Sakima über Dominanz, Daddys und Dirty Pop
«Wer in der eigenen Musik keine queeren Geschichten erzählt, ist nur eine queere Person, die in der Musikbranche tätig ist.»
Sakima lässt sich in seine Musik nicht reinreden, schon gar nicht von grossen Plattenfirmen. Mit seinem Hit «Daddy» hat der unabhängige Sänger nun international für Aufmerksamkeit gesorgt. Ein Gespräch über queere Musik, die «straighte» Branche und darüber, warum Daddys so attraktiv sind.
«Do you want to be my Daddy?» Lasziv singt Sakima den Refrain seines Songs «Daddy» über einen langsamen, hypnotisierenden Beat. Die Single aus seiner EP «Ricky» wurde vom US-amerikanischen Musikmagazin «Billboard» zur schwulen Hymne des Jahres 2017 gewählt und hat dem 26-jährigen Engländer einen fulminanten Start ins neue Jahr verschafft. Der Track und das dazugehörige Video handeln von Sex mit einem Mann, der Erfahrung und Dominanz versprüht, aber auch Nähe und Geborgenheit verspricht – ein Daddy eben.
«Der Begriff hat für mich weniger etwas mit dem Alter zu tun, sondern mit einem Mann, der dich im Bett verwöhnt und bei dem du dich dabei in Sicherheit weisst», sagt Sakima in einem Videoanruf mit der Mannschaft. Schwuler Sex könne für viele Männer Stress verursachen, besonders wenn man passiv sei. «Ein Daddy ist bestimmend, aber fürsorglich. Für viele queere Männer hat das einen Reiz. Das sagt so einiges über die homosexuelle Psyche aus.»
Die queere Kultur wird nicht von den Eltern weitergegeben, man muss sie sich selbst aneignen und verstehen lernen.»
Queeres Storytelling liegt Sakima, der seinen bürgerlichen Namen lieber nicht verraten will, am Herzen. Sein Song «Polari» thematisiert die gleichnamige Geheimsprache schwuler und bisexueller Männer, die in Grossbritannien bis in die Siebzigerjahre aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung verwendet wurde, damit Aussenstehende sie nicht verstanden. Im Songtext tauchen Begriffe wie «Palliass», «Omi» oder «Basket» auf, Bezeichnungen für «Rücken», «Mann» und «Beule in der Hose». Sakima versetzt die verlorene Sprache in die Gegenwart und besingt damit ein anstehendes Sexdate, das er auf dem Internet organisiert hat. «Wirst du überhaupt auftauchen? Schickst du mir eine Nachricht, wenn du in der Nähe bist?», will er in dieser romantisch anmutenden Ballade wissen.
Sakima hatte Polari erst im Rahmen seines Masterstudiums der Popmusik entdeckt und war sofort fasziniert von seiner Entstehungsgeschichte und seinem Wortschatz. Als schwuler Künstler müsse man über queere Geschichte im Bilde sein, findet er. «Die queere Kultur wird nicht von den Eltern weitergegeben, man muss sie sich selbst aneignen und verstehen lernen.»
Ein geplatzter Deal als Motivation Der queere Charakter ist für Sakima ein unantastbarer Bestandteil seiner Musik, einer von vielen Gründen, weshalb er sich lieber als unabhängiger Künstler versucht, statt sich dem Willen einer Plattenfirma zu beugen. Zu wichtig ist ihm die Freiheit der Selbstbestimmung über seine Arbeit. Das war nicht schon immer so. 2013 bekam der damals 21-jährige Sakima einen attraktiven Albumdeal angeboten, als er am Ende seines Bachelorstudiums stand. Überstürzt absolvierte er seine Abschlussarbeit und zog nach London, um Musik zu produzieren. Doch der Deal fiel durch. Das Label wollte altes Material als Album herausbringen, mit dem sich Sakima nicht mehr wohlfühlte – als Künstler hatte er sich bereits weiterentwickelt und neue Ideen im Kopf. «In weniger als zwei Minuten löste sich mein Traum in Luft auf», erinnert er sich. «Das mag jetzt vielleicht dramatisch klingen, aber wenn man sein ganzes Leben daraufhin arbeitet, fällt eine ganze Welt zusammen.»
