Queerer Politiknachwuchs unter Beschuss
So erleben Jungpolitiker*innen den Wahlkampf
Am 26. September wird in Deutschland gewählt – ein Land, in dem sich die Zahl der Angriffe auf Amts- und Mandatsträger*innen zuletzt verdoppelt hat. Wie erlebt das der queere Nachwuchs? Wir sprachen mit Jungpolitiker*innen aus CDU, SPD und von den Grünen.
Im August 2020 wurde Bundesgesundheitsminister Jens Spahn am Rande eines Wahlkampftermins im nordrhein-westfälischen Bergisch Gladbach von Demonstrant*innen ausgepfiffen, die offenbar gegen die Corona-Politik der Bundesregierung protestierten. Ein 39-jähriger Teilnehmer der Demo beschimpfte den CDU-Mann als «schwule Sau» (MANNSCHAFT berichtete). Polizist*innen, die das hörten, erstatteten Anzeige. Der Mann wurde zu 2800 Euro Strafe verurteilt.
Stefan Lindauer, grüner Direktkandidat im Bundestagswahlkreis Augsburg-Land, wurde mehrfach bei Facebook beleidigt, etwa mit den Worten: «Die Schwuchtel wurde gerade befruchtet, weil er so grinst.» Lindauer zeigte den User an, das Amtsgericht Passau verurteilte ihn im Mai wegen Beleidigung zu einer Strafe von 1800 Euro.
Hohe Geldstrafe für transphobe Beleidigung Ähnlich ergeht es auch Lindauers Parteifreundin Tessa Ganserer immer wieder. Zuletzt war ein Blogger zu einer Strafe von 24’000 Euro verurteilt worden, nachdem er sich im Netz abwertend über das Aussehen der trans Politikerin und zwei anderen Frauen geäussert hatte. So bezeichnete er sie unter anderem als «Lachnummern» und meinte, man könne sie «auf ’ne Kippenschachtel tun als Warnhinweis».
«Ich komme da gar nicht hinterher und schaffe es auch emotional nicht, alles zu lesen», sagte uns die Grünen-Politikerin. Ihrer Beobachtung nach ist der Hass, der sich gegen ihre Person richtet, nicht vom Wahlkampf abhängig, sondern nimmt eher mit der medialen Berichterstattung über sie zu.
Natürlich sind solchen Anfeindungen auch Queers ausgesetzt, die sich nicht politisch engagieren. Aber Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen und gerade im Wahlkampf besonders sichtbar sind, müssen den Hass anderer Leute häufiger ertragen. Quasi Berufsrisiko. Es trifft aber auch nicht alle. Der offen schwule FDP-Mann Konstantin Kuhle, innenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, liess uns wissen, er sei glücklicherweise bisher von derartigen Angriffen verschont geblieben.
Dass im Rahmen einer politischen Auseinandersetzung Angriffe aus der Community selber kommen wie Ende Mai in NRW, ist ein Einzelfall. Nachdem es im Bundestag nicht gelungen war, das über 40 Jahre alte Transsexuellengesetz abzuschaffen, wurde das SPD-Bürger*innenbüro in Haltern am See beschädigt; mutmasslich selbsternannte «autonome» trans Aktivist*innen schlugen die Fensterscheibe ein und beschmierten die Fassade.
Mit 21 im Stadtrat von Wuppertal Einer, der homophobe Anfeindungen gut kennt, ist Yannik Düringer. Der SPD trat er 2017 bei, politisch aktiv ist er seit 2018. Mit 21 Jahren ist er heute das jüngste Mitglied des Wuppertaler Stadtrates und Verordneter für den Bezirk Heckinghausen-West. Zu seinen Anliegen gehören queere Schutzräume, denn von einer schwulen Kneipe abgesehen sieht es mager aus in der Stadt. Darum kämpft er auch für ein queeres Jugendzentrum. «Das ist mein Baby», sagt er.
Düringer ist offen schwul und trägt gerne geblümte Hemden. Dafür beschimpft man ihn im Wahlkampf an den Haustüren, etwa mit den Worten «Du dumme Schwuchtel, dich wähle ich nicht!» Dann fliegt auch schon direkt die Tür vor seiner Nase zu.
