luft. Grandjean will zeigen, dass es eine aus kleinen Verhältnissen in der französischsprachigen Schweizer Provinz sehr wohl in der Großstadt Zürich schaffen kann. Ott will sich von den Fesseln ihrer privilegierten Herkunft befreien.
Aufregung über schwule Schokofans – Ruf nach Cadbury-Boykott!
Es gibt in der «Tatort»-Reihe spöttische, witzige, charmante, warmherzige und kaltschnäuzige Kommissarinnen und Ermittler. Es gibt solche, die ihre Kollegen in den Schatten stellen und Duos, die nur im Doppelpack genial sind. Woran die Zuschauer mit dem Schweizer Paar sind, muss sich noch zeigen. Mit Spott, Witz, Charme, warmem Herzen oder kalter Schnauze punkten sie jedenfalls nicht.
Die Ermittlerinnen laborieren vielmehr an ihrer Vergangenheit. Grandjean ist nicht souverän. Es fällt noch schwer, ihr die ganz grossen Auftritte zuzutrauen. Ott scheint von Frust getrieben. Wie sie den bei einem alkoholgetränkten Clubabend entfesselt mit einem Typen in der Sofaecke abreagiert, ist auch nicht gerade vertrauenserweckend.
«Mir war wichtig zu zeigen, dass die Hauptfiguren ambivalent und vielschichtig sind, mit einer selbstbewussten Weiblichkeit und einer Freude und Stolz, Frau zu sein», sagt Regisseurin Viviane Andereggen.
Der «Tatort» läuft am Sonntag, den 28. Februar 2021 um 20:15 Uhr.
Das könnte dich auch interessieren
Deutschland
«Der Skandal der Schwulenverfolgung wurde nie intensiv aufgearbeitet»
Wie die Doku «Raus aus dem Ghetto – Brühwarmes Theater und die Schwulenbewegung der 70er» die verdrängte Verfolgung schwuler Männer in der BRD aufarbeitet – und was sie über unsere Gegenwart verrät. Darüber sprachen wir mit Corny Littmann
Von Stephan Bischoff
Gesellschaft
Kultur
Film
Schwul
Film
Brühwarmes Theater und die Schwulenbewegung als sehenswerte Doku
Eine Dokumentation die verdrängte Verfolgung schwuler Männer in der BRD aufarbeitet – und was sie über unsere Gegenwart verrät.
Von Stephan Bischoff
Gesellschaft
Kultur
Schwul
Queerfeindlichkeit
Nemo will Hoffnung statt Hass für queere Menschen
Nemo hatte mit dem Sieg beim ESC 2024 eine Debatte um Rechte für queere Menschen ausgelöst, spürt aber viel Gegenwind, und fragt: Warum dieser Hass und Unverständnis?
Von Newsdesk Staff
Schweiz
Kultur
Eurovision Song Contest
Musik
ESC 2025
Choreograf beim ESC: «Wenn das Publikum tobt, kommen mir die Tränen»
Als Choreograf steht Jonathan Huor beim ESC 2025 im Zentrum des Geschehens. Gemeinsam mit seinem Team bringt er die grösste Musikshow der Welt tänzerisch zum Leben.
Von Greg Zwygart
Bühne
Schweiz
Kultur
Eurovision Song Contest