Polyamorie: «Es fing damit an, dass ich merkte, dass ich bisexuell bin»
Jan, Lara-Jean und Maximilan führen eine Beziehung miteinander
Bisexuell und polyamourös: Jan stellt selbst in unserer vielfältigen Community eine Randerscheinung dar. Deswegen ist Sichtbarkeit auch von zentraler Bedeutung für den 28-Jährigen. Zusammen mit seiner Verlobten Lara-Jean und seinem festen Freund Maximilian (beide 28) gewährt er intime Einblicke in sein Beziehungsleben.
Als ich die Recherchearbeiten zum Thema Polyamorie aufnahm, war ich binnen kürzester Zeit starkem Gegenwind ausgesetzt. In einer Facebook-Gruppe, der ich beitrat, um Interviewpartner*innen zum Thema Polyamorie zu finden, wurde mir ohne grosse Umschweife klargemacht, dass man sich nicht der «Schaulust der Presse» ausliefern würde. MANNSCHAFT berichtete bereits mehrmals über polyamouröse Beziehungen, darunter eine Regenbogenfamilie aus St. Gallen oder zwei Ehemänner aus Kanada, die sich für einen dritten Mann scheiden liessen.
Meine Absicht, aufzuklären und eine Plattform für mehr Akzeptanz zu schaffen, konnten nur wenige Mitglieder nachvollziehen. Frustriert überlegte ich, die Beitragsidee fallen zu lassen, als mir plötzlich der Düsseldorfer Jan als Gast in einem Podcast auffiel. Ungehemmt erzählte er von seiner Bisexualität und davon, dass er sowohl mit einem Mann als auch einer Frau zusammen sei. Jackpot! Nach einer kurzen Kontaktaufnahme konnte ich ihn, Lara-Jean und Max gewinnen, sich all den Fragen zu stellen, die mir durch den Kopf schwirrten.
Gar nicht so einfach Vor wenigen Wochen haben Jan und Lara-Jean das im Volksmund gefürchtete «verflixte siebente Jahr» hinter sich gelassen. Und tatsächlich war ihre Beziehung in diesem einigen Turbulenzen ausgesetzt. Turbulenzen, die wohl manch andere Partnerschaft in die Knie gezwungen hätten.
«Es fing damit an, dass Lara-Jean und ich 2018 unsere Beziehung einseitig öffneten, da ich gemerkt hatte, dass ich bisexuell bin», erinnert sich Jan. Der UX-Designer wollte herausfinden, wie es sich anfühlte, mit einem Mann zu schlafen.
Nachdem er einige Erfahrungen gesammelt hatte, lernte er 2020 Maximilian kennen. Zuvor war ihm der Blondschopf bereits in einer Bäckerei aufgefallen, in der er damals jobbte. «Wir haben uns auf Anhieb sehr gut verstanden und für mich war klar, dass ich Lust hatte, ihn öfter zu treffen», berichtet Jan. In Zeiten der Pandemie entschieden sich die beiden Männer, ihre sexuelle Verbindung exklusiv zu gestalten. Doch dann geschah das Unerwartete. Sie verliebten sich ineinander.
«Wir überlegten, wie wir Max in unser Leben integrieren könnten.»
«Nach Jans Beichte bezüglich seiner Gefühle für einen anderen Menschen ist für mich eine Welt zusammengebrochen», erklärt Lara-Jean. Aus Verunsicherung, ob dies das Ende ihrer Beziehung bedeuten könnte, zog sie sich zurück. «Ich musste mich mit der Thematik Polyamorie auseinandersetzen und gelangte zu der Erkenntnis, dass ich nicht über Jans Gefühle verfügen darf. Auch wollte ich ihn nicht vor die Wahl stellen, sich für einen Menschen zu entscheiden.» Also fragte Lara-Jean Jan schlussendlich, wie er sich die Zukunft mit ihr und Max vorstelle. Ein unaufhaltsamer Stein war ins Rollen gebracht.
Liebe lieber ungewöhnlich «Als Jan und ich merkten, dass sich da etwas zwischen uns entwickelte, kam für mich eine Dreierbeziehung nicht in Frage», sagt Maximilian. Da er seine Ungebundenheit genoss und laut eigenen Aussagen nicht bereit für eine feste Verbindung war, zog er es vor, sich von der Situation zu distanzieren. «Ich wollte nicht daran schuld sein, dass eine sechsjährige Beziehung auseinander ging.»
Doch die Dinge nahmen weiter ihren Lauf, reflektiert Jan: «Wir überlegten, wie wir Max in unser Leben integrieren könnten und inwieweit er überhaupt Teil unseres Lebens sein wollte. Schritt für Schritt gelangten wir zu dem Punkt, an dem wir jetzt sind. Lara-Jean und ich wohnen zusammen. Max sehe ich zwei- bis dreimal die Woche. Wenn es zeitlich passt, verbringen wir auch gerne einen Trioabend. Da wird gekocht, viel geredet und es werden Filme geschaut. Sex teilen beide aber nur mit mir und nicht miteinander.»