Wenn der cis Mann nicht als schwul wahrgenommen wird, dann als trans – und auch entsprechend beleidigt. Yannik wird auf der Strasse erkannt, spätestens seit dem letzten Kommunalwahlkampf in NRW. Die homophoben Beleidigungen kamen mit der steigenden Bekanntheit, sagt der gebürtige Wuppertaler. «Wenn erstmal die Wahlplakate hängen, gibt es einen Bekanntheitspush.»
Beim Verteilen von Flyern angepöbelt Es passiert zum Beispiel, wenn er Flyer verteilt. «Dann wird man doof angemacht oder angeglotzt, die Blicke sind fast noch schlimmer», sagt Düringer. Es sind fast ausschliesslich Männer, die ihn anpöbeln, egal welchen Alters.
Manchmal beschimpfen sie ihn im Vorbeifahren aus dem Auto. Dann ist es schwer, zu reagieren. Sonst versucht er wann immer möglich, die Anfeindung zu thematisieren. Oft ist es ihm aber auch zu müssig. Man weiss ja auch nicht, wie das Gegenüber reagiert. Darum hält er oft lieber den Mund und entfernt sich. Fest stehe aber: «Wir haben noch viel Arbeit vor uns.»
Bisher hat er die Anfeindungen nicht angezeigt. «Weil das Internet kein rechtsfreier Raum ist, werde ich das aber wohl in Zukunft mehr machen.» Zum Glück ist er im Wahlkampf nie allein unterwegs. Das ist eine generelle Schutzmassnahme, ganz unabhängig von der sexuellen oder geschlechtlichen Identität.
Laura Patricia Kasprowski aus Mühlheim an der Ruhr geht es ähnlich. Seit 2016 ist sie in der CDU, ihr erstes politische Amt übernahm sie 2018 als Mitgliederbeauftrage in ihrem Ortsverband Stadtmitte. Nachdem sie sich im März 2020 als trans geoutet hatte, bewarb sich die CDU-Frau für ein Mandat im Parlament der NRW-Grossstadt Mülheim – und wurde prompt transphob attackiert. Auf dem Twitteraccount der Mülheimer Jungen Union (JU) wurden einige Kandidat*innen im Rahmen eines Videos vorgestellt, nicht nur Kasprowski – aber sie traf der geballte Hass.
Beleidigungen nach Coming-out «Das ist ein Mann und wird es immer bleiben» meinte ein User. Von anderen wird Laura als «gruselig» und «ekelhaft» bezeichnet, dazu kommen kotzende und lachende Emojis. Auch die Bibel musste in einem Kommentar herhalten, mit einem Zitat aus dem Fünften Buch Mose: «Eine Frau soll keine Männersachen tragen, und ein Mann soll keine Frauenkleider anziehen, denn der Herr, dein Gott, verabscheut jeden, der dies tut.»
Die JU stellte sich klar hinter ihr Mitglied. Auf die Frage, ob das «noch CDU» ist, antwortete der Ortsverband auf Twitter mit den Worten: «Ja, genau das ist CDU. Wir sind froh, engagierte Menschen wie Laura Patricia Kasprowski zu haben, die, statt andere Menschen zu beleidigen und runterzumachen, für ihre Mitmenschen und ihre Stadt [ein] politisches Ehrenamt verfolgen.» In ihrer Partei hat sie vorwiegend gute Erfahrung gemacht, auch im Evangelischen Arbeitskreis (EAK). «Mein Coming-out wurde überall fantastisch aufgenommen, die Reaktionen waren sehr herzerwärmend. Das war eine tolle innerparteiliche Solidarität.»
Solidarität gab ihr Kraft Auch Politiker*innen anderer Parteien haben sich mit ihr solidarisiert. Das gab ihr viel Kraft – so viel, dass sie darauf verzichtete, den juristischen Weg zu beschreiten. Zumal viele Verfahren, bei denen es um Hate Speech geht, im Sande verlaufen.