«Ich war sehr depressiv. Doch dann sagte ich mir, dass ich entweder daran zugrunde gehen oder ihnen sagen würde: ‹Fuck, ihr werdet es noch bereuen›», sagt er. Sakima suchte sich einen Vollzeitjob und zog zu seiner Schwester, um seinen nächsten Schritt zu planen. Heute sieht er die Absage als entscheidenden Wendepunkt seiner jungen Karriere an. «In der Musikbranche darf man niemandem trauen. Wer sich und seinen Traum nicht selbst unterstützen kann, kann nicht auf die Unterstützung anderer zählen.»
Queere Künstler*innen machen nicht unbedingt queere Musik In einem Interview mit Billboard.com bemängelt Sakima die fehlende Sichtbarkeit von queeren Musikschaffenden in der globalen Musikbranche. Er ist überzeugt, dass Popmusik mit queeren Inhalten in der heutigen Zeit viel Potenzial hätte, aus verschiedenen Gründen aber am Durchstarten gehindert wird. Einerseits hätten viele Musikkünstler*innen in ihrer Jugend eine Unterdrückung ihrer Sexualität oder ihrer Identität erfahren und seien gezeichnet von Mobbing und Ausgrenzung – Gefühle, die sich ins Erwachsenenalter und durch das eigene Schaffen ziehen und unter Umständen einschränken könnten. Andererseits würden wichtige Entscheidungsträger*innen der Musikbranche queere Musik als zu riskant einstufen, um es auf einem globalen Markt mit der Profitabilität von heteronormativen Inhalten aufzunehmen. «Der ganze Mechanismus ist sehr einschüchternd», sagt Sakima zur Mannschaft. «Zum einen muss man es mit Menschen aufnehmen, die eine sexuelle Vielfalt nicht unterstützen oder sie gar unterdrücken wollen. Zum anderen muss man seine eigenen Ängste und Zweifel überwinden, um die Kraft und die Überzeugung zu finden, um queere Geschichten zu erzählen.»
Von den offen queeren Persönlichkeiten in der Musikindustrie fühlt sich Sakima nicht unbedingt vertreten. Er wirft ihnen vor, ihre Identität von ihrer Musik fernzuhalten. «Oder aber sie verwenden farbige Metaphern oder zensieren sich in einer subtilen Art und Weise, damit es nicht zu offensichtlich ist. Es gibt einen Unterscheid zwischen queeren Musikschaffenden und Musikschaffenden, die queer sind», sagt er. «Wer in seiner Musik keine queeren Geschichten erzählt, ist lediglich eine queere Person, die in der Musikbranche tätig ist.»
Wer in seiner Musik keine queeren Geschichten erzählt, ist nur eine queere Person, die in der Musikbranche tätig ist.
Damit sei auch nichts verkehrt, im Gegenteil. Die Welt brauche queere Personen, um Normalität und Selbstverständlichkeit von Andersliebenden vorzuleben. Trotzdem fehle durch den Mangel an queeren Songtexten und Bildern in Musikvideos eine wichtige Komponente, um queere Wirklichkeiten im Alltag sichtbar zu machen.
«Versteh mich nicht falsch, ich bewundere Künstler wie Sam Smith, Olly Alexander oder Troye Sivan. Vor allem Troye scheint seine Identität musikalisch und visuell immer mehr zu zelebrieren», sagt Sakima. «Der einzige Grund, weshalb diese Künstler explizit schwule oder sexuelle Inhalte nicht in ihre Musik einfliessen lassen, scheinen die Plattenfirmen zu sein, die ihnen im Rücken stehen.»