Die räumliche Nähe – Maximilian wohnt nur fünf Minuten von Lara-Jean und Jan entfernt – spielt den dreien bei der Gestaltung ihres gemeinsamen Alltags in die Karten. «Wir sind schnell beieinander», so Max. «Mir kommt diese Art von Beziehung gelegen. Zeit für mich ist mir extrem wichtig. Die bleibt dabei gut erhalten. Ausserdem kann ich, wenn ich möchte, im Gästezimmer der beiden übernachten. Ich habe auch schon mit in ihrem Bett geschlafen oder Lara-Jean bei mir. Wir experimentieren einfach viel rum und schauen, was sich für alle gut anfühlt.»
Stolpersteine Dass das Leben als Polykül* – genauso wie bei anderen Beziehungsformen – nicht immer glatt läuft, gehört dazu. Vor allem in der Anfangsphase, in der Lara-Jean, Maximilian und Jan als Dreiergespann noch nicht wirklich eingespielt waren, stellten sich ihnen verschiedene Herausforderungen in den Weg. Lara-Jean: «Ich musste gefühlt all meine Muster zerlegen und neu aufbauen. Die Zukunft, die Art und Weise, wie wir gelebt haben, alles musste angepasst werden.» Keine leichte Aufgabe. Doch was der Visual-Merchandiserin half, war das Loslösen von gesellschaftlichen Zwängen. «Ich habe mich noch nie derart mit mir selbst beschäftigt und meine Gefühle, Gedanken und Ängste so tief hinterfragt. Es war wahnsinnig anstrengend, und manchmal wollte ich am liebsten alles hinschmeissen. Aber letztendlich bin ich gewachsen.» Bereuen tue sie keinen einzigen Schritt, den die drei gemeinsam gegangen sind.
Max musste zu Beginn hingegen mit einem anderen Problem kämpfen: «Meine Hürde lag darin, dass ich mich als Eindringling in einer funktionierenden Beziehung gefühlt habe. Das setzte mich unter Druck. Mir hat es unglaublich geholfen, dass Jan immer wieder sagte, dass jeder für sein Glück selbst verantwortlich sei.» Kompromisse zu finden, erwies sich als Schlüssel zum Erfolg. Genauso wie die Achtung voreinander und der Mut, das Gespräch zu suchen. «Wir bewegen uns oft auf unbekanntem Terrain, und manchmal macht uns das etwas Angst», gesteht Jan. «Es gibt wenig Vorbilder. Wir alle wachsen in dem Glauben auf, dass monogame Beziehungsmodelle die einzig richtigen sind. Wir mussten also stark intuitiv an die Sache herangehen.»
Ein Gefühlsleben in Wallungen Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft. Trotzdem gehört sie zum Menschsein dazu. Je mehr Bedürfnisse und Vorstellungen aufeinanderprallen, desto verzwickter ist es auch, diese alle unter einen Hut zu bekommen. «Ich war stets die Einzige an Jans Seite. Die Zeit mit ihm zu teilen, ist manchmal noch problematisch für mich», gesteht Lara-Jean. «Ich weiss, dass Jan mich genauso liebt wie vorher. Ich verstehe unsere Liebe als unendliche Ressource. Zeit aber ist begrenzt, und da muss ich Abstriche machen.»
Obwohl dies prinzipiell auch für Max gilt, kann dieser auf den Umstand zurückgreifen, dass er, schon als er Jan kennenlernte, wusste, dass dieser eine Freundin hat. Die Ausganglage war also eine etwas andere, weshalb ihm Eifersucht eher fremd ist: «Wir besprechen unsere Bedürfnisse. Es ist keine Floskel, wir leben eine offene Kommunikation.» Dies führe zu einem Grundvertrauen, das für die drei unerlässlich sei. Glück entstehe, wo Egomanie ende. Genau das schätzt Jan auch an polyamorösen Konstellationen: «Ein Vorteil ist die persönliche Entfaltung. Jeder Mensch ist individuell und auch jede Beziehung, die Menschen miteinander führen. Polyamorie gibt Raum für Gestaltung. Ich habe mich verändert und Seiten an mir entdeckt, die vorher unterdrückt waren. Gerade in Bezug auf meine Sexualität.»
Unverständnis versus Akzeptanz Niemand bewegt sich in einer abgeschlossenen Blase. Gesellschaftliche Werte, Druck von aussen und die allgemeine Verwunderung über Andersartiges lauern überall. Jan versucht deshalb, proaktiv mit Vorurteilen umzugehen, und klärt beispielsweise auf seinem Instagram-Account @biyourside_de auf. «Was hinter unseren Rücken geredet wird, bekommen wir nur am Rande mit. Stattdessen bewundern viele unseren Mut, offen zu zeigen, wie wir leben. Wir treten mit einer gewissen Selbstverständlichkeit auf», sagt er. Max pflichtet ihm bei: «Auf Social Media erlangt unser Thema immer mehr Sichtbarkeit. Das ist wichtig, weil man so andere Menschen, besonders jüngere, erreicht.» Im öffentlichen Raum sei dies hingegen komplizierter, bemerkt der Kulturmanagement/Kulturpädagogik-Student: «Wenn Lara-Jean und Jan zusammen unterwegs sind, werden sie als hetero gelesen. Wenn Jan und ich zusammen sind, werden wir als homosexuell wahrgenommen. Sind wir zu dritt unterwegs, werden wir wahrscheinlich als Freunde gesehen. Ich glaube, es ist schwierig, uns als Poly-Beziehung zu erkennen.»