Es gibt aber auch Politiker aus der AfD, die ihre Beiträge in den sozialen Medien lächerlich machen oder mit herabwürdigenden Emojis kommentieren, sogar Ratsherrn der Partei. «Das halte ich noch für einen grösseren Skandal, weil die mich als Bürgerin dieser Stadt auch vertreten müssten. Die kommen da ihrer Verantwortung nicht nach», findet Kasprowski.
Nach dem Wahlkampf sind die Anfeindungen stark abgeebbt, aber auch danach erreichten sie immer wieder Hassbotschaften. Direkte Bedrohungen hat sie bisher nicht erhalten. «Ich lese aber auch nicht alles», sagt sie. Was die junge Politikerin besonders freut: «Die Gruppe derer, die sich mit mir solidarisiert haben, ist deutlich grösser. Dagegen konnte auch die geballte negative Energie nichts ausrichten.»
Ihr Adresse erfährt nicht mehr jede*r Trotzdem hat sie Vorsichtsmassnahmen ergriffen, nachdem sie erfahren hat, dass es Leute gibt, die herausgefunden haben, wo sie wohnt. Der Concierge im Haus ist sensibilisiert, und ihre Adresse kann beim Einwohnermeldeamt nicht mehr ohne weiteres abgefragt werden. Spätestens seit dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) der 2019 vor seinem Wohnhaus durch einen Rechtsextremisten mit einem Revolverschuss getötet wurde, ein nachvollziehbarer Schritt.
Im aktuellen Wahlkampf kämpft Kasprowski natürlich für ihre CDU und ist im Team von Astrid Timmermann-Fechter unterwegs. Die hat zwar 2017 im Bundestag gegen die Ehe für alle gestimmt, aber die 21-Jährige weiss, dass die Politikerin heute hinter ihr steht. Bei ihr kann sie für mehr Offenheit werben, auch in Bezug auf trans Themen und das dringend reformbedürftige Transsexuellengesetz. «Ich habe da definitiv einen positiven Einfluss», sagt die junge CDU-Frau. Im Wahlkampfteam fühlt sie sich sicher, denn Mühlheim empfindet sie als LGBTIQ-freundliche Stadt. Sie wird mittlerweile auch auf der Strasse erkannt und angesprochen, sogar beim CSD in Köln Ende August wollten einige Queers mit ihr ein Foto machen.
Doch wenn sie privat und allein unterwegs ist in Mühlheim, dann kommt es in gewissen Gegenden vor, dass man sie anspuckt oder schubst. Manchmal passiert es zwei Mal im Monat, manchmal auch längere Zeit nicht, sagt Kasprowski. Aber: «Das lässt man nicht ohne weiteres hinter sich.» Aufgeben oder sich zurückziehen kommt für sie nicht in Frage. «Ich werde niemandem, der mich hasst und anfeindet, den Gefallen tun, mich zurückzuziehen und denen ein Meter mehr Platz zu lassen.» Lieber will sie sich in das Terrain ihrer Gegner*innen vorarbeiten und dort Land gewinnen. Im Moment ist sie noch auf kommunaler Ebene unterwegs, aber sie will sich künftig auch NRW-weit engagieren. «Mein Engagement wächst immer mehr.»
Morddrohung gegen Grünen-Politiker Derweil kämpft Bruno Hönel in seinem Lübecker Wahlkreis um ein Mandat für den Bundestag. Der schwule Grünen-Politiker ist 25 und machte kürzlich Schlagzeilen, weil er bei Facebook mit dem Tod bedroht wurde.
Es geschah zur Eröffnung der Pride Woche in der Hansestadt, Hönel sollte aus diesem Anlass eine kurze Rede halten, um 18 Uhr. Zuvor erhielt er eine Morddrohung, in der es hiess: Um 18 Uhr an jenem Tag sei er tot. Der junge Politiker erhielt Polizeischutz, zudem ermittelt der Staatsschutz – bisher ohne Ergebnis. Seine Rede verlief ohne Zwischenfälle. Mulmig sei ihm schon zumute gewesen, doch einschüchtern lassen will er sich nicht.