«Der Mainstream ist bereit für queere Musik» Ein Merkmal queerer Musik ist das Verwenden von gleichgeschlechtlichen Pronomen, wenn ein Sänger etwa von einem anderen Mann singt, den er liebt. Einige Musiker wie Olly Alexander, Frontsänger der Band «Years & Years», schreiben vermehrt Songs mit Pronomen wie «he» oder «him», während andere lieber das unverfängliche «You» verwenden.
Doch auch der Inhalt der Songtexte und bildliche Elemente in Musikvideos sind wichtige Bestandteile queerer Musik. Sei es Sakima, der über einen «Daddy» oder ein Internetdate singt, sei es der Rapper Cazwell, der leicht bekleidete Jungs durch seine Musikvideos twerken lässt. An erster Stelle steht jedoch die Authentizität. «Man kann nicht einfach hinsitzen und sagen, jetzt schreibe ich einen Song, der x-beliebige Pronomen und so viele kulturelle Anspielungen enthält. Das fühlt sich künstlich und forciert an», sagt Sakima. «Wichtig ist, dass man sich nicht zensiert und sich selbst treu bleibt.»
Ich glaube nicht, dass mich Billboard und meine Fans unterstützen würden, wenn sie diese Art von Musik nicht hören wollten.»
In seinen Augen ist es nicht die Gesellschaft, die keine queere Musik hören will, sondern die Plattenfirmen, die um ihr investiertes Geld fürchtet. Nur eine Person, die er bei den vielen Meetings mit Plattenfirmen traf, war einverstanden, dass er in seiner Musik offen über seine Homosexualität und seine Gefühle spricht. «Ich bin keine globale Berühmtheit. Stell dir vor, was Musikschaffende über sich ergehen lassen müssen, sobald viel Geld im Spiel ist.»
Mit Plattformen wie Spotify oder YouTube hat sich Sakima sein Publikum hart erarbeitet. Ein Publikum, das seine Lieder und Texte hören will, davon ist er überzeugt. «Ich glaube nicht, dass mich Billboard und meine Fans unterstützen würden, wenn sie diese Art von Musik nicht hören wollten. Leider hängt alles von den Menschen mit Macht und Geld ab.»
Schon früh der Musik verfallen Sakimas Musik wird von einigen Medien als «Dirty Pop» bezeichnet, wohl in Anspielung auf die expliziten Passagen. Für den Musiker ist das verwunderlich, sind die Texte vieler heterosexueller Popkünstler*innen doch um einiges provokativer – für ihn ein weiteres Beispiel dafür, dass queere Musik mit anderen Ellen gemessen wird. «Anders kann ich es mir nicht erklären, denn ich gebe mir viel Mühe, dass mein Sound herausgeputzt und klar daherkommt. Würde ich im Genre Indie oder Lo-Fi Musik machen, könnte ich die Bezeichnung ‹Dirty Pop› durchaus nachvollziehen», sagt er.
Sakima ist Autodidakt. Als kleiner Junge stöberte er durch die klassische Musiksammlung seines Vaters und war fasziniert von den Platten mit gregorianischen Gesängen, die er darin entdeckte. Aufgrund einer Leseschwäche, vor allem bei Blattmusik, die er als «auf Papier verstreute schwarze Punkte» bezeichnet, brachte er sich das Singen und Klavierspielen nach Gehör bei. In seiner Jugend produzierte er seine ersten Songs mit einem alten Windows-PC und einer billigen DJ-Software. «Das war noch die Zeit vor YouTube-Anleitungen», sagt er lachend. Heute mischt und mastert er seine Songs selbst und ist nicht auf externe Hilfe angewiesen. «Andere wollen unter Vertrag genommen werden, damit sie einen Vorschuss erhalten», sagt er. «Warum, wenn man die Rechte an seiner Musik verliert? Dann macht man es doch lieber selbst und hält dabei an seiner schöpferischen Freiheit fest.»