Im Mikrokosmus Wie aber verhält es sich mit dem privaten Umfeld? Lara-Jean berichtet, sie müsse sich häufiger dafür rechtfertigen, dass sie sich freiwillig auf eine solche Konstellation eingelassen habe: «Mich enttäuscht, dass man mir nicht zutraut, die Stärke zu besitzen, eine Beziehung zu beenden, wenn es mir damit nicht gut geht.»
Jan sieht sich manchmal ebenfalls in eine ungerechte Rolle gedrängt, wenngleich er seine Freund*innen und Familie generell als verständnisvoll erlebe: «Menschen sagen, ich würde nicht genug kriegen und würde meine Freundin zu Dingen überreden, die sie gar nicht will. Ich bin der Egoist, der nur nimmt und nicht gibt.»
Max bekommt hingegen gespiegelt, er komme stets zu kurz: «Ich empfinde nicht so. Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir nicht ernst genommen werden. Auf der anderen Seite erhalte ich von meinem engsten Kreis viel Zuspruch und Unterstützung. Die, die wirklich verstehen, dass wir eine ernsthafte Beziehung führen, lassen sich sogar zu einer toleranteren Einstellung inspirieren.» Seiner Schwägerin, die Grundschullehrerin ist, sei dadurch zum Beispiel aufgefallen, dass die Unterrichtsmaterialien in Sexualkunde fast ausschliesslich heteronormativ seien. «Ihr hat unsere Beziehung gezeigt, dass es unerlässlich ist, neuen Dingen gegenüber offen zu bleiben und dies auch zu vermitteln, damit Verbindungen wie unsere irgendwann zur Normalität gehören.»
Nichtmonogam und doch verbindlich Ist man einmal auf den Geschmack gekommen, dann will man mehr. Zu den stereotypen Vorstellungen von polyamorösen Beziehungen gehört auch die Idee, dass Beteiligte generell eine promiskuitive Haltung besitzen müssten. Gern wird dieser Gedanke zusätzlich negativ gewertet – aus Unverständnis oder Unfähigkeit, sich in die Lage anderer zu versetzen. Wie aber verhält es sich mit Jan, Lara-Jean und Max? Haben sie vor, ihr Polykül zu erweitern? Während Lara-Jean dies verneint und Max äussert, er habe keine konkreten Pläne, was die Zukunft betreffe, räumt Jan ein: «Jeder in unserer Konstellation hat die gleichen Rechte. Gerade sind wir nicht auf der Suche, aber wie man an unserem Beispiel gesehen hat, passieren manchmal Dinge, mit denen man nicht gerechnet hat. Was die sexuelle Ebene betrifft, sind wir aktuell geschlossen, aber es wird nichts verboten. Die einzige Regel, die wir haben, ist, unserer offenen Kommunikation treu zu bleiben. Betrügen kann man auch in einer polyamoren Beziehung. Solange aber alles abgesprochen wird, finden wir Lösungen.» Ansonsten will Jan weiter da anknüpfen, wo er mit Lara-Jean schon vor der Begegnung mit Max gestanden habe. 2022 soll geheiratet und eine Familie gegründet werden. Auch eine Art, ein Polykül auszubauen. «Was sich noch alles mit Max ergibt, wird die Zeit zeigen. Ich kann mir jedenfalls vorstellen, irgendwann mit ihm und Lara-Jean unter einem gemeinsamen Dach zu wohnen», erklärt der 28-Jährige. In den USA anerkennt eine Kleinstadt übrigens polyamouröse Beziehungen an, dies als Folge der Pandemie (MANNSCHAFT berichtete).
«Betrügen kann man auch in einer polyamoren Beziehung.»
Auch nur Menschen Wer einen Einblick in das Beziehungsleben von Lara-Jean, Max und Jan erhält, stellt vielleicht fest, dass es deutlich mehr Anknüpfungspunkte gibt, als man es als monogam lebender Mensch vielleicht im ersten Moment erwartet hätte. Vielleicht wird sogar ein Interesse geweckt, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. «Ich freue mich, wenn Leute von uns hören und danach anders an Dinge herantreten», sagt Lara-Jean. «Neuen Gedanken Raum zu geben, kann den Horizont erweitern.»
«Oft klingt alles sehr abgeklärt und reflektiert, aber manchmal ist es auch für uns schwer. Wir wollen am Ende Aufklärung leisten, damit wir nicht als Exoten gelten und unsere Beziehungsform irgendwann als normal gilt», wünscht sich Max, und Jan schliesst: «Unsere ganze Situation zeigt, dass das Leben manchmal unberechenbar ist. Ich war schon immer beschenkt mit meiner Freundin. Jetzt noch so einen tollen Freund zu haben, da frag ich mich, womit ich das verdient habe.»
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