So konkret wurde er zuvor nie bedroht, beleidigt schon, aber seltener ob seiner Homosexualität, vielmehr auf seine Partei bezogen, das kennt er schon aus seiner kommunalpolitischen Zeit. Es sind Kommentare, die sich gegen das Gendern wenden, sie kommen von Leuten, die Angst haben vor Veränderung, wie Hönel glaubt, oder die ihm aufgrund seines Alters von vornherein jede Kompetenz absprechen.
«Der Ton ist viel rauer, viel persönlicher, viel beleidigender.»
Hasskommentare werden gelöscht Jetzt im Wahlkampf erlebt er wieder deutlich mehr Anfeindungen, oft in Form von öffentlichen Beleidigungen als Kommentar unter seinen Beiträgen in den sozialen Medien. «Der Ton insgesamt hat sich nochmal deutlich verändert, ist viel rauer, viel persönlicher, viel beleidigender.» Dabei liest er gar nicht jeden der Hasskommentare. Die werden zügig gelöscht. «Ich will das einfach nicht auf meinen Seiten haben.»
Auch er hat seinen Eintrag beim Einwohnermeldeamt sperren lassen, schon in der Zeit, als er noch Fraktionsvorsitzender in der Lübecker Bürgerschaft war. Damals hat er immer mehr beleidigende Kommentar erhalten, in denen es unter anderem hiess: «Wir wissen, wo du wohnst.»
Denkt er noch manchmal an die Morddrohung? «Man vergisst die eigene subjektive Empfindung von Bedrohung im Stress des Wahlkampfes», sagte der Grünen-Politiker.
Was ihn richtig nervt, weil er es täglich erlebt, das sind die vielen zerstörten oder beschmierten Wahlplakate. So werden viele seiner Plakate mit einem Aufkleber versehen, auf dem es heisst: «Ein Baum, ein Strick, ein Antifa-Genick». Das zieht sich durch ganze Stadtteile, erzählt Hönel. Diese Aufkleber entfernt er dann von seinen Plakaten, aber viele werden auch zerstört. «Es würde mich wundern, wenn am Ende meines Wahlkampfes überhaupt nur noch ein Drittel meiner Plakate da hängen. Das erzeugt eher ein Gefühl von Wut bei mir. Muss das sein? Man muss mich ja nicht wählen, aber müssen sie auch noch meinen Wahlkampf torpedieren?»
Plakate werden immer wieder abgerissen Manchmal macht sich Resignation breit. Bevor er oder Mitglieder seines Wahlkampfteams zum dritten Mal versuchen, ein Plakat mit Kabelbindern zu befestigen, lassen sie es lieber sein. Auch wenn für die Plakate ein Drittel des Wahlkampfbudgets draufgeht, und es ihn ärgert, wenn sie einfach zerstört werden.
Abgesehen davon handelt es sich um Straftaten: In § 303 Absatz 1 des Strafgesetzbuches heisst es zum Abreissen von Wahlplakaten: «Wer rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, wird mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe oder mit Geldstrafe bestraft.» Auch wer Slogans durchstreicht, Politiker*innen schwarze Zähne malt oder eigene Parolen drauf schreibt, der begeht eine Sachbeschädigung.
Nun ist Hönel eher in Brennpunkt-Stadtteilen unterwegs, während seine Lübecker Parteifreund*innen dort antreten, wo die Mittelschicht zu Hause ist – die trifft diese Form des Vandalismus weniger. Trotzdem steht für den Sozialpolitiker fest: Er will weiterkämpfen für das Mandat, mit dem er Veränderung in Deutschland gestalten kann.
Angriffe nehmen zu
Zum 1. Januar 2019 wurde im «Kriminalpolizeilichen Meldedienst politisch motivierte Kriminalität» ein bundeseinheitlicher Katalog zum Angriffsziel eingeführt. Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger werden seitdem mit dem Unterangriffsziel «Amtsträger» und/oder «Mandatsträger» erfasst. Seither haben sich die Angriffe zum Teil mehr als verdoppelt.
Gegen Amtsträger: 2215 (2020; Vorjahr: 1076) –ein Plus von 105,86 %
Gegen Mandatsträger: 1537 (2020; Vorjahr: 818) – ein Plus von 87,9 %
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