Schlimmes Mobbing in der Schule Sakima wuchs in Newcastle in einer sehr offenen, linken Familie auf, wie er selbst sagt. Weil seine «Eltern Hippies waren», gabs für ihn und die zwei Töchter exotische Mittelnamen. Sakima bedeutet König in einer nordamerikanischen Indigenensprache. «Zuhause wurde uns mit auf den Weg gegeben, dass wir sein dürfen, wen wir wollen, und lieben dürfen, wen wir möchten», erinnert er sich. Das Konzept eines Coming-outs gab es so nicht.
So war es für Sakima auch kein Unding, als er sich mit acht Jahren in seinen Schulkameraden Ricky verliebte. Erst mit den negativen Reaktionen seines Umfelds wurde ihm klar, dass eine gleichgeschlechtliche Schwärmerei für nicht in Ordnung gehalten wurde. Nach seiner Kindheitsliebe benannte Sakima letztes Jahr seine EP «Ricky» – nicht als romantische Widmung, sondern weil der Name seine erste Assoziation mit Homophobie war.
Aufgrund seiner Andersartigkeit wurde Sakima in seiner Schulzeit oft ausgrenzt und gehänselt, teilweise sogar mit Gewalt. Er beschreibt es als aggressives Gay-Bashing. «Dank ein paar guten Freunden habe ich diese Zeit überlebt. Ohne meine beste Freundin Chloé wäre ich jetzt wohl tot», sagt er.
Seinen Safe-Space fand Sakima in der Musik von schwulen Künstlern wie Rufus Wainwright oder Patrick Wolf. Um der Ausgrenzung und der Gewalt in der Schule zu entfliehen, schrieb er erste Songs und spielte in einer Band mit, die zwar, wie er sagt, «ziemlich scheisse» war.
Aus Homophobie Kraft schöpfen Mit der EP «Ricky» veröffentlichte Sakima eine Reihe von intimen und sexuell expliziten Songs. «Ich möchte allerdings auch eine andere Seite von mir zeigen, nicht nur meine schlampige», sagt er schmunzelnd. Seine neue Single «Death Is In The Air» erschien am 16. Februar und thematisiert Sakimas Erfahrungen mit Depressionen und Panikattacken. Mehrmals sei er als junger Erwachsener kurz davor gewesen, sich umzubringen. «Der Song handelt von einer ziemlich dunklen Zeit, die ich in jüngeren Jahren durchgemacht habe. Von einer inneren Zerrissenheit, die queere Personen plagt, und der Frage, ob man seine Persönlichkeit opfern muss, um sich nicht zur Zielscheibe zu machen.»
Das Songschreiben ist für Sakima zu einem Bewältigungsmechanismus geworden. Er schreibt, wann immer Dinge ihn beschäftigen, sei das Positives oder Negatives. Auch heute noch liest er die Onlinekommentare zu seinen Musikvideos, selbst wenn sich darunter üble Beschimpfungen befinden. Obwohl ihm in den Tiefen des Internets mehr Unterstützung als Hass entgegengebracht wird, reicht ein Kommentar wie etwa «dreckige Schwuchtel» aus, um ihn aus der Bahn zu werfen. Warum er sich das antut, kann er nicht sagen. «Vielleicht ist es aus künstlerischer Neugier, um mich daran zu erinnern, weshalb ich Musik mache. Es kann auch sein, dass ich leicht selbstzerstörerische Tendenzen habe wie alle anderen Menschen auch.»
Je älter man werde, desto mehr umgebe man sich mit Menschen, die dieselben Werte und Interessen teilen. Daran sei auch nichts falsch, sagt Sakima, doch längerfristig führe es dazu, dass man sich nur noch in einer Blase bewege. Man schotte sich vor anderen Menschen mit anderen Ansichten ab, schlussendlich auch vor der Realität. «Es ist wichtig, den Hass und die Diskriminierung zu sehen, sonst wird man naiv», sagt Sakima. «Hunderttausende von Jugendlichen und Erwachsenen auf der ganzen Welt können nicht so sein, wie sie sind. Sie werden ausgegrenzt, strafrechtlich verfolgt oder müssen sich verstecken. Wir müssen realisieren, dass unsere Welt nicht die ganze Welt ist.»
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